Heft 05/2019
Berliner Theatertreffen: Unendliches Spiel
Der Schauspieler André Jung
Broschur mit 88 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Im Mai hat man die Wahl oder die „10er Auswahl“: In zehn Bundesländern stehen Kommunalwahlen an, die in Brandenburg, Sachsen und Thüringen als Gradmesser für die Landtagswahlen im Herbst gelten. In Brandenburg hat der CDU-Chef Ingo Senftleben angekündigt, notfalls eine Koalition mit der Linken einzugehen, während sein Parteikollege, der Bundestagsabgeordnete und frühere Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) Martin Patzelt sich auf Bundesebene nach 2021 eine Koalition mit der AfD vorstellen kann. Die Neuorientierung der CDU ist mindestens widersprüchlich. In Sachsen hat CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer einen von konservativen Kräften in der Landes-CDU lancierten „Plan B”, der das Planspiel einer Koalition mit der AfD nahelegte, dementiert. Und in Thüringen? Dort hatte Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken „wenig Verständnis“ für die staatlichen Ermittlungen gegen die Künstlergruppe Zentrum für Politische Schönheit (ZPS). Gegen das ZPS, namentlich gegen Leiter Philipp Ruch war 2017 ein Verfahren nach § 129 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet worden, eine Woche nachdem das ZPS auf dem Nachbargrundstück von AfD-Politiker Björn Höcke einen Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals errichtet hatte. Ramelow twitterte: „Ein Rechtsstaat zeichnet sich aber gerade dadurch aus, genau keine politischen Weisungen zu erteilen.“ Die Ermittlungen wurden eingestellt. Jakob Hayner geht in diesem Heft auf diesen Fall politischer Justiz gegen die Kunstfreiheit ein und hinterfragt die entsprechenden Paragrafen.
Die Kommunal- und Landtagswahlen stehen in direkter Spiegelschau zur Europawahl am 26. Mai. Im Vorfeld werden die Vielen sich erneut zu einer glänzenden Demonstration für ein „Europa der Vielen“ auf den Straßen deutscher Städte versammeln, und zwar am 19. Mai, dem vorletzten Tag des diesjährigen Berliner Theatertreffens, das vom 3. bis 20. Mai stattfindet und in seiner so benannten „10er Auswahl“ die bemerkenswertesten Arbeiten der Bühnen im deutschsprachigen Raum präsentiert. Mit dabei ist „Erniedrigte und Beleidigte“ vom Staatschauspiel Dresden, eine Inszenierung von Sebastian Hartmann. Thomas Irmer stellt diesen außergewöhnlichen wie umstrittenen Regisseur in einem Porträt vor, hat mit ihm über dessen Annäherung an die von ihm bevorzugten Romanstoffe gesprochen. Ebenfalls beim Theatertreffen zu erleben ist der Schauspieler André Jung in Thorsten Lensings Inszenierung „Unendlicher Spaß“. Christoph Leibold hat den Protagonisten ohne Allüren getroffen und einen Blick auf dessen sensibles wie hochgradig sprachbewusstes Spiel geworfen, für das ihm in diesem Jahr der Gertrud-Eysoldt-Ring verliehen wurde.
Als sensationelle Entdeckung präsentieren wir das Stück „Anna Iwanowna“ von Warlam Schalamow, dessen überragende schriftstellerische Bedeutung als Chronist der Menschheitsverbrechen inzwischen auch hierzulande anerkannt wird.
Bevor ab Mai die unzähligen großen und kleinen Festivals unsere Aufmerksamkeit in Beschlag nehmen, gilt es noch zwei wesentliche Neustarts an deutschen Stadt- und Staatstheatern zu resümieren: Anna Bergmann startete als Schauspielchefin am Staatstheater Karlsruhe äußerst programmatisch durch – sie engagierte ausschließlich Regisseurinnen. Elisabeth Maier hat geschaut, ob und wie dieses Konzept aufgeht. Am Theater Trier ist nach schweren finanziellen und personellen Querelen mit einem neuen Intendanten nicht nur Ruhe an der Bühne eingekehrt − Björn Hayer war für uns vor Ort und stellt fest: „Haltung und Unterhaltung finden unter der Intendanz von Manfred Langner auf fabelhafte Weise zusammen.“
Nur ein paar Kilometer vom grenznahen Trier entfernt, hat wiederum Frank Hoffmann in Luxemburg 1996 mit der Gründung des Théâtre National du Luxembourg den Traum von einem Nationaltheater im Großherzogtum Wirklichkeit werden lassen. Wie in einem Land mit drei Amtssprachen, von dessen Einwohnern etwa 47 Prozent aus anderen Ländern stammen, eine nach innen und außen wirksame nationale Repräsentation gelingt, beschreibt Sascha Westphal in einem Beitrag.
