Heft 05/2004
Theater - Film - Schauspieler
Besichtigung einer Schnittstelle
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Quo vadis? In ihrem in TdZ 03/04 veröffentlichten Thesen zum Funktionswandel der darstellenden Künste diagnostizierten Henning Fülle und Detlev Schneider einen Bedeutungsverlust des Theaters. Die traditionelle Aufgabe der Repräsentation gesellschaftlicher dramatischer Konstellationen sei von Film und Fernsehen übernommen worden; das Theater müsse - ähnlich der Malerei in den Zeiten der aufkommenden Fotografie - seine Aufgabe neu bestimmen, seine Mittel kritisch überprüfen.
Die Diskussion um das Spannungsfeld Theater und Kino ist so alt wie der Film selbst. Bereits Anfang des letzten Jahrhunderts setzten sich zahlreiche Theatermacher mit den Auswirkungen der neuen audiovisuellen Medien auf das Theater auseinander. Zahlreiche Reformprogramme, Ästhetikfestschreibungen und Manifeste, die sich zwischen euphorischer Feier der scheinbar explodierenden Möglichkeiten und verschiedener Gegenbewegungen hin zu einem reinen, puren Theater bewegten, erschienen. Begriffe wie Montage und Simultanität gehörten fortan genauso zum Vokabular des Theaters, wie das Zelluloid Bestandteil von Inszenierungen wurde. Mit dem Boom der Home-Entertainment-Industrie, mit der Entwicklung immer billigerer, leicht bedienbarer und kleinerer elektronischer Ausrüstungen erfuhr die Technikpräsenz auf den Bühnen nochmals einen enormen Anstieg. Kaum eine Inszenierung, die ohne Fernsehgeräte, Videokameras, Mikrophone und ähnliches auskam. Viel ist darüber geschrieben und debattiert worden; meist mit dem Tenor, wie sich das Theater von der Überlast des Filmes zu befreien vermag und dennoch bestimmte Aspekte des eindeutig wirksameren Publikumsmagneten für seine eigene Attraktivität nutzen könne. Nur wenige dieser Diskussionen haben über die technischen Transformationsmedien hinaus das eigentlich Wesentliche des Schauspiels betrachtet: den Schauspieler selbst. Wie verändert sich, wie unterscheidet sich seine Arbeit im Fokus zwischen Film und Theater. Wie wird seine Spiel in den verschiedenen Medien wahrgenommen. Welche Parameter zwischen Illusion und vorgeführter Darstellung, zwischen Authentizität und Als-ob umschreiben sein Wirken. Jens Roselt untersucht für TdZ die Auswirkungen einer nahezu durchtheatralisierten Öffentlichkeit, das Ausbleiben von nichtinszenierten, authentischen Gesten im alltäglichen Leben für die Kunst, deren angestammtes und eigentliches Metier die Darstellung ist. TdZ befragt die Filmemacher Romuald Karmakar und Ulrich Seid!, die beide in ihren letzten Arbeiten den Spagat zwischen Theater und Kino wagten, zu ihren Erfahrungen mit der Grenzgängerschaft; beschreibt vergleichend die Film- und Theaterrollen der Stuttgarter Schauspielerin Katja Danowski und lud Susanne Lothar, Josef Bierbichler, Fabian Hinrichs und Anne Ratte-Polle ein, zu ihren Erfahrungen mit dem Rollenwechsel zwischen Leinwand und Bühne zu schreiben.
Das besondere Verhältnis zu seinen Schauspielern, die außergewöhnliche Rolle, die ihnen an seinem Theater zukommt, war auch eines der Themen, zu denen sich der Volksbühnenchef und Leiter der Ruhrfestspiele Frank Castorf in einem ausführlichen Interview äußert. Wie bei kaum einem anderen Regisseur heben sich in seinen Inszenierungen die Grenzen zwischen Figur und Darsteller auf, vermischen sich Behauptung und Sein zu einem einzigartigen Volksbühnenstil, zu einer eigenen Schauspielästhetik. Castorf verweist im Gespräch auf das Paradox von Realem und Simulation, aufdas Spielen von Krieg gegen das Erleben desselben.
Biljana Srbljanovic, im Krisenherd Balkan lebende und darüber auch schreibende Drarnatikerin, hinterfragt für TdZ die jüngsten Ereignisse im Kosovo. Von der Realität der getöteten Menschen und rassistisch motivierten Unruhen kommt sie zum Spiel um Interessen und Macht - ein kritischer Blick hinter die Kulissen des Balkankonflikts, eine Suche nach den Hintergründen dieses immer wieder aufschwelenden Krisenherdes, der auch vor einer Hinterfragung der Rolle von Nato, EU und UNO nicht halt macht. Quo vadis? Man muss kein Pessimist oder gar Prophet sein, um zu befürchten, dass den Menschen in dieser Region noch lange kein Frieden gegönnt sein wird. Der erbitterte Kampf um die Neuverteilung der Welt nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der damit verbundenen Omnipotenzvision Amerikas lässt sich momentan vielerorts beobachten.
Lange beobachtet hat auch die französische Grande Dame des Theaters, Ariane Mnouchkine, bevor sie mit "Le dernier caravanserail" ein grandioses Epos über Emigration und Vertreibung, eine der "großen Tragödien unserer Zeit" (A. M.), für die Bühne erzählte. Barbara Engelhardt beschreibt für TdZ diese Inszenierung, die auch bei der diesjährigen RuhrTriennale zu sehen sein wird. Der Blick nach Paris offenbart aber auch, dass die nach den Streiks des vergangenen Sommers politisierten Theatermacher Frankreichs diesen Impuls nicht unbedingt in ihre Arbeit hinein getragen haben.
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