Heft 06/2016
Isabelle Huppert: Exklusiv im Gespräch
Broschur mit 88 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Dieses Heft ist leider vergriffen und nur noch als PDF erhältlich.
Als wir kürzlich mit einem Kollegen aus den USA zusammensaßen, kamen wir unweigerlich und ohne Umschweife auf „die Lage“ zu sprechen. Im österreichischen Fernsehen hatten sich zwei Tage zuvor die beiden Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen (Grüne) und Norbert Hofer (FPÖ) ein hochnotpeinliches TV-Duell geliefert. „Wie nehmt ihr“, fragten wir den Kollegen, „die gegenwärtige Lage in Europa wahr?“ „Nun ja“, sagte er. „Wir vergleichen das tatsächlich mit Donald Trump.“
Eine Trumpisierung Europas? Unmöglich! Oder fühlen wir uns, während wir aus vermeintlich sicherer Entfernung mit dem Finger auf diesen gefährlichen Politclown zeigen, zu sicher? Die Berichte der beiden österreichischen Dramatiker Ferdinand Schmalz und Thomas Köck aus ihrem Heimatland klingen jedenfalls gar nicht gut. „Wer schon mal an den Stammtischen der Alpenrepublik Platz genommen hat“, schreibt Schmalz in seinem Kommentar, „dem ist jegliche Verwunderung über die politische Lage (…) abhandengekommen. (…) Immer wieder lässt sich da eine völkische Gesinnung durchschmecken, immer wieder wird da die Gewaltbereitschaft im Ernstfall betont.“ Im Interview mit Dorte Lena Eilers verweist Köck auf das große Ganze: „Dass die neue Rechte europaweit überhaupt so stark werden konnte, ist (…) ein weiteres Symptom des deregulierten Finanzsystems.“ Sein Stück „paradies fluten (verirrte sinfonie)“, das wir in diesem Heft abdrucken, liefert eine furiose Analyse dazu.
Eine Frau allein am Meer. Während bei der diesjährigen Berlinale die Flüchtlingsdokumentation „Fuocoammare“ den Hauptpreis gewann, setzte die Jury bei der Vergabe des Silbernen Bären auf ein fein gesponnenes psychologisches Drama: „L’avenir“ (Die Ankunft), die Frau: Isabelle Huppert. Viel zu lange war die Grande Dame des französischen Films nur auf der Leinwand zu sehen, nun spielt sie endlich wieder Theater: in Krzysztof Warlikowskis „Phèdre(s)“ am Odéon Théâtre de l‘Europe in Paris. Unsere Frankreich-Korrespondentin Lena Schneider hat Huppert zu einem Exklusivinterview getroffen: „Sie ist, was zu erwarten war, ganz anders als erwartet. Geerdet. Freundlich. Geduldig. Und, manchmal, beinahe koboldhaft.“
Aus der glitzernden, durch die Terroranschläge schwer getroffenen Metropole ziehen sich die gedanklichen Fäden bis ins deutsche Theater. Innerhalb weniger Monate kam an drei großen Häusern Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ heraus. Gunnar Decker hat die Inszenierungen in Hamburg, Dresden und Berlin besucht. Sein Fazit: Nur Karin Beiers Version am Schauspielhaus Hamburg vermag den Kern dieses Romans zu treffen, nämlich „die Kulturkritik dessen, was sich hier als überlebt erwiesen hat. Unsere postbürgerliche wie postproletarische Realität, die sich lauter Prothesen bedient, um Kapital und Demokratie in einem Zusammenhang zu halten, der nicht offenkundig der des Gegensatzes ist.“ Das sei die Ebene, auf der das Theater auf unerwartete Weise politisiert werde.
Über Spielarten des politischen Theaters diskutieren in dieser Ausgabe auch Florian Malzacher, Leiter des Festivals Impulse, und Bernd Stegemann, Autor und Dramaturg. Gießen-Absolvent der eine, Professor an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin der andere, stoßen hier Ansätze aufeinander, die Realitätserkundungen im Theater je anders formulieren. „Für mich ist Spiel ganz klassisch, von Brecht aus gedacht, das Ereignis, das die Wiederholung der Widersprüche der Gesellschaft auf der Bühne sichtbar werden lässt“, sagt Stegemann. „Dadurch habe ich die Möglichkeit, den Widersprüchen anders zuzuschauen, als ich es in der Realität kann.“ Malzacher: „Da bin ich erst mal d’accord. Aber das Problem entsteht zum einen, wenn es beim rein kontemplativen Beobachten bleibt. Zum anderen ist die Frage, welche Schauspieler wen repräsentieren.“
Mit diesem Aspekt hat William Kentridge keine Probleme. Er repräsentiert sich gern selbst, und das gleich mehrfach in seinen hochpoetischen, gleichzeitig die großen Themen Migration, Flucht und Diskriminierung einfangenden Arbeiten. Ute Müller-Tischler hat den Multikünstler für unser Künstlerinsert porträtiert.
