Heft 03/2001
Wilson in Athen
Prometheus - sprachlos
Broschur mit 84 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Gott ist ein Budget: Gottverlassen, muss man annehmen, sind die Theater. Gott bleibt ab jetzt in der Maschine. Selbst der Papst hat in einem Anflug von binärer Logik erwogen, den heiligen Isidor zum Schutzpatron der Computerprogrammierer und Internetnutzer zu machen. Im Norden Deutschands steht derzeit statt ex machina das Ex-und-hopp der Theater zur Debatte: Diesmal soll das Volkstheater Rostock dran glauben. Die Stadt an der Ostsee hat herausgefunden, dass sie sich ohne ihr bilanzschwaches Theater nicht länger den Kopf über neue Finanzierungswege im Kulturbereich zerbrechen muss (S .26). Das ist atemberaubende Rechen-Kunst. Und die Theater scheinen nur noch überlebensfahig, indem sie diese Rechungen quittieren, so wie man auch für seine Beerdigung zahlen muss.
Auch wenn in den Kommunalverfassungen Theater bisher als "unwirtschaftliche Unternehmen" eingestuft worden sind, die Subventions- und Strukturdebatten im Windschatten McKinseys betrachten die Bühnen nurmehr unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die Überführung vor allem von Stadttheatern in GmbHs wird ein Verständnis des Theaters als außergewöhnlichen, von Marktmechanismen nicht schon usurpierten Denkort zugunsten einer ökonomischen Ästhetik vollkommen ablösen. Auch die Stadt Schwerin will ihr Theater in eine GmbH umwandeln, um die zukünftigen Kostensteigerungen mit dann unter Tarif bezahlten Schauspielern, Tänzern und Musikern abzufangen, wenn sie nicht schon zuvor gekündigt wurden (S. 28). Auch dies wird nur eine kosmetische Behandlung, denn ab 2005 wird selbst das nicht mehr reichen. Die Städte Mecklenburg-Vorpommerns haben in ihren Haushalten aufstabil steigende Zuwendungen vom Land gehofft, aber das Land hat kein Geld mehr. Nachdem sich erst vor kurzem in Brandenburg mit totgesparten Stadttheatern und der Schließung des Kleist Theaters in Frankfurt an der Oder ein ohnehin erschreckendes Szenario bot, scheint sich nun ähnliches in Mecklenburg-Vorpommern anzubahnen. Schon beim Amtsantritt des zuständigen Ministers, Peter Kauffold, war es wie ein Omen erschienen, dass er sich selbst auf seinem Briefpapier nur als Minister für Bildung und Wissenschaft verstanden wissen wollte; nach dezenten Hinweisen hat er sich schließlich noch zur Kultur bekannt. Eine vom Ministerium in Auftrag gegebene Expertise zur Situation der Theater hat nun Land und Kommunen vor das Rätsel ihrer eigenen Kulturpolitik gestellt. Zum einen machte das Gutachten klar, dass der vorgefundene "Mix" aus Sparmaßnahmen auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen sei, geschweige denn als ein Ausdruck der "Neuordnung" der Theater- und Orchesterstrukturen gesehen werden kann. Eher müsse man von einem personellen und finanziellen Schrumpfungsprozess sprechen. Zum anderen zeigen sich die hervorragenden Bilanzen des Landes: dass Mecklenburg-Vorpommerns Zuwendungen an die Theater eindeutig über dem Durchschnitt der alten Bundesländer liegen und dass man im Verhältnis auch mehr Vorstellungen und Besucher als in den alten Bundesländern hat. Man kann eine 60-prozentige Besuchersteigerung bilanzieren und eine Verdopplung der Einnahmen bei enormem Personalabbau usw. Die schmerzliche Stelle sind die niedrigen Einspielergebnisse, die umgehend daran erinnern, dass sich Kaufkraft an Löhnen - und in dieser Region vielleicht auch an der Höhe des Arbeitslosengelds - orientiert. Ein Drittel der Karten gehen zu ermäßigten Preisen an Kinder und Jugendliche.
Zukünftig sollen umstrittene Fusionsmodelle flächendeckende Hilfe bringen. Die bisherige Hoffnung, dass sich die Etats durch erhöhte kommunale Zuwendungen durchsetzen ließen, will man nun über die Mehrbeteiligung von Städten an quasi Landestheaterstrukturen verwirklichen. Wenn parallel dazu in diesen Wochen unter der Leitung von Hilmar Hoffmann eine Expertenkommission für Hessen neue Wege in der Kulturpolitik weisen will, dann steht das aufganz anderen Fahnen. Da will man als Region dem "Phantom der Kulturhauptstadt Berlin" etwas entgegensetzen. So viel mit Kultur kämpfende Hybris möchte man auch Mecklenburg-Vorpomrnern an die Brust werfen.
Gänzlich fern dieser Konflikte - im verdrängungsfrohen Haiderreich - betreibt das haushoch subventionierte Wiener Burgtheater ein bisschen ,,!Revolution!", weil ansonsten keine Selbstgefahrdung ins Haus steht (S. 4). Ein Gott ergebenes Land.
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