Einen Einstand in die Festival-Saison stellt unser Künstlerinsert dar, in dem wir den belgischen Künstler Benjamin Verdonck vorstellen, dessen Schaffen sich weder auf ein Genre noch auf ein Format oder ein Thema festlegen lässt, sich vielmehr in Projekten, Installationen, Manifesten, Performances, Videos oder Büchern formuliert. Bei den Wiener Festwochen wird sein „Liedlein für Gigi“, beim Kunstfest Weimar die vier Kurzstücke „Gille learns to read“, „One More Thing“, „Sag mir wo die Blumen sind“ und „Waldeinsamkeit“ zu sehen sein. //
Die Redaktion
Artikel | Seite |
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Künstlerinsert | |
Arbeitenvon Benjamin Verdonck | Seite 4 |
Von der Beiläufigkeit großer FragenDer belgische Künstler Benjamin Verdonck erprobt Modelle für eine bessere Welt − auf der Bühne und in der sogenannten Wirklichkeitvon Martin Baasch | Seite 8 |
Thema | |
Kraftvoll, zart, luzideDer Schauspieler André Jung – ein Protagonist ohne Allürenvon Christoph Leibold | Seite 11 |
Auf der Suche nach dem totalen EreignisDer Regisseur Sebastian Hartmann hat die Auseinandersetzung mit Romanen auf der Bühne in eine neue Freiheit geführtvon Thomas Irmer | Seite 14 |
Kommentar | Seite 18 |
Politische JustizGegen das Zentrum für Politische Schönheit wurde wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt – eine Bedrohung für die Kunstfreiheitvon Jakob Hayner | |
Protagonisten | |
Aufklärers TraumDem Schriftsteller Volker Braun zum 80. Geburtstagvon Gunnar Decker | Seite 24 |
Ein utopisches ParadoxMit dem Théâtre National du Luxembourg hat Intendant Frank Hoffmann im Schmelztiegel Luxemburg eine Art Welt-Nationaltheater begründetvon Sascha Westphal | Seite 26 |
Innovative Ästhetik aus dem ZwölftonnerDie Landesbühnentage in Tübingen zeigen das künstlerische Potenzial der Abstechertheater – politische Stoffe und anspruchsvolles Musiktheater in der Flächevon Elisabeth Maier | Seite 28 |
Aus der Perspektive starker FrauenSchauspielchefin Anna Bergmann überlässt in Karlsruhe ausschließlich Frauen das Regiepult – ein Zeichen für die Gleichheit der Geschlechtervon Elisabeth Maier | Seite 32 |
Eroberung im Herzen EuropasNach Querelen und Skandalen gelingt dem Theater Trier ein erstaunlicher Neubeginn: mit Unterhaltung, Politik und großen Gefühlenvon Björn Hayer | Seite 36 |
Theater ohne Andrzej WirthEine Erinnerung an den großen Theatertheoretikervon Thomas Irmer | Seite 38 |
Look Out | |
Humor als WaffeDie Jenaer Schauspielerin Mona Vojacek Koper versteht sich als Theateraktivistin und Überbringerin drängender Zeitfragenvon Paula Perschke | Seite 40 |
Wann, wenn nicht jetztDie Regisseurin Rebekka David bringt die Diskurse unserer Zeit auf die Bühne – unter Verwendung neuester Gesellschaftstheorienvon Jakob Hayner | Seite 41 |
Auftritt | |
Bonn: Steueroasen im Herzen EuropasTheater Bonn: „Oh wie schön ist Panama Malta“ (UA) von Volker Racho und Ensemble. Regie und Bühne Simon Solberg, Kostüme Franziska Harmvon Martin Krumbholz | Seite 45 |
Braunschweig: Mörderischer SchönrednerStaatstheater Braunschweig: „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ von Bertolt Brecht Regie Dagmar Schlingmann Bühne Sabine Mader Kostüme Inge Medertvon Gunnar Decker | Seite 45 |
Dresden: Kinder an die MachtTheater Junge Generation: „König Macius der Erste“ von Janusz Korczak in einer Fassung von Wojtek Klemm und Ulrike Leßmann. Regie Wojtek Klemm, Bühne Michał Korchowiec, Kostüme Julia Kornackavon Michael Bartsch | Seite 46 |
Frankfurt am Main: Präsenz zeigenAlte Oper Frankfurt: „Anders hören“ von Marina Abramovićvon Claus Leggewie | Seite 48 |