Mit unserem Arbeitsbuch über Frank Castorf, das am 1. Juli 2016 erscheinen wird, verabschieden wir uns in die Spielzeitpause. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern einen schönen Sommer.
Die Redaktion
Artikel | Seite |
---|---|
Artikel | Seite |
Künstlerinsert | |
Filminstallationvon William Kentridge | Seite 4 |
Auf der Suche nach der verlorenen ZeitDer Universalkünstler William Kentridge zeigt sein transdisziplinäres Gesamtwerk erstmals in Berlinvon Ute Müller-Tischler | Seite 8 |
Thema | Seite 10 |
Die Brandwunde des BegehrensIsabelle Huppert, die Grande Dame des französischen Films, spielt endlich wieder Theater: „Phèdre(s)“ in der Regie von Krzysztof Warlikowski. Ein Gespräch mit Lena Schneidervon Lena Schneider und Isabelle Huppert | |
Kommentar | Seite 15 |
maulheldenplatzenvon Ferdinand Schmalz | |
Aktuelle Inszenierung | Seite 16 |
Ein Pakt mit wem?„Unterwerfung“ von Michel Houellebecq in Hamburg, Dresden und Berlinvon Gunnar Decker | |
Kolumne | Seite 19 |
Bist auch du Albaner?Nix aber: In Kosovo foppt ein Festival den Balkanvon Ralph Hammerthaler | |
Protagonisten | |
Zwischen Tahrir-Platz und StadttheaterWas ist politisches Theater? – Florian Malzacher, Leiter des Impulse Theater Festivals, und Bernd Stegemann, Autor und Dramaturg, im Gespräch mit Matthias Frense und Sebastian Brohnvon Florian Malzacher, Bernd Stegemann, Matthias Frense und Sebastian Brohn | Seite 20 |
SelbstzündungWarum Brecht, richtig gelesen, ein wichtiger Komplize für das Theater der Zukunft istvon Hans-Thies Lehmann | Seite 26 |
Einübung ins AbsurdeDas Theater Trier probt unter neuem Leitungsteam die Genreüberschreitungvon Gunnar Decker | Seite 28 |
Das Internet der DingeDer neue Intendant der Schaubude Berlin Tim Sandweg sucht neue Schnittstellen für das Puppen-, Figuren und Objekttheatervon Tom Mustroph | Seite 30 |
Look Out | |
Vom Ich zum WirDie Schauspielerin Stella Hilb zieht gegen die emotionale Verkrüppelung zu Feldevon Theresa Schütz | Seite 32 |
Böser Clown, zarter MörderSchauspieler mit Zirkushintergrund – Paul Behren empfiehlt sich am Münchner Volkstheater für sensible Kippfigurenvon Sabine Leucht | Seite 33 |
Protagonisten | Seite 34 |
Musiktheatrale ArchäologieDie Gruppe Kommando Himmelfahrt steht für groß gedachtes, aber zugleich lustvoll verspieltes Musik- und Ideentheatervon Robert Matthies | |
Auftritt | |
Basel: GesichterdrückenTheater Basel: „Der Menschen Feind“ (UA) von PeterLicht nach Molière. Regie Claudia Bauer, Ausstattung Patricia Talacko und Dirk Thielevon Dominique Spirgi | Seite 37 |
Dresden/Hanoi: Eine Mär von MaßlosigkeitJugendthewater Hanoi/TJG Dresden: „Der Fischer und seine Frau“ von Einar Schleef nach den Brüdern Grimm. Regie Dominik Günther, Ausstattung Doan Bangvon Michael Bartsch | Seite 38 |
Frankfurt am Main: Liebe, desinfiziertSchauspiel Frankfurt: „Der alte Affe Angst“ (UA) nach Oskar Roehler. Regie Ersan Mondtag, Bühne Stefan Britze, Kostüme Raphaela Rosevon Shirin Sojitrawalla | Seite 39 |
Ingolstadt: Was ist ein Mann?Stadttheater Ingolstadt: „In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich“ (DSE) von Rayhana. Regie Brit Bartkowiak, Bühne Nikolaus Frinke, Kostüme Carolin Schogsvon Sabine Leucht | Seite 40 |
Kiel: Teppich der ErinnerungSchauspiel Kiel: „Die Zehn Gebote“ (UA) von Feridun Zaimoglu/Günter Senkel und Shlomo Moskovitz. Regie Annette Pullen (Teil 1), Dedi Baron (Teil 2), Bühne Lars Peter, Kostüme Barbara Eigner (Teil 1),von Natalie Fingerhut | Seite 41 |
Konstanz: Vom WegfallenTheater Konstanz: „Mumien. Ein Heimspiel“ (UA) von Mehdi Moradpour. Regie Andreas Bauer, Ausstattung Christian Pölzlervon Bodo Blitz | Seite 42 |
München: Wo ist wo?Münchner Kammerspiele: „Wut“ (UA) von Elfriede Jelinek. Regie Nicolas Stemann, Bühne Katrin Nottrodt, Kostüme Katrin Wolfermannvon Christoph Leibold | Seite 43 |
