Heft 11/2011
Armin Petras. Der Spurenleser
Recherchen zwischen Berlin und Stuttgart
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 280 mm
ISSN 0040-5418
Dass die Aktie Armin Petras als krisenfest gilt und hervorragende Optionen auf die Zukunft eröffnet, gilt unter Insidern seit Längerem als ausgemacht. So war es nur eine Frage der Zeit, dass ein beherzter Kulturdezernent dem Leiter des Maxim Gorki Theaters ein Angebot unterbreiten würde, das dieser nicht ausschlagen kann. Interessanterweise haben ausgerechnet die Headhunter der deutschen Wutbürger-Stadt Nummer eins die Nase vorn: Armin Petras geht 2013 nach Stuttgart. Frank Raddatz entwickelt im Spiel von Frage und Antwort das widerständige Profil des ausgewiesenen Spurensuchers, dessen Ensemble der Hauptstadt fehlen wird.
Während der inszenierende Fährtenleser vornehmlich den Verwerfungen der deutschen Geschichte nachgeht, prüft Karin Beier schon seit einigen Spielzeiten anhand von Texten Elfriede Jelineks in Köln den Katastrophenhorizont unserer Zeit. Die Thematisierung der jüngsten Atomkatastrophe in Japan zeigt, dass der Heiner-Müller-Satz „Die Technik ist das Schicksal“ immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Beziehung zur Natur wird von einer Technologie gestiftet, deren Kosten kaum absehbar sind. Die ausgeblendete Natur im Theater rückt Evi Bauer ins Blickfeld, die das Echte im Theater untersucht, indem sie Schnecken zu Protagonisten erklärt. Dass sich das Tier anders als der Mensch nicht im Offenen verhalten muss, erscheint ihr als Ausweis der Authentizität: Die Tiere „bleiben dabei immer authentisch, weil sie nie versuchen, etwas anderes zu sein, als sie sind“!
Der Schritt vom Objekt der Katastrophen zum systematisch verarschten Subjekt der Geschichte ist nicht nur am Rhein klein. „Empört euch!“, heißt weltweit die Devise der Stunde. Gunnar Decker folgt dem Geist der Revolte vom Deutschen Theater bis ins ferne Marrakesch und stößt auf das Credo, dass, wer verändern will, zuerst bewundern lernen muss. Der Ekel über die Zustände und die Protagonisten der Gier hat mittlerweile nicht nur die Wall Street erreicht, sondern bereits die gesamte arabische Welt in lodernde Aufregung versetzt. Lina Saneh stellt das politische Theater im Libanon vor, eine letzte vorläufig noch stabile Insel im Meer des Aufruhrs. Kein Zufall wohl, dass in Beirut zurzeit eine Heiner-Müller-Welle anlandet, wie Frank Raddatz beobachtet hat, und im Gefolge der „Hamletmaschine“ ausgerechnet Ulrike Meinhof Kultstatus erlangt. Vollendet wird der Komplex durch den Stückabdruck „Biokhraphia“ von Lina Saneh und Rabih Mroué.
Im November jährt sich der Tod Heinrich von Kleists zum 200. Mal. Gunnar Decker beschließt unsere diesjährige Serie zu dem Ausnahmedramatiker und -schriftsteller, der die pure Intensität, die Botschaft der Ekstase jeder gut gemeinten Verbesserung der menschlichen Natur vorzog.
Zwei beachtenswerte Neustarts markieren die Spielzeit 2011/12. Als Nachfolger von Dieter Dorn in München gibt sich Martin Kušej als kreidefressender Wolf, der die bayerischen Abonnentengeißlein auf hohem Niveau in den Schlaf singt, bevor er mit der Regiepranke zuschlagen wird. Unser Korrespondent Christoph Leibold resümiert die derzeitige Theaterwetterlage: „Die Schauspieler haben für das eine oder andere Hoch gesorgt.“ Aus Karlsruhe weiß Otto Paul Burkhardt von einer weiteren Charmeoffensive zu berichten: Generalintendant Peter Spuhler und Schauspieldirektor Jan Linders etablieren dabei mittels einer Sloterdijk-Hommage in der Regie von Patrick Wengenroth das Theater als „debattenfreudiges Kraftzentrum“.
