David Marton und Sebastian Baumgarten. Die andere Oper

Das Märzheft von Theater der Zeit ist heute erschienen

Wenn vom Paradigmenwechsel im Theater, von neuen Theaterformen oder dem sogenannten postdramatischen Theater die Rede ist, finden sich die unterschiedlichsten performativen Gemengelagen bezeichnet. Doch bei allen Differenzen ist ihnen ein Umstand gemeinsam: Die traditionelle Hierarchie der beteiligten Medien wird aufgehoben. Nur ein Bereich der darstellenden Künste schien bislang gegenüber allen Versuchen, ihn aufzubrechen oder zu enthierarchisieren, immun: die Oper. Doch die Festung wankt, wie das März-Heft von Theater der Zeit mit leichter Hand belegt.

„Wann stirbt die Oper?", fragt Ralph Hammerthaler geradezu appellatorisch und schildert unter diesem Titel seine Erfahrungen als Librettist, einer verstaubten Opernrhetorik mit der schrillen „Bestmannoper" zu Leibe zu rücken. Doch noch erweist sich der Apparat als starr und zu wenig beweglich für solche Experimente. Kein Zufall also, dass sich Sebastian Baumgarten für seine Bayreuther Inszenierung des „Tannhäuser" Bundesgenossen im freien Stadtstaat AVL-Ville suchte. AVL-Ville, diese „hierarchiefreie Selbstermächtigungszone", wie Ute Müller-Tischler schreibt, wurde im Hafen von Rotterdam vom Atelier Van Lieshout gegründet, dem auch unser Insert gewidmet ist.


„Wohin das Gesamtkunstwerk phantasieren?", formuliert Sebastian Baumgarten selbst im Gespräch mit Dorte Lena Eilers und Frank Raddatz seine Suche nach neuen Öffnungen, während Dialogpartner David Marton berichtet, wie sein ambitioniertes Musiktheater den fremden Blick auf Tradiertes im Bereich der Sprechbühnen etabliert. Kein Zweifel, das Zeitgenössische hat mittlerweile bei seinem langen Marsch in Richtung eines neuen musikalischen Kunstwerks der Zukunft einiges Terrain an sich reißen können. Einer, der nicht damit geizt, das Seinige beizutragen, ist der Schauspieler Max Hopp. Als sich Frank Castorf 2006 zusammen mit Jonathan Meese in der Volksbühne Wagners „Meistersinger" annahm, war er als Beckmesser dabei. Dorte Lena Eilers hat diesen Schauspieler-Sänger porträtiert. Dass sich die Kräfte der Beharrung mobil machen lassen, demonstriert alljährlich auch die Zeitgenössische Oper Berlin (ZOB). Hier ist man unterwegs, und zwar „ganz lässig. Die ZOB nämlich spielt mitten in der Stadt, im Kristallpalast des Berliner Hauptbahnhofs, zwei Wochen lang im Sommer, zwei Wochen lang moderne Musik." Die Zukunft des enthierarchisierten Gesamtkunstwerks hat also bereits begonnen.


„Land unter", heißt es dagegen in Leipzig, wo man sich um den Titel einer europäischen Kulturhauptstadt 2020 bemüht. Gerade verliert man dort mit Operndirektor Peter Konwitschny und Schauspielchef Sebastian Hartmann zwei profilierte Steuermänner, und es steht zu befürchten, so Christian Horn, dass man in „Spielplangemütlichkeit" zurückfällt, in eine kulinarische, stromlinienförmige Programmausrichtung beider Häuser.


Zäh sind die Kräfte der Restauration nicht nur in der Heldenstadt Leipzig, sondern auch in den Ländern des Arabischen Frühlings, dem Etel Adnan zufolge bereits ein arabischer Winter folgte. Rolf C. Hemke berichtet von den ernüchterten Revolutionären und ihrer Reflexion des Wandels beim Carthage-Festival in Tunesien. Aus Ägypten stammt Darja Stockers Tagebuch, in dem sie anlässlich einer Schreibwerkstatt in Alexandria beschreibt, wie die Konterrevolution bereits wieder Fuß gefasst hat und insbesondere Frauen Opfer der willkürlichen Übergriffe werden. Die Geschichte kehrt zurück. Wenn die Kämpfe unserer Zeit auch an der Peripherie Europas toben, sind sie damit keineswegs peripher und werden über kurz oder lang auch an uns einige Fragen stellen.


PS: Im Einklang mit der Entscheidung der Jury des Theatertreffens sei Ihnen unser Stückabdruck von Renè Polleschs „Kill your Darlings! Streets of Berladelphia" empfohlen.