Im Dickicht des Einst
von Ralf Fiedler
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Auf Nimmerwiedersehen
Es ist nicht ausgemacht, dass „die Geschichte“ einer Kunstinstitution der Kunst von Nutzen sein kann. Sich auf Geschichte zu beziehen, scheint fast abseitig, aus der Mode gekommen, weit entfernt auch vom künstlerischen Prozess, von Hipness, Coolness, Gegenwärtigkeit, von den Dingen, die man gerne für sich reklamiert. Das Immer-Neue wartet an der nächsten Ecke, überall, be part of it, real-time. Was will man mehr? Ganz unpessimistisch: Nichts fehlt.
![„Herr Puntila und sein Knecht Matti“, Regie: Peter Kastenmüller, Foto: Caspar Urban Weber](http://assets.theaterderzeit.de/img/Content/33536/Puntila_publik_thumb.jpg)
Wie aber entsteht der Eindruck von Neuheit, Gegenwärtigkeit, Aktualität? Ein schönes Beispiel dafür liefert die Mode. Sie, auch die neueste, zitiert immer eine „vergangene Tracht“, schreibt Walter Benjamin in „Über den Begriff der Geschichte“. Das Aktuelle, das Neue, steht demnach nicht am Ende einer gradlinigen Entwicklung, sondern ist das Ergebnis eines Sprungs in die Vergangenheit. „Die Mode hat die Witterung fürs Aktuelle, wo immer es sich im Dickicht des Einst bewegt. Sie ist der Tigersprung ins Vergangene.“ Unser Blick, unser Rückgriff verändert demnach die Vergangenheit – während wir an der Gegenwart arbeiten. Das widerspricht maximal der gewohnten Art, Geschichte zu betrachten. Unsere Matrix ist verseucht von der Vorstellung eines leeren Kontinuums von Zeit, einer Zeitlinie, auf der sich Begebenheit an Begebenheit reiht. Unser eigener Anteil rutscht dabei aus dem Blickfeld. Der revolutionäre Historiker dagegen müsste sich „messianisch“ auf die Vergangenheit beziehen, z. B. das Uneingelöste aufgreifen, aufnehmen, denkend fortsetzen. Er hat eine schwache messianische Kraft, Dinge zurechtzurücken. „Das wahre Bild der Vergangenheit huscht vorbei. Nur als Bild, das auf Nimmerwiedersehen im Augenblick seiner Erkennbarkeit eben aufblitzt, ist die Vergangenheit festzuhalten.“