Heft 05/2000
Not?
Gespräche mit Michael Naumann und Nele Hertling
Broschur mit 88 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Dieses Heft ist leider vergriffen und nur noch als PDF erhältlich.
Bei Anruf... Kasse! Das Telefon hält den Theaterbetrieb wie alle anderen Weltangelegenheiten zusammen. Anruf genügt, ob Probenabsagen, Kartenbestellungen oder werbendes Einreden von Dramaturgen bei der Presse. Und längst schon wurden in dem einen oder anderen Stück die überraschenden Wendungen mittels Fernsprecher eingeklingelt. Früher Höhepunkt des Telefontheaters war Jean Cocteaus Einakter "Die geliebte Stimme" aus dem Jahr 1930. Die liebende Protagonistin schlingt sich das Telefonkabel um den Hals und bittet um Trennung. Vor kurzem bat der Regisseur Matthias von Hartz sein Publikum, sich zu verbinden - mit Telefonen. Ein künstlerischer Aufbruch in nun schon alte Gewohnheiten. Denn was auf der Bühne vielleicht als ausgereizt gilt, ist allabendlich epidemisches Ärgernis im Zuschauerraum. Die Vorstellung beginnt, da sondert schon das erste Handy seinen elektronischen Singsang ab: den Yankee-Doodle im crescendo, die verpiepte Marseillaise oder zukünftige Weltraumhymnen, die ein Chiphirn für Konsumenten gleichen Kalibers errechnete. Zehn, fünfzehn Mal in jeder Vorstellung, in jedem Theater, in jeder Stadt.
Wo so viel Geld mit achtlosem Telefonieren gemacht wird - wobei natürlich der Angerufene der Ruhestörer ist -, sollten die Theater eine ausgezeichnete Gelegenheit nutzen, ihre Haushaltslage zu verbessern. Gedankenlose Respektlosigkeit und andere Formen passiven Vandalismus' sind ja leider nicht justitiabel. Aber wie wär's mit einem soliden Hausfriedensbruch? Oder, nun in Richtung Legislative gesprochen, einem Gesetzeserlass zur Geräuschverschmutzung in öffentlichen Gebäuden, die diesbezüglich einen besonderen Schutz verdienen? Alle mildernden Umstände berücksichtigt - man ruft sich ja schließlich nicht selbst an -, wären möglicherweise 500 DM Strafe für jeden Anrufanschlag anzusetzen. (Über ein befristetes Hausverbot, das einige Theaterfreunde vielleicht doch härter träfe, wäre gesondert zu entscheiden.) Also, was käme da allein für Berlin heraus? Nehmen wir nur zwanzig Theater mit jeweils fünf Ruhestörern, dann wären das schon 50.000 DM am Abend. Gehen wir von, aufs Ganze gesehen, eher niedrig veranschlagten 300 Spieltagen aus, dann macht das 15 Millionen (!), die nicht beim Senat oder beim Bund erbettelt werden müssten. 15 Millionen in Berlin, der Deutsche Bühnenverein rechnet schon den Bundesbetrag im dreistelligen Millionenbereich hoch. In den akustisch noch sensibleren wie auch kostenintensiveren Opernhäusern sollte die Mindeststrafe entsprechend höher liegen. Und wer bei Stücken, in denen Handys und Telefone handlungstragend sind, mit gleichlautenden Pieptönen stört, dürfte nicht unter dem zehnfachen der Jahresrechnung davonkommen. Alles in allem eine doch recht ertragreiche Zwischenlösung, bis die öffentliche Theaterfinanzierung neu geordnet ist und selbst die hartnäckigsten Handy-Vandalen zur Besinnung kommen. Zwischen beiden Vorgängen auf den zuerst abgeschlossenen wetten zu lassen, wäre außerdem noch eine schöne Einnahmemöglichkeit, die nicht zu verachten ist - nur haben wir leider nicht die dafur nötige Wettleidenschaft der Engländer und wohl auch zu viele Pessimisten unter uns.
Aber die wichtige Frage ist doch, wer setzt das durch? Wie erspähen, wer's in den Reihen läuten lässt? Schwarze Sheriffs im Parkett oder ein Kronleuchter-Big- Brother mit großem Richt-Ohr? Reichen die Vollmachten eines Fahrschein-Kontrolleurs, um die Theaterkarten der Sünder schon am Pausenbüffet für ein Ordnungsstrafverfahren einzuziehen? Wahrscheinlich nicht. Die Telekommunikationsindustrie ist wieder mal gefragt. Sie soll einen bescheidenen Teil ihrer Aktiengewinne, Kanzler Schröder wird's begrüßen, in entsprechende Forschung stecken. Ziel: der theatereingangstürenaktivierte, die Strafen gleich mit der Rechnung abbuchende Vorstellungs-Sensor in den Geräten, die ja sowieso schon viel zu klein sind und deshalb, den meisten zum Vorteil, wieder ein kleines bisschen größer werden könnten. Dann bliebe nur noch zu regeln, wie das so eingenommene Geld direkt an die Theater geht...
Die Redaktion
Werner Bloch
Robin Detje
Ulrich Deuter
Nora Eckert
Barbara Engelhardt
Jon Fosse
Rolf C. Hemke
Nele Hertling
Henry Hübchen
Thomas Irmer
Frank Kämpfer
Stefan Koslowski
Martin Linzer
Uwe Mattheiß
Nikolaus Merck
Tom Mustroph
Michael Naumann
Luk Perceval
Uta Plate
Michael Quasthoff
Alfred Schlienger
Holger Teschke
Gerda Wurzenberger
Die elektronische Ausgabe steht direkt nach dem Kauf zur Verfügung. Unsere eMagazine können Sie mit nahezu allen Geräten lesen, da das PDF ein plattformunabhängiges Format ist.
Zeitschrift
Neue Bücher
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
Newsletter abonnieren