Recherchen 27
Tanz Körper Politik
Texte zur zeitgenössischen Tanzgeschichte
Paperback mit 172 Seiten, Format: 140 x 240 mm
ISBN 978-3-943881-16-5
Seit den neunziger Jahren haben die Themen Körper, Bewegung und Performance nicht nur die künstlerische Produktion im Tanz, im Theater, aber auch in der Bildenden Kunst und den Medien nachhaltig verändert. Sie haben auch die kulturwissenschaftlichen und historischen Diskurse geprägt. In ausgewählten Interviews und Essays reflektiert der Kunsthistoriker und Journalist Johannes Odenthal diese Entwicklung der letzten zwanzig Jahre. Die einzelnen Texte stehen in einem kulturpolitischen Zusammenhang, der sich in zwei Schlüsselthemen der letzten Jahrzehnte manifestiert. Erstens in einer Neubewertung des Körpers als Medium der Wissensproduktion und damit auch der Kunst. Und zweitens in dem radikalen Neudenken kultureller Identitäten durch Migration und Interkulturalität. Neben Interviews mit Heiner Müller, William Forsythe, Gerhard Bohner, Ismael Ivo, Koffi Kôkô oder Kazuo Ohno stehen Essays zum zeitgenössischen Tanz und zu aktuellen kulturpolitischen Themen.
Die in diesem Band zusammengestellten Texte, geschrieben zwischen 1990 und 2005, orientieren sich an aktuellen künstlerischen und kulturellen Entwicklungen, wurden in Gesprächen mit Künstlern oder in Reflektion auf das jeweilige Zeitgeschehen entwickelt. Sie stehen in einem größeren kulturpolitischen Zusammenhang, der sich in zwei Schlüsselthemen der letzten Jahrzehnte manifestiert. Erstens in einer Neubewertung des Körpers als Medium der Wissensproduktion und damit auch der Kunst. Und zweitens in dem radikalen Neudenken kultureller Identitäten durch Migration und Interkulturautät.
Dabei war von Beginn an mein Kernanliegen, theoretische Aspekte in konkrete Wirklichkeitsbezüge zu übersetzen. Die Herausgabe der Zeitschriften tanz aktuell, später ballett international/tanz aktuell, war eine Form dieser Umsetzung. Die Zeitschriften, und mit ihnen die Artikel, verstanden sich als kulturpolitische Medien der Kommunikation und Vernetzung, aber auch der Projektentwicklung. So entstanden im Umfeld der Zeitschriften Festivals, Laboratorien, Symposien und Vorträge, die im Grenzbereich von künstlerischer Praxis und wissenschaftlichem Diskurs neue Wissensformen recherchierten.
Insofern ist die Programmarbeit im Haus der Kulturen der Welt in Berlin nur ein konsequenter Schritt in diese Richtung gewesen. Dabei verknüpfte sich für mich die Arbeit an einer zeitgenössischen Tanzbewegung mit der Frage nach Interkulturalität und Migration - zwei Schlüsselthemen der aktuellen Gesellschaftsentwicklung und Kulturwissenschaften. Ebenso wie der Tanz ist die Interkulturalität nicht allein theoretisch zu fassen. Und wie eine komplexe Vorstellung von Wissen nicht mehr ohne den Körper und das Performative auskommt, ist Interkulturalität nur im Kontext praktischer Erfahrung zu verhandeln. Interessanterweise existieren zudem zahlreiche Verknüpfungen zwischen beiden Themenkomplexen. So greifen die zeitgenössischen Tänzer und Choreografen intensiv auf interkulturelle Erfahrungen zurück. Die internationale Tanzszene ist zu einer wegweisenden Kunstsprache jenseits nationaler Konzepte geworden. Internationale Netzwerke treten an die Stelle nationaler Referenzen. Und auf der anderen Seite wird die Dekonstruktion nationaler Identitäten, die Neubestimmung und Aktualisierung von Traditionen, von vielen Künstlern und Theoretikern an den Körperbildern und Körpergeschichten festgemacht. Der performative Körper bildet den individuellen Erfahrungshorizont der ungeheuren Veränderungen in der postkolonialen und globalen Kulturentwicklung überall auf der Erde. Tanz, Theater und Bewegung, aber auch Fotografie und Video werden zu den zentralen Medien der Neubestimmung. Die hier ausgewählten Essays und Interviews folgen diesen Grundthemen.
Die 17 Texte sind in drei Kapitel mit unterschiedlichen Schwerpunkten gegliedert. In einem ersten Teil geht es um die Lesbarkeit des zeitgenössischen Tanzes, um die Beschreibbarkeit eines zeitgenössischen Phänomens. Über die Themen Raum und Bewegung, Abstraktion und Körper, Erinnerung und Trauma habe ich versucht, die aktuellen Ereignisse und Entwicklungen in Zusammenhängen zu sehen, zu analysieren und theoretisch zu verorten. Die Beiträge zum Anthropologischen Raum, zu Forsythe und Bohner, zu Lauwers und Fabre und zu den Rekonstruktionsversuchen beschreiben Ansätze, wie der zeitgenössische Tanz in ästhetischen Zusammenhängen gelesen werden kann.
