Heft 09/2012
Eine Frage der Haltung: Lars Eidinger / Jürgen Schitthelm
50 Jahre Schaubühne Berlin
Broschur mit 128 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Das Rätsel der Kunst besteht darin, dass wir nicht wissen, was sie ist, bis sie nicht mehr das ist, was sie war“, sagt die amerikanische Kunsthistorikerin und diesjährige Leiterin der dOCUMENTA Carolyn Christov-Bakargiev. Mit der Kunst gibt sich das Einmalige der Zeit einen singulären Ausdruck. Ute Müller-Tischler und unser Fotograf Holger Herschel sind für uns über die dOCUMENTA (13) gestreift und haben Eindrücke für unser Künstlerinsert gesammelt. Da die Zeit fließt und sich Geschichte verändert, wandeln sich auch die Formen des künstlerischen Ausdrucks. 1962, vor 50 Jahren, wurde die Schaubühne am Halleschen Ufer Berlin gegründet. 1969 wurde hier das aufregendste Theaterexperiment der alten Bundesrepublik initiiert. Eine von Schauspielern, Regisseuren, Dramaturgen, Technikern, Bühnen- und Kostümbildnern gemeinsam geleitete Bühne, an der mit enormem Erfolg künstlerische Selbstbestimmung praktiziert und gelebt wurde. Während Peter Stein, damaliger künstlerischer Leiter, gegenüber Frank Raddatz die Konzeption und Zielsetzungen dieses radikalen Entwurfs aus der Spezifik der historischen Situation erklärt – „Wir hatten den Wind im Rücken!“ –, sondiert Gunnar Decker mit Direktor Jürgen Schitthelm und Schaubühnen-Schauspieler Lars Eidinger die derzeitige Stellung dieses Theaters in der gesamtdeutschen Hauptstadt.
Findet das aufregendste Theater unserer Tage womöglich im Ruhrgebiet statt?, fragt man sich angesichts des Gesprächs von Sebastian Kirsch mit Heiner Goebbels, dem neuen Boss der Ruhrtriennale. Selbst noch einer Generation angehörend, die von der Oma und nicht vom Fernseher sozialisiert wurde, plädiert der bekennende Polyzentrist für eine Selbstermächtigung des Blicks, für eine Wahrnehmung, die dem Betrachter oder Hörer unbedingte Freiheit ermöglicht. „Diesen Wahrnehmungsbegriff würde ich jener Attacke entgegensetzen, der wir in den Medien, im Fernsehen, im Kino, aber auch in den Shoppingmalls permanent ausgesetzt sind und der etwas Totalitäres hat.“ Der Hieb geht gegen Wagner und dessen synthetisches Gesamtkunstwerk, den Prototyp künftiger Massenkultur, wie Nietzsche feinfühlig diagnostizierte. Auf dem Programm steht dann auch Jan Philipp Glogers Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ in Bayreuth, den Dorte Lena Eilers mit Alain Badious Lehre der Inästhetik geschärft unter die Lupe nimmt. Trotz aller Offenheit, um die man sich an der Oberfläche bemüht, enthält man weiterhin das gut gebräunte Archiv mit Lovelettern vom Wolf, dem Führer, einer Schlingensief geschulten Theateröffentlichkeit vor. Hans Jürgen Syberberg kommentiert gepfeffert. Wir fordern: Hitlers Briefe auf den Tisch oder Subventionen zurückzahlen.
Dann lieber weiter zu Hanns Eisler, dessen 50. Todestag die gebildete Welt am 6. September gedenkt, wie Friedrich Dieckmann schreibt, der den großen Komponisten mit weltpolitischem Bewusstsein würdigt. Sie hingen damals offenbar untrennbar zusammen, die Zeit und die Politik – und also auch die Kunst. Dass diese Verbindung nicht pure Nostalgie bleibt, zeigt ein Blick auf die diesjährigen Festivals in Wien, Wiesbaden, Mainz, Bergen, Marseille, London und Bayreuth. „Das Politische“, schreibt Kolumnist Hans-Thies Lehmann, „erlebt ein Comeback!“ Über die Grenzen Europas blicken Renate Klett, die auf dem Festival Luminato in Toronto „Einstein on the Beach“ und „Spades“ der Theatermagier Robert Wilson und Robert Lepage erlebt hat und erlebbar macht, sowie Paul Tischler, der in Bogotá die Leiterin des Festivals Iberoamericano de Teatro Anamarta de Pizarro zum größten Theaterfest der Welt befragt.
