Heft 04/2017
double 35
Der Puppe in den Mund gelegt? Texte im Figurentheater
Rückstichheftung mit 56 Seiten, Format: 210 x 280 mm
ISSN 0040-5418
„Eine Besonderheit meiner Figuren ist, daß sie stumm sind – genau genommen sind das ja alle Marionetten; wie sollten sie auch reden können, da sie doch aus Holz sind (…) Seit den allerersten Anfängen meines Marionetten-Fimmels war ich der Ansicht, daß die lebensgroße natürliche Menschenstimme im Format nicht zur kleinen bewegten Kunstfigur paßt. Hier, glaube ich liegt die Inkongruenz!“1 Richard Teschner
Während der Wiener Figurenspieler Richard Teschner, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Figurentheater zu erneuern suchte, von Figuren gesprochene Sprache auf der Bühne strikt ablehnte – seine Stücke waren Pantomimen –, hielt der belgische Dramatiker Maurice Mæterlinck, der auch Stücke für „Marionettentheater“ veröffentlichte, in seinem 1890 erschienenen Aufsatz „Androidentheater“2 nur „Wesen ohne Leben“ für fähig, Dichtung auf die Bühne zu bringen. Alfred Jarry wiederum setzte für die Groteskästhetik seines „König Ubu“ auf Stimmverfremdung mit einer Rohrpfeife, ähnlich der Zungenpfeife von Punch oder Pulcinella. Einig jedoch waren sich alle in ihrer Ablehnung der zeitgenössischen Theaterpraxis und in ihrer Suche nach der besonderen Qualität der unbelebten Figur. Denn auf keinen Fall sollte ihr (Figuren-)Theater ein nachgeahmtes Menschentheater sein.
Die zugleich schwierige und fruchtbare Beziehung von Figur/Objekt und Sprache war und ist immer wieder Anlass für eine Befragung der ästhetischen Qualitäten des Puppen- und Objekttheaters, so auch in diesem Heft. Markus Joss untersucht, welches darstellerische Potenzial sich just aus der von Teschner angenommenen „Inkongruenz“ erschließen lässt. Der Theaterautor Marc Becker sinniert im Selbstgespräch über die Herausforderung, für ein Kaspertheaterensemble zu schreiben. Der Puppenspieler Christoph Bochdansky verweigert sich produktiv und poetisch (scheinbar) der analytischen Distanz. Die Beiträge der französischen Regisseurinnen Émilie Flacher und Bérangère Vantusso widmen sich den dramaturgischen Reibungsflächen von Romantexten und Puppen in ihrer eigenen Inszenierungsarbeit; die polnische Adaption eines der großen Romane des letzten Jahrhunderts, Thomas Manns „Der Zauberberg“, hat sich Steffen Reck für double angesehen. Tobias Prüwer schreibt über die Text-Bild-Collage „Vom Abendland“ des Puppentheaters Halle. Die Autorin und Regisseurin Roscha Säidow lässt an konzeptionellen Überlegungen zur Entwicklung der Texte für eine Puppentheaterversion von Fritz Langs Film „M“ teilhaben und der katalanische Objektkünstler Xavier Bobés reflektiert über eine Syntax der Worte und der Objekte. Jörg Baeseckes Überlegungen zu theatralen Aspekten des Spracherwerbs und ein Gespräch mit dem Autor Mudar Al Haggi und der Regisseurin Stella Cristofolini über Mehrsprachigkeit auf der Bühne öffnen den Thementeil auch für soziokulturelle Aspekte von Theater. In dem französischen Essay „Théâtre et Terrorisme“ befasst sich Bruno Boussagol ebenfalls mit Sprache, und zwar mit der eminent politischen Wirkung von aufgeladenen Worten und Wortkaskaden.
Aber genug der Worte: Sprecht nicht so viel! ruft der erste Artikel ... Genau! Besser3: Lesen!
Mascha Erbelding und Anke Meyer
SUMMARY
The simultaneously difficult and fruitful relationship between figures/objects and language was, and still is, a reason to enquire into the aesthetic qualities of puppet and object theatre. Hence the articles in this edition deal with themes like the performing potentials inherent in the “incongruence” between puppets and language, with dramaturgical frictions when dealing with narrative texts, animated material and puppets, and with the challenge of writing for a “Kasper” ensemble. There is also a published text of a play by Christoph Bochdansky. Aspects of language attainment and a discussion on working with several languages on stage open up the theme area for socio-cultural aspects of object theatre.