Die Redaktion
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Protagonisten | |
Künstlerinsert: Bühnen und Installationenvon Evi Bauer | Seite 4 |
Aus Sicht der SchneckeDie Bühnenbildnerin und bildende Künstlerin Evi Bauer im Gespräch mit Ute Müller-Tischlervon Ute Müller-Tischler und Evi Bauer | Seite 8 |
Thema | Seite 12 |
Sprache ist LandschaftDer Spurenleser und Intendant des Berliner Maxim Gorki Theaters Armin Petras im Gespräch mit Frank Raddatzvon Frank M. Raddatz und Armin Petras | |
Protagonisten | |
Seelenlandschaft und SpezlwirtschaftBei seinem Auftakt am Münchner Residenztheater überrascht Martin Kušej mit textergebenen Inszenierungen in sauberen Räumen – und gelegentlicher Fadessevon Christoph Leibold | Seite 17 |
Übungen im ÜberforderungsfeldStückchenmarathon im Staatstheater, Sloterdijk-Häppchen im Stadtgebiet – Karlsruhes neuer Intendant Peter Spuhler beginnt mit einer stadtspezifischen Theater- und Charmeoffensivevon Otto Paul Burkhardt | Seite 21 |
Aktuelle Inszenierung | Seite 24 |
Wer hat die Töne gestohlen?Mit der Textcollage „Demokratie in Abendstunden“ und Elfriede Jelineks Fukushima-Stück „Kein Licht“ erkundet Karin Beier in Köln das Verhältnis von Kunst zur Katastrophevon Sebastian Kirsch | |
Essay | Seite 26 |
In den Wind geschrieben?Über Stéphane Hessels „Empört Euch!“ und die Rückkehr des politischen Pathosvon Gunnar Decker | |
Look Out | |
Transgradialer AkustikerDer Regisseur Till Wyler von Ballmoos lässt Musik und Schauspiel, Realität und Fiktion wild durcheinanderwirbelnvon Simone von Büren | Seite 30 |
Mit Inbrunst am AbgrundDie finnische Gruppe Nya Rampen entert die Berliner Szene und bringt liebevoll die Grundfesten des Theaters zum Einsturzvon Anna Teuwen | Seite 31 |
serie | Seite 32 |
WeltenwechslerWarum der Erzromantiker Kleist ein Aufklärer ohne Optimismus istvon Gunnar Decker | |
Kolumne | Seite 35 |
Liebe – solange der Wind wehtWie die Dresdner Edition Azur Kurz- und Kürzesttexte feiertvon Ralph Hammerthaler | |
Ausland | |
Der Held ist das PublikumUnvollkommen und natürlich parteilich – Über politisches Theater im Libanon. Ein Essay zum Stückabdruckvon Lina Saneh | Seite 36 |
Zelle MeinhofWie im Libanon Heiner Müllers Texte den widerständigen Nerv der arabischen Seele treffenvon Frank M. Raddatz | Seite 39 |
Stück | Seite 40 |
BiokhraphiaDeutsch von Monique Bellanvon Rabih Mroué und Lina Saneh | |
Auftritt | |
Berlin: Roulettenburg ist überallVolksbühne: „Der Spieler“ von Fjodor Dostojewski. Regie Frank Castorf, Ausstattung Bert Neumannvon Gunnar Decker | Seite 47 |
Chemnitz: LiebeslebenslügenSchauspielhaus: „Illusionen“ (UA) von Iwan Wyrypajew. Regie Dieter Boyer, Ausstattung Ralph Zegervon Andreas Herrmann | Seite 48 |
Düsseldorf: Zeit der PolitikForum Freies Theater: „Lessons in Revolting. About a Revolution“ von Laila Soliman und Ruud Gielens. Regie Laila Soliman und Ruud Gielensvon Sebastian Kirsch | Seite 49 |
Hannover: Im wilden SachsenSchauspiel Hannover: „Staatsfeind Kohlhaas“ (DSE) von István Tasnádi nach Heinrich von Kleist. Regie Lars-Ole Walburg, Bühne Robert Schweer, Kostüme Moritz Müllervon Dorte Lena Eilers | Seite 50 |
Hannover: Im wilden Sachsen„Die Verlobung in Santo Domingo oder My Sweet Haiti“ (UA) von Kornél Mundruczó und Viktória Petrányi nach Heinrich von Kleist. Regie Kornél Mundruczó, Ausstattung Márton Aghvon Dorte Lena Eilers | Seite 50 |