Trauer befällt uns angesichts des unerwarteten Todes von Susanne Lothar. Gunnar Decker schreibt jener Theaterrollen gedenkend, die ihr wie Vampire das Blut aussogen.
Die Redaktion
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Protagonisten | |
Künstlerinsert„12 Ballads for Huguenot House“ von Theaster Gates auf der dOCUMENTA (13) in Kasselvon Theaster Gates | Seite 8 |
Verwirrt Euch!Die dOCUMENTA (13) sucht Sprachlücken in einer Zeit, in der alles gesagt zu sein scheintvon Ute Müller-Tischlerzum Online-Extra: Bildergalerie dOCUMENTA | Seite 12 |
Thema | |
Eine Frage der Haltung50 Jahre Schaubühne Berlin: Direktor Jürgen Schitthelm und Schauspieler Lars Eidinger über Herkunft und Zukunft eines politischen Experiments im Gespräch mit Gunnar Deckervon Gunnar Decker, Jürgen Schitthelm und Lars Eidinger | Seite 16 |
Den Wind im RückenPeter Stein über die Berliner Schaubühne als gelebte Utopie eines selbstbestimmten Theaters, befragt von Frank Raddatzvon Frank M. Raddatz und Peter Stein | Seite 20 |
Protagonisten | Seite 24 |
Antiautoritäre AffekteDer Intendant der Ruhrtriennale Heiner Goebbels über dezentrale Landschaften und die Souveränität des Betrachters im Gespräch mit Sebastian Kirschvon Sebastian Kirsch und Heiner Goebbels | |
Kolumne | Seite 27 |
In Zeiten der Krise findet das Theater zu Engagement und Empörung zurückvon Hans-Thies Lehmann | |
Festivals | |
Unter MenschenDie Wiener Festwochen loten unter dem Motto „Anatomie der Krise“ ernst und politisch fundiert die globale Gegenwart ausvon Margarete Affenzeller | Seite 30 |
Am Tag als Tito starbDie Theaterbiennale Neue Stücke aus Europa in Wiesbaden und Mainz beschäftigt sich mit nationalen Traumatavon Shirin Sojitrawalla | Seite 34 |
Glückliche TageWie die Festspiele Bergen im scheinbar krisenfreien Norwegen der Krise eine Sprache gebenvon Dorte Lena Eilers | Seite 36 |
Atmen und atmen lassenFrankreich nach Sarkozy: Wie Marseille sich auf den Status als Kulturhauptstadt 2013 vorbereitetvon Natalie Hofmannzum Online-Extra: Bildergalerie Marseille | Seite 38 |
Des Fackelträgers langer SchattenDas Globe to Globe Festival in London zeigt alle 37 Stücke Shakespeares und stößt wie nebenbei auf deren politische Untertönevon Heather Neill | Seite 40 |
Eine Unbekannte zu vielJan Philipp Glogers „Fliegender Holländer“ und der Kampf mit Bayreuths Vergangenheitvon Dorte Lena Eilers | Seite 42 |
Aktuelle Inszenierung | Seite 44 |
Magische AltmeisterMit „Einstein on the Beach“ und „Spades“ zeigt das Festival Luminato in Toronto zwei irisierende Stücke von Robert Wilson und Robert Lepagevon Renate Klett | |
Ausland | |
Der Gigant von BogotáAnamarta de Pizarro, Leiterin des Festivals Iberoamericano de Teatro, über das größte Theaterfest der Welt im Gesprächvon Paul Tischler und Anamarta de Pizarrozum Online-Extra: Bildergalerie Bogotá | Seite 46 |
Aufbruch und WandelÜber die Erneuerung des kolumbianischen Theatersvon Katja Kessing | Seite 49 |
Protagonisten | Seite 56 |
„Anmut sparet nicht noch Mühe“Hanns Eislers gedenkendvon Friedrich Dieckmann | |
Look Out | |
Der GesprächskünstlerErinnerungssammler Mats Staub spürt in seinen Installationen den Fäden zwischen Biografie, Geschichte und Ort nachvon Simone von Büren | Seite 58 |
Die UmtäuferinDie Schauspielerin Dagmar Geppert forscht unter der Oberfläche – schonungslos, einprägsam, persönlichvon Friederike Felbeck | Seite 59 |
Stücke | |
Was wisst ihr schonHolger Teschke über seine Bearbeitung von Erwin Strittmatters „Der Laden“ im Gesprächvon Lena Schneider und Holger Teschke | Seite 60 |
