Recherchen 56
Im Labyrinth
Theodoros Terzopoulos begegnet Heiner Müller
Herausgegeben von Frank M. Raddatz
Paperback mit 150 Seiten, Format: 140 x 240 mm
ISBN 978-3-940737-35-9
- Mit einem Fotoessay von Ulrich Wüst
Der Regisseur Theodoros Terzopoulos berichtet von seiner Bekanntschaft mit Heiner Müller
Als der junge Schauspieler Theodoros Terzopoulos Anfang der siebziger Jahre aus Griechenland flüchtet, wo die Junta ein brutales Unterdrückungssystem errichtet hat, geht er in die DDR und ans Berliner Ensemble. Doch statt Brecht zieht ihn hier ein Mann in seinen Bann, von dem er nie zuvor gehört hat - Heiner Müller. Die Gespräche mit diesem führen Terzopoulos bald weg von den Postulaten des epischen Theaters hin zum Mythos und der Tragödie. In Müller findet er in der Fremde Ost-Berlins seinen Vergil, der ihn aus einer europäischen Perspektive zu den Grundlagen seiner eigenen griechischen Kultur zurückführt. Nach dem Ende der Militärdiktatur nach Griechenland zurückgekehrt, soll die Saat bald aufgehen.
Das in Berlin geweckte Interesse an der Tragödie und dem Mythos flammt auf hellenischem Boden erst recht auf und lässt Terzopoulos als Tragödienregisseur internationale Reputation gewinnen. Die Begegnungen setzen sich in den achtziger Jahren fort und Terzopoulos fängt an, die Texte Müllers zu inszenieren, nicht nur in Griechenland, auch in Russland und Georgien, darunter „Medeamaterial", „Quartett" und „Herakles" nach Müller.
Im vorliegenden Band berichtet Theodoros Terzopoulos von seiner Begegnung mit Heiner Müller, seinen verschiedenen Uraufführungen von Müllers Texten in unterschiedlichen Kulturräumen und beschreibt in 49 Aphorismen die Beziehung der Dichtung Müllers zu Tragödie und Mythos in den Tiefenstrukturen des energetischen Ereignisses Theater. Ein Labyrinth der Strahlungen und verborgener Energiequellen eröffnet sich.
Während in Griechenland die Junta herrschte, ging der junge Grieche Theodoros Terzopoulos zu Beginn der siebziger Jahre an das Berliner Ensemble, um dort erst zu hospitieren und dann zu assistieren. Doch statt einer Auseinandersetzung mit den technischen Finessen des epischen Theaters wartete auf ihn die schicksalhafte Begegnung mit dem stets mythenhungrigen und tragödienversessenen Heiner Müller. In den kommenden Jahren wurden die Exerzitien wissenschaftlich basierter Theaterkunst mehr und mehr von den Gesprächen mit dem leibgewordenen Exponenten antiker Kultur und dessen Dichtung in den Hintergrund gerückt. Im Gegensatz zu seinem Antipoden, dem Minotaurus Wagner, der, wie Nietzsche schreibt, die Jugend Europas zuhauf in sein Labyrinth verschleppte, leitete Müller den griechischen Epheben auf jene Irrpfade, aus denen sich der Pol des Nichtwissens zusammensetzt. An den Rand der Welt also, wo die Logifizierung des Seins nur noch mangelhafte Orientierung gewährt.
Als Terzopoulos nach dem Zusammenbruch der Militärherrschaft in seine Heimat zurückkehrte, hatte er also bereits den Müller-Virus im Gepäck. Je mehr er schließlich, die brechtschen Anfänge hinter sich lassend, seinen eigenen Weg fand, kehrte er zum Bodensatz der europäischen Kultur, zu einer lebenslangen Auseinandersetzung mit dem antiken Mythos, der Tragödie und dem Körper zurück. Allerdings wird der eine oder die andere Kompetenzmanagerin mitteleuropäischer Kultur feststellen müssen, dass das, was Terzopoulos aus der Tiefe der Zeit birgt, nicht immer mit dem übereinstimmt, was das aufgeklärte und körperfeindliche Europa als Wurzel seiner kulturellen Identität seit Jahrhunderten imaginiert. Die Antike des Terzopoulos besteht aus einer den vernünftig gemachten Sinnen fremden Welt. Sie entstammt einem Kulturkreis, in dessen Zentrum nicht Rom, sondern Athen den Ton angibt und dessen Herz noch weiter östlich, in Asien schlägt. Dieser mächtige Gegenentwurf zur klassischen Interpretation, mit dem sich das andere, von Ostrom geprägte Europa gegen seine logozentrische Überformung durch den westlichen Zwillingsbruder stemmt, ließ Terzopoulos zu einem weltweit begehrten Regisseur werden. Ob in Japan, in Russland, der Türkei oder China, ob in Lateinamerika oder den Staaten West- und Osteuropas, kaum ein Land, in dem die Körpertragödien Terzopoulos' noch nicht die Leiblichkeit des Menschen feierten.
Erstmals setzte sich Terzopoulos als Regisseur mit einem Müller-Text auseinander, als 1988 seine Arbeit VERKOMMENES UFER MEDEAMATERIAL LANDSCHAFT MIT ARGONAUTEN während der Müller-Werkschau nach Berlin geladen wurde. Danach begann er Müller-Stücke nicht nur in Griechenland aufzuführen, sondern auch in über 25 weiteren Ländern. Im dritten Teil dieses Labyrinthbuches berichtet er von ihrem Echo, das vielmals gebrochen durch den Abgrund hallte, der Asien von Europa trennt. Befreit von ihrem bildungsschweren Kontext und einem Theater dionysischer Ekstasetechniken ausgeliefert, beginnen die Theaterstücke Müllers ihre der zeitgenössischen postmodernen Kultur abgewandte Seite zu präsentieren. Terzopoulos' am attischen Drama geformter Blick kommuniziert ihre tragische Dimension, bringt ihren von ideologischen Geröllmassen verdeckten mit der Tragödie kopulierenden Unterleib zum Sprechen. Eine ungewohnte Sicht also auf Texte, die entgegen allen akademischen Kategorisierungen ein Eigenleben besitzen und sich dem vorschnellen Zugriff immer wieder zu entziehen wissen.
Frank Raddatz
Berlin, 19. November 2008
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Götter tragen keine MaskenTheodoros Terzopouos im Gespräch mit Frank Raddatzvon Frank M. Raddatz und Theodoros Terzopoulos | Seite 10 |
Die Wunde MüllerZur Konstruktion der Gespenster im Werk Heiner Müllersvon Theodoros Terzopoulos | Seite 46 |
Traum/ReiseGriechenland 1993 – 2003 Fotografien von Ulrich Wüstvon Ulrich Wüst | Seite 82 |
Reisen mit Heiner Müller | |
Verkommenes Ufer MedeamaterialLandschaft mit Argonautenvon Theodoros Terzopoulos | Seite 100 |
Quartettvon Theodoros Terzopoulos | Seite 109 |
Heraklesvon Theodoros Terzopoulos | Seite 116 |
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Im Labyrinth
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Bibliographie
Beiträge von Frank M. Raddatz finden Sie in folgenden Publikationen:
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Was soll das Theater jetzt tun?
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Heft 11/2021
Volksbühne Neu
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