Plauen: Politisches MenetekelTheater Plauen-Zwickau: „Jeder stirbt für sich allein“ nach Hans Fallada. Regie Till Weinheimer, Ausstattung Sibylle Gädekevon Michael Bartsch | Seite 45 |
Stück | |
Mythologie des KapitalismusDer österreichische Autor Thomas Köck über sein Stück „paradies fluten (verirrte sinfonie)“ im Gespräch mit Dorte Lena Eilersvon Dorte Lena Eilers und Thomas Köckzum Online-Extra: Mythologie des Kapitalismus | Seite 46 |
paradies fluten (verirrte sinfonie)teil eins der klimatrilogievon Thomas Köck | Seite 48 |
Magazin | |
Im surrealen PartykellerIn der Prager Spielstätte Jatka 78 und am Berliner Chamäleon Theater arbeitet der tschechische Cirk La Putyka an einer Vision des Neuen Zirkusvon Mirka Döring | Seite 67 |
Das verwundete LandDas Gastland Belgien wirft beim Heidelberger Stückemarkt 2016 Fragen nach der politischen Relevanz des Theaters aufvon Otto Paul Burkhardt | Seite 68 |
Die Stiska-FormelFür Rolf Stiska zum Abschied als Geschäftsführer der Theater, Oper und Orchester GmbH Hallevon Matthias Brenner | Seite 70 |
kirschs kontexte: Günstige Zeiten für TheaterGute Wünsche zum Ende der Spielzeitvon Sebastian Kirsch | Seite 71 |
Liaison aus Regionalität und WeltläufigkeitRainer Mennicken verabschiedet sich als Intendant des Landestheaters Linzvon Franz Schwabeneder | Seite 73 |
Die Utopie der SatireDer Intendant Johannes C. Hoflehner verlässt nach 16 Jahren das österreichische Theater Forum Schwechatvon Marianne Vejtisek | Seite 74 |
Zerrissene LebenSibylle Berg wurde mit dem 65. Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnetvon Thomas Irmer | Seite 75 |
Soul Food„Theatre in Transformation“ – eine Konferenz in Südafrika zeigt die Theaterszene des Landes auf der Suche nach ihrer zukünftigen Rollevon Henning Fülle | Seite 76 |
LeserbriefAnmerkung zur Kolumne von Josef Bierbichler in TdZ 4/2016von Helmar Harald Fischer | Seite 77 |
Wirklich unwirklichIm April starb die niederländische Schauspielerin und Theaterregisseurin Cox Habbemavon Olaf Brühl | Seite 78 |
Brückenbauer und ZeitreisenderZum Tod Tomaž Pandursvon Thomas Irmer | Seite 79 |
Ein Diener fürs BestmöglicheDieter Mann: Schöne Vorstellung. Eine Autobiographie in Gesprächen mit Hans-Dieter Schütt. Aufbau Verlag, Berlin 2016, 332 S., 19,95 EUR.von Holger Teschke | Seite 80 |
Brandenburgisch gelitten und gefreutMolière „Amphitrion“ – Heinrich von Kleist „Amphitryon“. Vergleichende Edition. Hg. von Klaus Kanzog, Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn 2015, 160 S., 30 EUR.von Alexander Weigel | Seite 81 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 82 |
TdZ on Tour | Seite 83 |
PremierenJuni 2016 | Seite 84 |
TdZ on Tour | Seite 86 |
Impressum/Vorschau | Seite 87 |
Gespräch | Seite 88 |
Was macht das Theater, Stefan Stern?von Tom Mustroph und Stefan Stern |
Michael Bartsch
Bodo Blitz
Matthias Brenner
Sebastian Brohn
Olaf Brühl
Otto Paul Burkhardt
Gunnar Decker
Mirka Döring
Dorte Lena Eilers
Natalie Fingerhut
Helmar Harald Fischer
Matthias Frense
Henning Fülle
Ralph Hammerthaler
Isabelle Huppert
Thomas Irmer
William Kentridge
Sebastian Kirsch
Thomas Köck
Hans-Thies Lehmann
Christoph Leibold
Sabine Leucht
Florian Malzacher
Robert Matthies
Ute Müller-Tischler
Tom Mustroph
Ferdinand Schmalz
Lena Schneider
Theresa Schütz
Franz Schwabeneder
Shirin Sojitrawalla
Dominique Spirgi
Bernd Stegemann
Stefan Stern
Holger Teschke
Marianne Vejtisek
Alexander Weigel
Artikel | Seite |
---|---|
Artikel | Seite |
Stück | Seite 46 |
Mythologie des KapitalismusDer österreichische Autor Thomas Köck über sein Stück „paradies fluten (verirrte sinfonie)“ im Gespräch mit Dorte Lena Eilersvon Dorte Lena Eilers und Thomas Köckzum Online-Extra: Mythologie des Kapitalismus |
Die elektronische Ausgabe steht direkt nach dem Kauf zur Verfügung. Unsere eMagazine können Sie mit nahezu allen Geräten lesen, da das PDF ein plattformunabhängiges Format ist.
Zeitschrift
Neue Bücher
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
Newsletter abonnieren