Der Laden von Erwin StrittmatterZweiter Abend / Theaterfassung von Holger Teschkevon Holger Teschke und Erwin Strittmatter | Seite 62 |
Magazin | |
Du bist der NächsteDas Performing Arts Festival Pazz in Oldenburg arbeitet sich an der Faszination des biografischen Erzählens abvon Anna Opel | Seite 88 |
Das Ich ist ein GefängnisNeue Stücke von jungen Frauen bei der Langen Nacht der Autoren am Deutschen Theater Berlinvon Anna Opel | Seite 90 |
Knutschen kann man nicht alleineDas diesjährige Stück Labor Basel geht mit drei Uraufführungen in Basel, Luzern und Biel Solothurn zu Ende – und nicht alles geht dabei auch aufvon Dominique Spirgi | Seite 91 |
Ansichten eines WildschweinsDer Einbruch des Theaters in die Natur – Das Festival Up to Nature in Wienvon Susanne Fernandes Silva | Seite 92 |
Agent KHBLizenz zum Fördern: Zum 80. Geburtstag des Theaterverlegers Karlheinz Braunvon Hans-Thies Lehmann | Seite 94 |
kirschs kontexteEin Tigersprung ins Stummfilmzeitaltervon Sebastian Kirsch | Seite 95 |
Bewohnerin der VorhölleZum Tod der Schauspielerin Susanne Lotharvon Gunnar Decker | Seite 96 |
Brechts LandsmannZum Tod des Theaterwissenschaftlers und Kritikers Ernst Schumachervon Detlef Friedrich | Seite 97 |
Bücher | |
Schulzenhofer GramkalenderErwin Strittmatter: Nachrichten aus meinem Leben. Aufbau Verlag, Berlin 2012, 530 S., 24,99 EUR; Annette Leo: Erwin Strittmatter. Die Biographie. Aufbau Verlag, Berlin 2012, 400 S., 24,99 EUR.von Holger Teschke | Seite 98 |
Provokateur der alten BRDDavid Barnett: Rainer Werner Fassbinder. Theater als Provokation. Henschel, Leipzig 2012, 160 S., 29,90 EUR.von Sebastian Kirsch | Seite 99 |
Aktuell | Seite 100 |
Aus den Korrespondentenbüros: Moers: Schlosstheater vor dem Ausvon Sebastian Kirsch | |
Aus den Korrespondentenbüros: Thüringen: Altenburg-Gera und Eisenach ringen ums Überlebenvon Frauke Adrians | |
Linzers Eck | Seite 101 |
Intendant/-in gesucht, möglichst pflegeleichtSuchet, so werdet ihr finden, weiß die Heilige Schrift – dass es auch anders geht, wissen die Stadthäupter in Leipzig und Berlinvon Martin Linzer | |
Premieren | Seite 102 |
September 2012 | |
Kommentar | Seite 105 |
Was Bayreuth sein könnteHans Jürgen Syberberg über die geforderte Öffnung der Wagner-Archivevon Hans Jürgen Syberberg | |
Aktuell | |
FilmEine Liebe am Ende des Lebensvon Ralf Schenk | Seite 106 |
HörspielLeben und sterbenvon Gerwig Epkes | Seite 106 |
KunstAm Ende der Zeitvon Dominic Eichler | Seite 107 |
MusikImaginäres Endzeitkinovon Ulrike Rechel | Seite 107 |
2012 . 2013Wie wollen wir leben? | Seite 120 |
Meldungen | Seite 121 |
In eigener Sache | Seite 122 |
Impressum | Seite 123 |
Autoren | Seite 123 |
Vorschau | Seite 123 |
Gespräch | Seite 124 |
Was macht das Theater, Peaches?von Ulrike Rechel und Merrill Nisker (Peaches) |
Frauke Adrians
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Verwirrt Euch!Die dOCUMENTA (13) sucht Sprachlücken in einer Zeit, in der alles gesagt zu sein scheintvon Ute Müller-Tischlerzum Online-Extra: Bildergalerie dOCUMENTA | |
Festivals | Seite 38 |
Atmen und atmen lassenFrankreich nach Sarkozy: Wie Marseille sich auf den Status als Kulturhauptstadt 2013 vorbereitetvon Natalie Hofmannzum Online-Extra: Bildergalerie Marseille | |
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Der Gigant von BogotáAnamarta de Pizarro, Leiterin des Festivals Iberoamericano de Teatro, über das größte Theaterfest der Welt im Gesprächvon Paul Tischler und Anamarta de Pizarrozum Online-Extra: Bildergalerie Bogotá |
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