Im zweiten Teil steht der Körper im Zentrum. Koffi Kôkô spricht von dem »Dritten Körper«, von einem Körper der Transgression. Am Beispiel der Solos von Gerhard Bohner oder Kazuo Ohno wird deutlich, wie sehr die Frage der Identität, des modernen Subjekts, an den Körper gebunden ist. Das Tanzsolo ist insofern ein Schlüsselmotiv der Moderne. Einen vergleichbaren Ansatz hat Jan Fabre mit seinem visuellen Werk unternommen. Die blauen Bic-Zeichnungen sind Versuche, den Körper zu schreiben.
Im dritten Teil rücke ich die politische Dimension der aktuellen Künste, insbesondere des Tanzes und des Theaters, in den Vordergrund. Hier wird die Kategorie des kulturellen Gedächtnisses wichtig, der Umgang mit der eigenen Geschichte und die Transformationsleistungen der zeitgenössischen Künstler. Ausgehend von der Schwierigkeit, nationale öffentliche Denkmäler in Berlin zu errichten, wird eine Mentalitätengeschichte sichtbar, die im »Verhüllten Reichstag« kulminiert. Die Besucher werden zu den Performern. Möglicherweise wird hier eine neue Form der Inszenierung von Identität sichtbar. Schließlich wird im interkulturellen Dialog, ob nun durch Festivals und Austauschprojekte oder durch Migration, die neue politische Relevanz von Kunst und Kultur am deutlichsten. Welche Konzepte von Austausch und Kommunikation sind möglich jenseits nationaler Konzepte wie Integration und Exotisierung?
Kapitel | Seite |
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Kapitel | Seite |
TANZ | |
Getanzter RaumKonflikte des modernen Tanztheatersvon Johannes Odenthal | Seite 10 |
Paradigmenwechsel im TanzEin Gespräch mit William Forsythevon William Forsythe | Seite 18 |
Die Entmythisierung der WeltVersuch über William Forsythevon Johannes Odenthal | Seite 25 |
Pose und Bewegung zu RaumZu Gerhard Bonners solistischem Werkvon Johannes Odenthal | Seite 30 |
Gespaltener RaumInnere Konflikte des Individuums als Orte des neuen Dramasvon Johannes Odenthal | Seite 40 |
Der zeitgenössische Tanz findet eine historische DimensionRepertoire und Rekonstruktionen sind wichtige Voraussetzungen für die Etablierung des zeitgenössischen Tanzesvon Johannes Odenthal | Seite 53 |
KÖRPER | |
Der Körper ist eine BibliothekGespräch mit Koffi Kôkôvon Johannes Odenthal und Koffi Kôkô | Seite 62 |
Tanz - Subjekt - RitualDrei Thesen zum Solovon Johannes Odenthal | Seite 69 |
Der Mensch ist nicht das Zentrum des UniversumsZum 90. Geburtstag von Kazuo Ohno. Ein Gesprächvon Johannes Odenthal | Seite 73 |
Für eine Theorie des AndrogynenDie Figur der Überschreitung im Tanzvon Johannes Odenthal | Seite 78 |
Den Körper schreibenWegsein und Dasein in den Zeichnungen von Jan Fabrevon Johannes Odenthal | Seite 84 |
POLITIK | |
Von der Schwierigkeit, nationale Denkmäler in Berlin zu errichtenEin Beitrag zur aktuellen kulturellen Situation in Deutschlandvon Johannes Odenthal | Seite 92 |
Tanz als wortloses EsperantoWie Migration und kulturelle Vielfalt den zeitgenössischen Tanz prägenvon Johannes Odenthal | Seite 98 |
GlobalisierungWarum der Tanz immer politischer wird? Weil er als Botschafter einer antifundamentalistischen Kultur dient.von Johannes Odenthal | Seite 105 |
Ist der Körper immer noch ein Tabu?Gespräch mit Ismael Ivo anlässlich der neuen Produktion Othellovon Johannes Odenthal und Ismael Ivo | Seite 110 |
Das Koloniale Erbe EuropasÜber die Notwendigkeit, das Verhältnis zu den außereuropäischen Kulturen auch in der Praxis zu verändern. Aspekte der Programmarbeit im Haus der Kulturen der Weltvon Johannes Odenthal | Seite 120 |
Erinnern und VergessenFragmente zu einer Körper-Geschichte des Tanzesvon Johannes Odenthal | Seite 126 |
Anhang | |
Der Autor | Seite 132 |
Textnachweis | Seite 133 |
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Zum Autor
Johannes Odenthal
Weitere Beiträge von Johannes Odenthal
Erinnern und Vergessen
Fragmente zu einer Körper-Geschichte des Tanzes
Zeitgenössischer Tanz und die Tanzkulturen der Welt / Contemporary dance and the dance cultures of the world
Die Erfindung des Theaters aus dem Geist der Malerei
Achim Freyer wandert mit seiner unerschöpflichen Malwut zwischen den Kunstformen
ENTGEGEN DER LOGIK DES MARKTES
Gordana Vnuk, Intendantin von Kampnagel Hamburg, im Gespräch
Das tanzhaus nrw, ein Zentrum für die zeitgenössische Kunst / tanzhaus nrw, a centre for contemporary art
Bibliographie
Beiträge von Johannes Odenthal finden Sie in folgenden Publikationen:
Heft 01/2023
Bühne & Film
Superstar aus Neustrelitz
Heft 09/2021
Es ist ein Kreuz
Ein Schwerpunkt zur Bundestagswahl mit Luna Ali, Annekatrin Klepsch und Aladin El-Mafaalani
Heft 06/2021
Das große Kegeln
Zur Machtdebatte am Theater
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
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