Theater_Macht_Politik

Zur Situation des deutschsprachigen Theaters im 21. Jahrhundert

von

1.4 Aufbau der Forschungsarbeit

Die Arbeit ist geleitet vom Erkenntnisansatz der Kritischen Theorie. Sie will historische Forschungen nicht ersetzen, in einem historischen Abriss aber die Entwicklung des institutionalisierten Theaters unter einem besonderen Fokus begleiten. Das Verhältnis von Geschichte und Geburt der Institution Staats- und Stadttheater soll im ersten Hauptteil ausgelotet werden. Im Folgenden widme ich mich auf der Systemebene einer Theorie des Sozialstaates und seinem Bezug zum Politischen im Theater als festem Bestandteil der Konstitution des Staates. Wie haben sich seit dem römischen Recht die normativen Absicherungen von Künstlern verändert, um ihnen zwar eine größere soziale Sicherheit zu geben, aber weniger politische Freiheit. Die Dialektik von Systemveränderungen und Veränderungen der wichtigsten Akteure im Theater zu unpolitisch handelnden Machtwesen ist Gegenstand des Hauptteils über die Akteure.

Noch steht empirische Sozialforschung in der Theaterwissenschaft an ihrem Anfang, aber die Überprüfung der These, dass der Intendant – der im Theater immer noch Repräsentant und Schlüsselfigur ist – zunehmend als politisch emanzipatorischer player ausfällt, soll empirisch belegt werden.

Zugleich wird mit der Kritik am Entpolitisierungsprozess des Theaters bereits eine Gegenbewegung deutlich. Im Kapitel über Autonomie und Utopie werden neue Denkansätze des Theaters ihren Niederschlag finden.

