Jetztzeit des alten Europa: Peter Hacks' in diesem Heft abgedruckte Komödie "Numa" spielt in der Sozialistischen Republik italien, wo ein Wechsel im "Politbureau" über die Bühne zu bringen ist. Handelt das 1971 geschriebene, nie gespielte und letztes Jahr überarbeitete Stück von der Zukunft? Selbst noch mit dem in die Neufassung eingefügten einen kleinen Bezug auf das 21. Jahrhundert? Es sei jetzt ein historisches Stück, ließ der Dichter am Telefon wissen. Interviews gibt Hacks keine. Man solle seine Stücke aufführen und nicht seine Meinung. Tatsächlich wird Hacks, der in diesem Monat 75 wird, kaum noch gespielt. Und so lange schon, wie er wenig gespielt wird, muss man annehmen, dass sein Werk auch kaum noch bekannt ist. Zur Uraufführung frei ist immer noch das wunderbare Trauerspiel "Jona", ein unbekanntes Stück deutscher Untergangsliteratur, das im Herbst 1989 in die Buchregale kam und dann das Schicksal vieler anderer Bücher jener Zeit teilte: die Müllhalde. In bissigen Couplets hat sich der Dichter seither über die von ihm wenig geschätzte "Jetztzeit" geäußert - und weiter geschrieben.
Das, was Hacks als "große Schreckenswende" bezeichnet, kann durchaus auch im Sinne der einst als internationales "Kräfteverhältnis" veränderten Konstellation gesehen werden: eine Öl-Oligarchie, die über zweifelhafte Wahldaten an die Macht gekommen ist, beherrscht die Weltpolitik mit unabsehbaren Folgen. Ist die US-Regierung von ihrem Kurs noch abzubringen? Wird Europa erneut in zwei Lager zerfallen, bevor es eins geworden ist? Wird die UNO an dem Konflikt zerbrechen? Die Berliner Demonstration vom 15. Februar zeigte, dass Protest auch Witz haben kann. Zwar nicht aufder Bühne, wo KonstantinWecker, Hannes Wader und die Puhdys in die alten Saiten griffen, sondern auf den zahlreichen selbstgebastelten Plakaten ("Drop Bush, Not Bombs") und ironisch an Jacken und Mäntel gepappten Aufklebern "Altes Europa". Falk Richter tritt mit seinem Beitrag (S. 14) für die Pflicht zum Widerspruch ein, ohne Wenn und Aber. Die deutsche Haltung und die Haltung vieler Deutscher als reflexhaften Anti-Amerikanismus abzustempeln, führt in der Sache nicht weiter. Es geht um die USRegierung, der inzwischen auch eine breite Front von Künstlern und Intellektuellen im eigenen Land entgegensteht. Und wie immer, wenn Richter ein Thema angeht, um mediale Manipulation.
Ein international bemerkenswertes Projekt ist Annet Hennemans "Teatro Reportage" - ein Theater von Flüchtlingen über die Erfahrung von Flüchtlingen. Im italienischen Volterra greift Henneman somit eines der bedrückendsten Themen der Gegenwart in einer eigens dafür entwickelten Methode auf. (S. 37) Flucht und Vertreibung werden im 21. Jahrhundert noch zunehmen, solange Weltpolitik vor allem aufoffensichtlich immer weniger steuerbare Kapitalverwertung fußt. Wie es heißt, soll ein US-General nach dem so genannten Präventivschlag Bagdad regieren. Die dortige Bevölkerung wird dieser Art Besatzung - anders als die Westdeutschen nach 1945 - kaum zugetan sein. Ihre Jetztzeit ist die Perspektive, dass ihre Unterdrückung durch eine andere abgelöst wird: noch mehr Flüchtlinge als Wirtschaftsopfer. Der Anti-Amerikanismus würde somit zum kalkulierten Bestandteil amerikanischer Politik. Wahrlich eine Schreckenswende.
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