Greifswald/Stralsund: Gefangen in der ideologischen BlaseTheater Vorpommern: „Weißer Raum“ von Lars Werner. Regie Reinhard Göber, Ausstattung Stefan Heynevon Gunnar Decker | Seite 49 |
Hamburg: Tierischer ÜberlebensmodusSchauspielhaus Hamburg: „Die Stadt der Blinden” nach dem Roman von José Saramago in einer Fassung von Kay Voges, Bastian Lomsché und Matthias Seier. Regie Kay Vogesvon Anja Nioduschewski | Seite 50 |
Plauen-Zwickau: Weichgezeichneter BrechtTheater Plauen-Zwickau: „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ von Bertolt Brecht. Regie Roland May, Bühne Oliver Kostecka, Kostüme Thurid Goertzvon Michael Bartsch | Seite 51 |
Rottweil: Ein Kontinent ohne SeeleZimmertheater Rottweil: „Raub der Europa“ von Peter Staatsmann. Regie und Bühne Peter Staatsmann, Kostüme Bettina Schültkevon Elisabeth Maier | Seite 52 |
St. Pölten: Die Puppen sind losLandestheater Niederösterreich: „Am Königsweg“ von Elfriede Jelinek. Regie Nikolaus Habjan, Bühne Jakob Brossmann, Kostüme Cedric Mpakavon Margarete Affenzeller | Seite 53 |
Tübingen: Gefangen in der FilterblaseLandestheater Tübingen: „Bestätigung“ von Chris Thorpe. Regie und Ausstattung Thorsten Weckherlinvon Elisabeth Maier | Seite 54 |
Stück | |
Kolyma in MiniaturDas Lager auf die Bühne bringen – Zu Warlam Schalamows Stück „Anna Iwanowna“von Erik Zielke | Seite 56 |
Anna Iwanowna (Originaltitel: Anna Ivanovna)Stück in fünf Bildern. Aus dem Russischen von Thomas Reschke. Dem Andenken G. G. Demidows gewidmetvon Warlam Schalamow | Seite 58 |
Magazin | |
Grips macht MutDas erfolgreichste Kinder- und Jugendtheater der Welt wird 50von Wolfgang Schneider | Seite 73 |
Anarchie mit klaren RegelnMit dem Theater Arche eröffnet in Wien eine neue freie Bühne – das erste Stück „Anstoß“ von Jakub Kavin dreht sich um die Abgründe des Sportbusinessvon Margarete Affenzeller | Seite 74 |
Geschichten vom Herrn H.: Neuestes aus dem Kulturkampfvon Jakob Hayner | Seite 75 |
Die PionierinIn Gedenken an Geesche Wartemann, die erste Professorin für Kinderund Jugendtheatervon Wolfgang Schneider | Seite 76 |
Historische TiefenbohrungenZum Tod des Leipziger Theaterwissenschaftlers Manfred Paulivon Gottfried Fischborn | Seite 76 |
Der lange Schatten des StalinismusUnter dem Titel „DDR neu erzählen!“ wird am Berliner HAU über das Geschichtsbild des Ostens diskutiertvon Jakob Hayner | Seite 77 |
Moral zum WohlfühlenBernd Stegemann: Die Moralfalle. Für eine Befreiung linker Politik. Matthes & Seitz, Berlin 2018, 205 Seiten, 18 EUR.von Christian Baron | Seite 78 |
Nachtseite der VernunftMirjam Meuser: Schwarzer Karneval – Heiner Müllers Poetik des Grotesken. De Gruyter, Berlin und Boston 2019, 484 Seiten, 99,95 EUR.von Jakob Hayner | Seite 79 |
Der weibliche Blick?Sie – Regisseurinnen der DEFA und ihre Filme. Cornelia Klauß, Ralf Schenk (Hg.), DEFA-Stiftung Schrif- tenreihe, Bertz u. Fischer, Berlin 2019, 416 Seiten plus zwei DVDs, 29 EUR.von Gunnar Decker | Seite 80 |
Der VerlagsdramaturgKarlheinz Braun: Herzstücke. Leben mit Autoren. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2019, 676 Seiten, 32 EUR.von Martin Krumbholz | Seite 80 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 82 |
PremierenMai 2019 | Seite 84 |
TdZ on Tour | Seite 86 |
Impressum/Vorschau | Seite 87 |
Autoren Mai 2019 / Vorschau | |
Gespräch | Seite 88 |
Was macht das Theater, Felix Ensslin?von Felix Ensslin und Sascha Westphal |
Margarete Affenzeller
Martin Baasch
Christian Baron
Michael Bartsch
Gunnar Decker
Felix Ensslin
Gottfried Fischborn
Björn Hayer
Jakob Hayner
Thomas Irmer
Martin Krumbholz
Claus Leggewie
Christoph Leibold
Elisabeth Maier
Anja Nioduschewski
Paula Perschke
Warlam Schalamow
Wolfgang Schneider
Benjamin Verdonck
Sascha Westphal
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