1 Deck, Jan u. Sieburg Angelika (Hg.): Politisch Theater machen. Neue Artikulationsformen des Politischen in den darstellenden Künsten. Bielefeld 2011, S. 7.
2 Vgl. Rischbieter, Henning: „Theater und Revolte“, in: Theater heute, Sonderheft „Theater1968“/1998, S. 25 – 37; „Kunst und Politik“, Kunsthistoriker Helmut Draxler im Corsogespräch auf Deutschlandradio, 21. Januar 2013, in: http://www.deutschlandfunk.de/ kunst-und-politik.807.de.html?dram:article_id=234928,  Zugriff: 04.04.2015; Eikels, Kai van: Die Kunst des Kollektiven. Performance zwischen Theater, Politik und Sozio-Ökonomie. München 2013.
3 Deck u. Sieburg 2011, S. 13.
4 Floeck, Wilfried: „Das neue politische Theater in Spanien“, in: Gall, Alfred u. Nickel,
Gunter (Hg.): Theaterlandschaften der Gegenwart. Tübingen 2013, S. 41 – 56.
5 Vgl. Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Berliner Theatertreffens 2014, in:
https://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/theatertreffen/ueber_festival_tt/allgemein_tt/allgemein_tt_1.php, Zugriff: 24.04.2015.
6 Schümer, Dirk: „Europa schafft sich ab“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Januar 2012, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/postdemokratie-europa-schafft-sich-ab-11630285.html.
7 Schümer 2012.
8 Crouch, Colin: Postdemokratie. 11. Aufl., Frankfurt am Main 2015; Michelsen, Danny u. Walter, Franz: Unpolitische Demokratie. Berlin 2013.
9 Crouch 2015, S. 29.
10 In seinem 1935 erschienenen Werk Erbschaft dieser Zeit entwickelt Bloch ein Konzept der Ungleichzeitigkeit, ein mehrräumiges, dialektisches Denkmodell, das versucht, scheinbar widersprüchliche Entwicklungen einer Gesellschaft im historischen Kontext zu erklären.
11 Eikels 2013, S. 11.
12 Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger: Deutsches Bühnen-Jahrbuch/Neuer Theater-Almanach. Hamburg 1913/1914, S. 23, 27, 44f.
13 Vgl. Sennett, Richard: Fleisch und Stein. Frankfurt am Main 1997, S. 407.
14 Kotte, Andreas: Theatergeschichte. Köln, Weimar u. Wien 2013, S. 346.
15 Ebd., S. 349; Simhandl, Peter: Theatergeschichte in einem Band. Berlin 2001, S. 356.
16 Berlin blieb mit keiner anderen Stadt vergleichbar. „Es gab keinen anderen Ort in
Deutschland, der sich seit dem Sieg von 1870 und der Reichsgründung 1871 so zu verwandeln begann wie Berlin. Menschen strömten von allen Seiten in die sich schnell industrialisierende Stadt, Arbeiter, Bürger, Wissenschaftler, Studenten.“ In: Rühle, Günther: Theater in Deutschland (1887 – 1945). Frankfurt am Main 2007, S. 27f.
17 Kotte 2013, S. 351.
18 Simhandl 2001, S. 238.
19 Rühle 2007, S. 218f.
20 Lorenz, Richard: Proletarische Kulturrevolution in Sowjetrußland 1917 – 1921. München 1969, S. 7f.
21 Piscator, Erwin: Das politische Theater. Berlin 1968.
22 Simhandl 2001, S. 258.
23 Kotte 2013, S. 347.
24 Simhandl 2001, S. 238.
25 Ebd.
26 Negt, Oskar: Gesellschaftsentwurf Europa: Plädoyer für ein gerechtes Gemeinwesen. Göttingen 2012, S. 79.
27 Vgl. Staeck, Klaus: „Gipfel der Heuchelei“, in: Frankfurter Rundschau, 25. September 2013, http://www.fr-online.de/bundestagswahl---hintergrund/kolumne-wahlkampf-bundestagswahl-medien-gipfel-der-heuchelei,23998104,24440972.html, Zugriff: 27.03.2016.
28 Der Rückzug des Staates lässt sich statistisch am Rückgang der Staatsquote, definiert als das Verhältnis der Summe der Haushaltsausgaben von Bund, Ländern und Kommunen sowie der gesetzlichen Sozialsysteme zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) nachweisen. Die Staatsquote ist seit 1995 von 49,4 Prozent über 48,3 Prozent (2000) und 46,7 Prozent (2005) auf einen Tiefstand von 43,9 Prozent im Jahre 2007 gesunken (Quelle: Bundesministerium für Finanzen). Auch wenn Deutschland im europäischen Vergleich eine recht niedrige Staatsquote hat, ist dieser rückläufige Trend ebenso international zu beobachten. Dagegen existierte nach 1945 bis in die 1970er Jahre hinein der Konsens, Unternehmen und Einrichtungen der Infrastrukturen in kommunaler oder staatlicher Hand seien Garanten für die Wahrung des Allgemeinwohls.
29 Vgl. Bourdieu, Pierre: Gegenfeuer. Wortmeldungen im Dienste des Widerstands gegen die neoliberale Invasion. Konstanz 1998.
30 Vgl. Hawemann, Horst: Leben üben. Improvisation und Notate. Berlin 2014.
31 Kotte, Andreas: Theaterwissenschaft. Eine Einführung. 2. Aufl., Köln, Weimar u. Wien 2012, S. 312.