1 Franz Hadamowsky (Hg.): Richard Teschner und sein Figurenspiegel. Wien, 1956, S. 96
2 Maurice Mæterlinck: Androidentheater. In: Markus Joss, Jörg Lehmann (Hg.): Theater der Dinge. Berlin, 2016, (S. 152-156), S. 155
3 Titel der taz-Kolumne (bis 2015) von Deniz Yücel – www.freedeniz.de
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Thema | |
Sprecht nicht so viel!Polemisches Plädoyer für einen Raum jenseits der Symbolevon Markus Joss | Seite 6 |
Du sollst ditt verdammte Lied nich singen!Über die Arbeit an „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“von Roscha A. Säidow | Seite 9 |
Herr Becker spricht mit Herrn Becker über das Schreiben für die Figurentheaterproduktion „Kasper in Teufels Küche“ von Thalias KompagnonsEin Selbstgespräch von Marc Beckervon Marc Becker | Seite 10 |
Fruchtbare WiderständeÜber die Romanadaptionen „Das genähte Herz“ von Carole Martinez und „Jakob von Gunten“ von Robert Walservon Émilie Flacher und Bérangère Vantusso | Seite 13 |
Selbstporträt mit SkelettTeatr Malabar Hotel Warschau und das BTL Białystok: „Czarodziejska góra“ (Der Zauberberg)von Steffen Reck | Seite 16 |
Das Wort tritt zurück ins Handgemenge„Vom Abendland“ überrascht am Puppentheater Halle mit Vieldeutigkeit in Bild und Textvon Tobias Prüwer | Seite 18 |
Mir fällt immer nur nix Genaues ein …… zum Thema Puppe und Textvon Christoph Bochdansky | Seite 19 |
Erstes TheaterFigurentheater und Spracherwerbvon Jörg Baesecke | Seite 22 |
Fragile TexturenDer Autor Mudar Al Haggi und die Regisseurin Stella Cristofolini im Gespräch mit Tim Sandweg über das trilinguale Objekttheaterstück „Wenn Farah weint“von Tim Sandweg, Mudar Al Haggi und Stella Cristofolini | Seite 23 |
Syntax der Objekte und der WorteZur Inszenierung „Dinge, die man leicht vergisst“von Xavier Bobés | Seite 26 |
Essai en Français | Seite 28 |
Théâtre et terrorismevon Bruno Boussagol | |
Politik | Seite 30 |
Die Angst mit Albträumen abarbeitenÜberlegungen zu einer Politik der Darstellungvon Steffen Georgi | |
Festival | |
Trainingsparcours der EmpfindsamkeitenDie Digitalisierung der Puppen lässt auf sich wartenvon Tom Mustroph | Seite 34 |
The Scottish WayZehn Jahre „Manipulate – Visual Theatre Festival“von Annette Dabs | Seite 36 |
RealitätsformungenImpressionen von UNIDRAM 2016 mit Akzent auf dem Stückzyklus von AKHEvon Gertraud Johne | Seite 38 |
Inszenierung | Seite 41 |
Mit Quietsch und Quatsch zum anderen Selbst„Mix Match“ von Judith Huber und Peter Pichler im Hofspielhaus Münchenvon Evelyn James | |
Jubeln | |
Im GeneratorDas tjg.theater junge generation Dresden erfindet sich neuvon Anke Meyer und Tim Sandweg | Seite 42 |
Kunst der Bewegung ohne WorteDie Puppensparte am Theater der Jungen Welt Leipzig feierte 25-Jährigesvon Franziska Reif | Seite 44 |
Theater der Habseligkeiten25 Jahre Pat Van Hemelrijck und sein Alibi Collectiefvon Tuur Devens | Seite 45 |
Seitenblick | |
Wenn der Automat friertZur Werkschau „Gilbert Peyre – l‘électromécanomaniaque“ in Parisvon Anke Meyer | Seite 46 |
Angewandtes Puppenspiel? Soziale Intervention, ProtestMomentaufnahme bei der Konferenz der Gesellschaft für Theaterwissenschaft, Frankfurtvon Meike Wagner | Seite 47 |
Übergabe | |
Macht mehr Fehler! Und macht sie schnellerKatja Spiess im Gespräch mit Helmut Pogerth, dem scheidenden Leiter des Zürcher Theater Stadelhofenvon Katja Spiess und Helmut Pogerth | Seite 48 |
Frei von WettbewerbBirgit Hollack verlässt das Figurentheater-Kolleg Bochumvon Karen Rosenberg | Seite 50 |
Next Generation | Seite 51 |
Zu unbekannten UfernDer Westflügel Leipzig zeigt junge Theatererkundungenvon Tobias Prüwer | |
Notizen & Festivalkalender | Seite 52 |
Impressum | Seite 56 |
Mudar Al Haggi
Jörg Baesecke
Marc Becker
Xavier Bobés
Christoph Bochdansky
Bruno Boussagol
Stella Cristofolini
Annette Dabs
Tuur Devens
Mascha Erbelding
Émilie Flacher
Steffen Georgi
Evelyn James
Gertraud Johne
Markus Joss
Anke Meyer
Tom Mustroph
Helmut Pogerth
Tobias Prüwer
Steffen Reck
Franziska Reif
Karen Rosenberg
Roscha A. Säidow
Tim Sandweg
Katja Spiess
Bérangère Vantusso
Meike Wagner
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