Recherchen 44
Kafka in der DDR
Erinnerungen eines Beteiligten
von Klaus Hermsdorf
Herausgegeben von Frank Hörnigk und Gerhard Schneider
Paperback mit 288 Seiten, Format: 140 x 240 mm
ISBN 978-3-934344-93-8
Dieses Buch ist leider vergriffen
- "Lebendige Darstellung des Abenteuers, Kafka in einem realsozialistischen Land zu veröffentlichen" Der Tagesspiegel
- "Ein erstaunliches Zeitdokument" Berliner Zeitung
- "... diese respektable Sammlung (...) und hinten ein souveränes, intelligentes Nachwort (...) Was jetzt vorliegt, ist die schlichte, packende Autobiografie eines bedeutenden Wissenschaftlers." Neues Deutschland
Der Berliner Literaturwissenschaftler Klaus Hermsdorf (1929 - 2006) nennt die Beschäftigung mit Franz Kafka »das einzige Kontinuum meines Berufslebens«. 1954 entschied er sich, seine Dissertation über Kafkas »Amerika« zu schreiben, 2004 erschienen die von ihm herausgegebenen »Amtlichen Schriften« als Band 1 der »Kritischen Ausgabe« bei S. Fischer. Sein autobiographischer Bericht erinnert an »Kafka in der DDR« als an eine Verdrängungsgeschichte (vor allem) sozialer Wirklichkeit in diesem Land. Mit Blick auf die Stationen der Vergeblichkeit ebenso wie auf Phasen des Glücks seiner eigenen Arbeit ruft er Namen und zeitgeschichtliche Ereignisse auf, porträtiert Kollegen, fördernde Verleger und zeitweise mächtige Behinderer in oberen politischen Rängen. Klaus Hermsdorf hat den Widerspruch zwischen Geist und Macht für sich schon früh gespürt, allerdings nicht nur für die DDR angemahnt. Sein Fragment gebliebener Versuch sehr persönlichen Eingedenkens (er reicht bis zur wissenschaftlichen Konferenz anlässlich der Kafka-Ehrung der DDR im Jahre 1983) bietet mehr als »Rezeptionsgeschichte«: Er ist ein anregendes kultur- und mentalitätsgeschichtliches Dokument.
- "Überaus lesenswerte Erinnerungen" Bohemia - Zeitschrift für Geschichte und Kultur
- "Äußerst lesenswerte Betrachtungen" Literaturkritik.de und Prager Zeitung
- "Unerhörte Einblicke in das Innenleben der DDR-Germanistik" Deutschland Archiv
Auch zu einem Kafka-Forscher habe ich es nicht gebracht. Ich habe vor einem halben Jahrhundert, also in ziemlich jungen Jahren, eine Dissertation über Franz Kafka geschrieben, die als Buch veröffentlicht worden ist. Ich habe noch etliche kleine und größere Aufsätze über Kafka verfasst und in der DDR zu unterschiedlichen Zeiten seine Werke herausgegeben. Mein Beruf als Hochschullehrer für neuere und neueste deutsche Literatur hat es an keiner der vier Universitäten, an denen ich tätig war, erlaubt, mich in Forschung und Lehre auf das Werk eines einzelnen Autors zu beschränken. Ich habe über Goethe, über berlinische Literatur und Kunst zwischen Aufklärung und Romantik, über Thomas Mann, über Exilliteratur, über Probleme der Regionalliteratur im deutschen Sprachgebiet gearbeitet und mich mit Darstellungen über Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgeplagt. Aber dazwischen fand sich immer wieder Anlass zu Kafka. Die Beschäftigung mit dem Prager Schriftsteller und Versicherungsjuristen ist, unbeabsichtigt, aber eigentümlich folgerichtig, das einzige Kontinuum meines Berufs¬lebens. Mit Kafka hat es begonnen, mit Kafka endet es.
Nicht deshalb erinnere ich mich an diese Studien. Sie unterscheiden sich von allen anderen durch ihren über den Beruf hinausgehenden Einfluss auf mein Leben. Wenn man sich die Anrüchigkeit eingesteht, die dem Beruf eines Literaturhistorikers innewohnt, nämlich dass er parasitisch an fremdem Genie partizipiert, es ummünzt und ausbeutet, so verdanke ich Kafka viel: eben diesen Beruf, aber auch Angenehmes - z. B. einen Motorroller, mein erstes Auto, einen dreijährigen Aufenthalt in Prag, Reisen nach Polen, Spanien, Frankreich und in manche andere schöne Gegenden. Vor allem aber danke ich Kafka - oder soll ich ihn beschuldigen? - die Verkettung eines arglosen Daseins als Literatur¬historiker mit der Geschichte meines Zeitalters. Was ich über Kafka geschrieben, habe ich wie alles andere an meinem Schreibtisch gemacht, der die meiste Zeit an demselben Ort stand. Aber die Arbeit über Kafka war von geschichtlichen Großwetterlagen beeinflusst. Was ich über Kafka dachte und über ihn schrieb und wann, wurde von Ereignissen berührt, die in Ostberlin und Bonn geschahen, aber eigentlich in Moskau, New York, Budapest, Prag - und zwar nicht nur in Regierungsämtern und Parteibüros, sondern auf den Straßen und Plätzen dieser Städte. Das Merkwürdigste ist vielleicht, dass ich von diesen Begebenheiten und Entscheidungen in der Gegenwart, als sie mich betrafen, nur die Hälfte erfuhr, halb blind blieb, wenig wusste und noch weniger verstand, während sie heute, da ich in Wirklichkeit halb blind bin, die Qualität von Geschichte gewonnen haben, eine Qualität dadurch, dass sie sich aufklärt.