Kassel: Wo man sich gebraucht fühltStaatstheater: „Nicht hier oder Die Kunst zurückzukehren“ (UA) von Kathrin Röggla. Regie Leopold von Verschuer, Ausstattung Magdalena Gutvon Tina Fibiger | Seite 52 |
Leipzig: Versteckte Fouls jenseits der TorauslinieTheater der Jungen Welt: „Aus der Traum!“ (UA) von Holger Schober. Regie Jürgen Zielinski, Bühne Fabian Gold, Kostüme Doreen Winklervon Christian Horn | Seite 53 |
Senftenberg: Totentanz auf SkiernNeue Bühne: „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal. Bearbeitung Manfred Wekwerth, Regie Sewan Latchinian, Ausstattung Tobias Wartenbergvon Gunnar Decker | Seite 54 |
Warschau: Polens PraterTR Warszawa: „Jackson Pollesch“ (UA) von René Pollesch. Regie René Pollesch, Bühne Chasper Bertschinger, Kostüme Svenja Gassenvon Andrzej Tadeusz Wirth | Seite 55 |
Magazin | |
Avignon des OstensDas Festival Divadelná Nitra in der Südslowakei wird zwanzig. Eine Wiederentdeckungvon Lena Schneider | Seite 56 |
Auf Vater Ludwigs ThronWie Stefan Fischer-Fels als neuer Leiter des Berliner Grips Theaters als Nachfolger von Volker Ludwig zwischen Erbe und Erneuerung zu vermitteln suchtvon Patrick Wildermann | Seite 59 |
Der Traum und der TodVor zehn Jahren starb der Autor, Übersetzer und Filmemacher Thomas Braschvon Gunnar Decker | Seite 60 |
Advokat europäischer KulturZum Tod des Theaterwissenschaftlers Dragan Klaicvon Wolfgang Schneider | Seite 62 |
Tanz der GenerationenDas Theater Rudolstadt sorgt mit seinem 60plus-Theaterfestival für anhaltende „Ruhestörung“von Frank Quilitzsch | Seite 63 |
Bücher | Seite 64 |
Dichter, Krieger, DickschädelPublikationen zum 200. Todestag von Heinrich von Kleist – eine literarische Rundschauvon Holger Teschke | |
Magazin | |
kirsch kontexteJa, das Meer ist so blau, so blauvon Sebastian Kirsch | Seite 65 |
In eigener Sache: 15 Jahre Buchverlag, 65 Jahre Zeitschrift, 80 Jahre Martin Linzer – Theater der Zeit feierte am 30. September 2011 im Roten Salon der Volksbühne dreifaches Jubiläum | Seite 66 |
Linzers Eck | Seite 67 |
Die anstößige HelenaFlächen, die die Welt bedeuten – früher aber doch schöner waren. Eine historische Reminiszenz an die Theaterplakatmalereivon Martin Linzer | |
Aktuell | Seite 68 |
Meldungen | |
Kommentar | Seite 70 |
Theater mit dem SchwertUngarn: Der Rechtsextremismus wird institutionalisiert – jetzt auch in einem Theater in Budapestvon Andrea Tompa | |
Aktuell | |
Aus den KorrespondentenbürosBerlin / Stuttgart: Armin Petras wechselt nach Stuttgartvon Otto Paul Burkhardt | Seite 71 |
Berlin: Bundesverdienstkreuz für Obdachlosentheaterleiter Gunter Seidlervon Vera Salm | Seite 71 |
Hingehörtvon Gerwig Epkes | Seite 72 |
Premieren | Seite 73 |
November 2011 | |
Autoren | Seite 79 |
Impressum | Seite 79 |
Vorschau | Seite 79 |
Gespräch | Seite 80 |
Was macht das Theater, Theodoros Terzopoulos?von Ute Müller-Tischler und Theodoros Terzopoulos |
Evi Bauer
Otto Paul Burkhardt
Gunnar Decker
Dorte Lena Eilers
Gerwig Epkes
Tina Fibiger
Ralph Hammerthaler
Andreas Herrmann
Christian Horn
Sebastian Kirsch
Christoph Leibold
Martin Linzer
Rabih Mroué
Ute Müller-Tischler
Armin Petras
Frank Quilitzsch
Frank M. Raddatz
Vera Salm
Lina Saneh
Lena Schneider
Wolfgang Schneider
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