32 Koch, Gerd u. Streisand, Marianne (Hg.): Wörterbuch der Theaterpädagogik. Uckerland 2003, S. 312.
33 Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster. Frankfurt am Main 2004, S. 124.
34 Vgl. Hansen, Klaus: Theater und Politik. Hamburg 2002.
35 Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen. Berlin 1932. S. 26.
36 Rüthers, Bernd: Carl Schmitt im Dritten Reich: Wissenschaft als Zeitgeist-Verstärkung? München 1990, S. 20.
37 Rohe, Klaus: Politik. Begriffe und Wirklichkeit. Stuttgart 1994, S. 27f. Drechsler, Hanno; Hilligen, Wolfgang u. Neumann, Franz (Hg.): Gesellschaft und Staat. München 2003, S. 759.
38 Deck u. Sieburg 2011, S. 27f.
39 Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater. Frankfurt am Main 1999, S. 459f.
40 Homepage der Gruppe 400asa, http://400asa.ch/400asa/geschichte.php, Zugriff:
22.04.2015.
41 Ibs, Torben: Theater und Politik. Leipzig 2004, S. 30f.
42 Ebd., S. 32.
43 Boal, Augusto: Theater der Unterdrückten. Frankfurt am Main 1989, S. 63f.
44 Veränderungen im Verhalten von Kulturdezernenten beschreibt vor allem Spahn, Claus: „Gesäubert“, in: Die Zeit, 5. September 2002. S. 39f. Seit 2004 hat die Universität Zürich einen Studiengang Master of Arts Administration eingerichtet, der nunmehr auch an der Universität München, der Leuphana Universität und an zahlreichen Hochschulen angeboten wird. Das 2004 ins Leben gerufene Programm Arts Administration bildet zukünftige Führungspersönlichkeiten für Kulturinstitutionen aus. Es verbindet den theoretischkünstlerischen Anspruch mit der täglichen Praxis der Arbeit von Theatern, Museen, Orchestern, Festivals und Medien.
45 Wiggershaus, Rolf: Die Frankfurter Schule. Geschichte, theoretische Entwicklung, politische Bedeutung. München 1991, S. 147f; Kracauer, Siegfried: Der Detektiv-Roman – Ein philosophischer Traktat. Frankfurt am Main 1979, S. 50f.
46 Nietzsche, Friedrich: Die fröhliche Wissenschaft. Leipzig 2000.
47 Hobsbawm, Eric: Das Zeitalter der Extreme. München 1994, S. 20.
48 Vgl. Freud, Sigmund: Zur Psychopathologie des Alltagslebens. Frankfurt am Main 1999.
49 Mertens, Wolfgang: Psychoanalyse: Geschichte und Methoden. München 1997.
50 Ebd., S. 9.
51 Wesel, Uwe: Geschichte des Rechts. München 1997, S. 462.
52 Herrmann, Max: „Über die Aufgaben eines theaterwissenschaftlichen Institutes“, Vortrag vom 27. Juni 1920 (nach Stenogramm), in: Klier, Helmar (Hg.): Theaterwissenschaft im deutschsprachigen Raum. Darmstadt 1981, S. 19.
53 Ebd., S. 23.
54 Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt am Main 1962; Negt, Oskar u. Kluge, Alexander: Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit. Frankfurt am Main 1972.
55 Deiseroth, Dieter u. a. (Hg.): Helmut Ridder. Gesammelte Schriften. Baden-Baden 2010.
56 Ebd., S. 274.
57 Zuletzt: Jobst, Johanna u. Boerner, Sabine: „Die Stakeholder-Analyse im Kulturbereich. Ein empirischer Beitrag“, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, Jg. 64, Bd. 1, 2012, S. 1 ‒ 17. Boerner, Sabine; Moser, Volker u. Jobst, Johanna: “Evaluating Cultural Industries: Investigating Visitors’ Satisfaction in Theater”, in: The Service Industries Journal, Jg. 31, Bd. 6, S. 877 – 895. Jobst, Johanna u. Boerner, Sabine: “Understanding Customer Satisfaction in Opera: First Steps Towards a Model”, in: International Journal of Nonprofit and Voluntary Sector Marketing, Jg. 16, Bd. 1, S. 50 – 69.
58 Glogner, Patrick: Das Kulturpublikum. Wiesbaden 2010. Pöllmann, Lorenz: Theater undSocial Media. Aachen 2013. Valentin, Katrin: Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Theater. Münster 2013. Heimgartner, Arno u. a.: Empirische Forschung in der Sozialen  Arbeit. Wien u. Berlin 2012.
59 Hartung, Kirstin: Kindertheater und Theater der Generationen. Pädagogische Grundlagen und empirische Befunde. Frankfurt am Main u. Wien 2001.
60 Sie wurden sogar vom Deutschen Bühnenverein behindert. Vgl.: Raue, Peter; Hegemann, Jan u. Meinel, Gernod: Strukturgutachten Theater und Orchester. Bd.1, Berlin 2004, S. 138.
61 Zum Begriff vgl. Flick, Uwe: Sozialforschung. Methoden und Anwendungen. Ein Überblick für die BA-Studiengänge. Reinbek 2009, S. 308.
62 Diekmann, Andreas: Empirische Sozialforschung, Reinbek 2012, S. 564.
63 Ebd., S. 565.
64 Ebd., S. 566f.

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