Was ich früher, meiner Gewohnheit nach, mit der Füllfeder in karierte Schulhefte geschrieben hätte, tippe ich in die Großschrifttastatur eines Computers. Es sind die Erinnerungen eines Menschen mit schlechtem Erinnerungsvermögen. Den Lücken in meinem verwüsteten Gedächtnis kann ich nicht mit den Arbeitsweisen begegnen, die ich gelernt habe - denen eines Historikers, der die »Literatur« zu seinem Thema liest und die Quellen ausschöpft. Ich bin auf Erinnerungsfetzen angewiesen, ein paar Bücher in meiner Nähe und oft lächerlich übergenaue Papiere - alte Briefe, Durchschläge eigener Briefe, Notizen, ¬Zeitungsausschnitte und einige Materialien aus der Quellenforschung, die mir zugekommen sind.
Kapitel | Seite |
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Kapitel | Seite |
1954 | |
Bekanntschaft mit Franz Kafkavon Klaus Hermsdorf | Seite 9 |
Expressionismus in der SBZvon Klaus Hermsdorf | Seite 13 |
Alfred Kantorowiczvon Klaus Hermsdorf | Seite 21 |
Marxistische Literaturwissenschaftvon Klaus Hermsdorf | Seite 25 |
Der Alfred-Kantorowicz-Kreisvon Klaus Hermsdorf | Seite 30 |
Parteilosvon Klaus Hermsdorf | Seite 35 |
Lukács und die Philologievon Klaus Hermsdorf | Seite 40 |
Eine Reise nach Tübingenvon Klaus Hermsdorf | Seite 45 |
1956 | |
Eine Reise nach Pragvon Klaus Hermsdorf | Seite 51 |
Warschau, Budapest – es brenntvon Klaus Hermsdorf | Seite 56 |
Briefe des Versicherungsbeamten Franz Kafkavon Klaus Hermsdorf | Seite 64 |
Kanto gehtvon Klaus Hermsdorf | Seite 69 |
Gegenzügevon Klaus Hermsdorf | Seite 76 |
1960 | |
Eine Verteidigungvon Klaus Hermsdorf | Seite 83 |
Décadence, Dekadenz, Modernevon Klaus Hermsdorf | Seite 90 |
Kollektive, Konferenzenvon Klaus Hermsdorf | Seite 98 |
Kafka kommtvon Klaus Hermsdorf | Seite 110 |
1963 | |
Chruschtschow in Pankowvon Klaus Hermsdorf | Seite 126 |
Nach Prag. Goldstückervon Klaus Hermsdorf | Seite 128 |
Kafka-Ausgabe in der DDRvon Klaus Hermsdorf | Seite 134 |
Ankündigung einer Konferenzvon Klaus Hermsdorf | Seite 144 |
Nach Liblice. Im Schloss. Babylonischvon Klaus Hermsdorf | Seite 150 |
Konferenzberichtevon Klaus Hermsdorf | Seite 163 |
Die Kurella-Debattevon Klaus Hermsdorf | Seite 173 |
Das 5. Plenumvon Klaus Hermsdorf | Seite 180 |
»Gottessorge«von Klaus Hermsdorf | Seite 187 |
1965 – 1983 | |
Vertragsverhandlungenvon Klaus Hermsdorf | Seite 192 |
Ein Nachwortvon Klaus Hermsdorf | Seite 195 |
Zwischen Tel Aviv, New York City, Frankfurt am Mainvon Klaus Hermsdorf | Seite 201 |
Nachspielevon Klaus Hermsdorf | Seite 209 |
Weltfreundevon Klaus Hermsdorf | Seite 213 |
Herbst 1968von Klaus Hermsdorf | Seite 221 |
Wir 68ervon Klaus Hermsdorf | Seite 223 |
Kafka in der Literaturgeschichtsschreibung der DDRvon Klaus Hermsdorf | Seite 240 |
Eine Kafka-Ehrung in der DDRvon Klaus Hermsdorf | Seite 262 |
Nachbemerkungvon Klaus Hermsdorf | |
Anhang | |
Kurzvita Klaus Hermsdorf | Seite 277 |
Anmerkungen | Seite 279 |
„"Überaus lesenswerte Erinnerungen"“Bohemia - Zeitschrift für Geschichte und Kultur
„"Es ist kein wissenschaftliches Werk über die DDR-Rezeption Kafkas, sonder eine autobiografische Erzählung mit unerhörten Einblicken in das Innenleben der DDR-Germanistik."“Deutschland Archiv
„"Lebendige Darstellung des Abenteuers, Kafka in einem realsozialistischen Land zu veröffentlichen"“Der Tagesspiegel
„"Äußerst lesenswerte Betrachtungen"“Literaturkritik.de und Prager Zeitung
„"... diese respektable Sammlung (...) und hinten ein souveränes, intelligentes Nachwort (...) Was jetzt vorliegt, ist die schlichte, packende Autobiografie eines bedeutenden Wissenschaftlers."“Neues Deutschland
„"Ein erstaunliches Zeitdokument"“Berliner Zeitung
Zum Herausgeber
Frank Hörnigk
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Bibliographie
Beiträge von Frank Hörnigk finden Sie in folgenden Publikationen:
Heft 02/2015
Je suis Charlie
Heft 09/2013
Romeo Castellucci: Zurück in die Zukunft
Über die Vermessung der Welt von morgen
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
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