Aktuelle Inszenierung

Ein Pakt mit wem?

„Unterwerfung“ von Michel Houellebecq in Hamburg, Dresden und Berlin

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Solide – aber bieder. Malte C. Lachmanns „Unterwerfung“ in Dresden (hier mit Christian Erdmann) bringt nichts Bedrängendes hervor. Foto David Baltzer
Solide – aber bieder. Malte C. Lachmanns „Unterwerfung“ in Dresden (hier mit Christian Erdmann) bringt nichts Bedrängendes hervor. Foto David Baltzer

Es gibt Kompromisse im Leben, auch faule. Aber eine Unterwerfung liegt jenseits davon, hat etwas mit Auslöschung des Bisherigen zu tun: Der eine herrscht, der andere unterwirft sich ihm. Eine überaus provokante Zuspitzung bereits im Titel jenes Science-Fiction-Sujets, das Michel Houellebecq entwirft. Doch das Jahr 2022, in dem er in „Unterwerfung“ seine Geschichte eines muslimisch regierten Frankreichs ansiedelt, ist nicht mehr weit. Und Schüsse von Islamisten auf Cafébesucher in Paris haben für manchen bereits den Charakter eines Prologs zum Bürgerkrieg, der bei Houellebecq den politischen und kulturellen Umwälzungen zugrunde liegt.

Interessant ist nun, dass der französische Titel „Soumission“ nicht so eindeutig apodiktisch ist wie der deutsche „Unterwerfung“. Im Französischen gibt es noch andere Nebenbedeutungen wie Unterordnung, Ergebung oder auch Angebot. Und darum geht es hier schließlich: Am Ende nimmt der Huysmans-Experte François von der Pariser Sorbonne, die mittlerweile von den Saudis finanziert wird, ein Angebot an, das er nicht ablehnen will, obwohl er es könnte. Wie steht es um unsere politische Kultur, die akademischen Eliten in ihr? Das ist die Frage des Buches. Antwort: noch schlechter als erwartet.

Ein Thema, das den Nerv vieler trifft, sonst wären nicht sämtliche Inszenierungen von „Unterwerfung“ – in Hamburg, Dresden und Berlin – lange im Voraus ausverkauft. Allerdings sind Houellebecq-Roman-Adaptionen auf der Bühne seit jeher Bestseller – von „Ausweitung der Kampfzone“ über „Elementarteilchen“ bis zu „Plattform“. Woran liegt das? Vor allem wohl daran, dass Houellebecq die Haupthelden seiner Romane wie Alter Egos anlegt: sämtlich spätromantische Intellektuelle, die sich in eine Gegenwart verschlagen fühlen, die für sie eine Form der Auflösung darstellt. Sie sind einsam und in ihren Urteilen extrem, darüber hinaus skrupellose Egomanen, die ihre Weltverachtung mittels exzessiver Sexualität und sehr viel Alkohol in eine dandyhafte Pose bringen, für die so mancher sie bewundert.

In „Unterwerfung“ wird dann der exaltierte Forschungsgegenstand Huysmans zum Sprachrohr für Houellebecq selbst: „Mein Leben ekelt mich an, ich bin meiner überdrüssig, aber deswegen ein neues Leben zu führen ist doch ein großer Schritt!“ Darum geht es: Liebe, Hoffnung, Glaube, die braucht, wer eine Zukunft will, die anders ist als die Gegenwart. Doch wer hat die Kraft dazu? Die von ihrem Selbstekel, ihrer Skepsis und Dekadenz aufgezehrte intellektuelle Elite Europas schon mal nicht – so die suggestive Setzung Houellebecqs. Also, neue Männer braucht das Land?

Am dringlichsten wird das am Schauspielhaus Hamburg, in der Regie von Karin Beier (siehe auch Interview in TdZ 4/2016). Edgar Selge, ganz allein mit dem Text, vermag auch am weitesten zu gehen. Nein, nicht ganz allein, da ist auch ein großes leuchtendes Kreuz auf der dunklen Bühne von Olaf Altmann. Eine Litanei aus dem Off ist zu hören, eine Stimme, die etwas auf Französisch vorliest – und sofort beginnt auch das Kreuz im Rücken von Edgar Selge aus der Balance zu kippen. „Wissen Sie, wer das ist? Michel Houellebecq“, so beginnt der Alleinunterhalter diesen Dialog mit dem Autor. Selge kann sich sprechend sehr schmal machen. Dann kauert er, ganz dienstbarer Geist, im Kreuz wie in einer Fensternische, einem Jüngling gleich, der an einem Sommerabend einen Band Gedichte in Händen hält, der ihm in diesem Moment das Kostbarste auf der Welt scheint.

Aber es ist und bleibt ein Kreuz mit dem Kreuz, denn es dreht sich weiter, und der romantisch gestimmte Dichter-Epigone stürzt zu Boden, und das weckt sofort seine Aggressionen. Er pumpt sich auf, ist das Gegenteil von schmal und demütig: arrogant und aufgeblasen. Houellebecq hat einen sicheren Instinkt für die Abkunft des französischen Intellektuellen aus der Salonkultur, wo man charmant zu plaudern verstand und gleichzeitig seinen Status in der Gesellschaft mit aller Macht zu behaupten versuchte. Selge trifft diesen Gestus. Er scheint auf gefährliche Weise hilflos – und seine Sottisen haben etwas von Angelhaken, auf denen Regenwürmer stecken, die er nun mit aristokratischer Würde ins trübe Wasser taucht. Aber wehe, es beißt keiner an!

An Karin Beiers überaus zurückhaltender Inszenierung, die ganz auf den inneren Wirkungsraum des Textes setzt und sich äußerer Dramatisierung fast komplett enthält, besticht der Mut, die politische Dimension nicht hinter den privaten sexuellen Obsessionen von François vergessen zu machen. Houellebecqs Gesellschaftskritik dominiert das Private – und die Frage, ob sie stimmt und gerecht ist, muss jeder Zuschauer für sich selbst beantworten. Etwa, wenn er von dem „unabwendbaren Spektakel der Wiederwahl eines linken Präsidenten in einem immer unverhohlener rechts denkenden Land“ spricht oder dass „der sich seit Jahren verbreiternde Graben zwischen dem Volk und jenen, die in seinem Namen sprachen – also Politiker und Journalisten –, notwendigerweise zu etwas Chaotischem, Gewalttätigem und Unvorhersehbarem führen musste“.

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