Alle Beiträge von Martin Krumbholz
Magazin
Emine Sevgi Özdamar: Ein von Schatten begrenzter Raum. Suhrkamp, Berlin 2021, 765 S., 28 EUR.
von Martin Krumbholz
Wo wohnen Sie, Madame? Die aus dem Französischen übersetzte Frage wird zu einem der Leitmotive dieses wundervollen Romans. Die Antwort lautet etwa: „In Rainer Werner Fassbinder. In Heinrich Böll.“ Emine Sevgi Özdamar, in der Türkei ausgebildete Schauspielerin, hat ihr Land nach dem zweiten Militärputsch 1971 verlassen, ist nach Berlin, Paris, Bochum gegangen, aber als Wanderin zwischen den (Theater-)Welten findet sie Heimaten in Menschen, in Künstlern, in Gefühlen, nicht in Ländern oder…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2021
Auftritt
Schauspielhaus: „Kleiner Mann – was nun?“ von Hans Fallada. Regie Tilmann Köhler, Bühne Karoly Risz, Kostüme Susanne Uhl
von Martin Krumbholz
Das Gelingen einer Aufführung lässt sich nicht programmieren, doch manchmal ist es (scheinbar) einfach eine Frage richtiger Entscheidungen. Text, Regie, Bühne /Kostüm, Besetzung. In diesem Fall war es wieder einmal so weit. „Kleiner Mann – was nun?“ nach dem berühmten Roman von Hans Fallada war schon längst geprobt, während des ersten Lockdowns im letzten Winter, musste eingemottet werden und hatte jetzt endlich Premiere. Die Geschichte des Buchhalters und Verkäufers Hannes Pinneberg, der…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2021
kein schlussstrich!
„Die Lücke 2.0“ von Nuran David Calis am Schauspiel Köln
von Martin Krumbholz
Nur einmal um die Ecke braucht man zu gehen, um vom Depot, dem Ausweichquartier des Schauspiels Köln, in die Keupstraße zu gelangen, wo im Sommer 2004 in einem Friseurgeschäft der Nagelbombenanschlag stattfand, eines von vielen rechtsterroristischen Attentaten des sogenannten NSU, bei dem glücklicherweise niemand zu Tode kam, aber 18 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Es lag also nah, der Neuinszenierung des Stücks „Die Lücke“ von Nuran David Calis im Rahmen des bundesweiten Projekts…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2021
Protagonisten
Endlich! Das FFT Düsseldorf bezieht nach etlichen Bauverzögerungen mit dem KAP 1 ein neues Quartier für die freien performativen Künste
von Martin Krumbholz
Geplant war alles ein wenig anders. Als vor geraumer Zeit feststand, dass die alten Spielstätten des Forums Freies Theater (FFT) wegen Immobilienverkaufs aufgegeben werden müssten, als dann die Stadt Düsseldorf die ehemalige Hauptpost in Bahnhofsnähe anmietete und nicht nur der Zentralbibliothek, sondern auch dem FFT zur Verfügung stellte, anvisierter Einzug zur Jahreswende 2020/21 – da traf es sich, dass just im Jahr 2021 sich die Pariser Commune zum 150. Mal jährte. War das nicht ein schöner…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2021
Magazin
Carl Hegemann: Dramaturgie des Daseins. Everyday live. Hg. von Raban Witt, Alexander Verlag, Berlin 2021, 445 S., 33 EUR.
von Martin Krumbholz
Unter der schönen Überschrift „Die Süddeutsche Zeitung hat den Blues“ schrieb der Dramaturg Carl Hegemann einmal einen Text für Theater der Zeit (TdZ 02/2007), in dem er einen Aufschlag des damaligen SZ-Feuilletonchefs Thomas Steinfeld abwehrte. Zwischen Dramaturgen und Kritikern herrscht ja eine natürliche Rivalität: Dramaturginnen stecken in der Regel viel tiefer in der Materie, Kritikerinnen jedoch behalten fast immer das letzte Wort. Das ist ungerecht. Als ungerecht empfand Hegemann nun…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2021
Festivals
Das Festival Weiße Nächte am Mülheimer Theater an der Ruhr setzt sich mit den Tücken der Natur auseinander
von Martin Krumbholz
In den Park, in den Park!“ scheint das Mülheimer Theater an der Ruhr (fast) jeden Sommer zu locken, frei nach Anton Tschechow, dessen „Drei Schwestern“ es bekanntlich „nach Moskau, nach Moskau“ zog: Die Weißen Nächte stehen an.
Leider sind die Nächte in diesem Extremwetter-Sommer weniger weiß (das sind sie sowieso selten) als feucht und kühl. Am Tag der Open-Air-Premiere von „Onkel Wanja. Into the Trees“ in der Regie von Philipp Preuss ist es mit 26 Grad zwar relativ warm gewesen, aber am…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2021
Aktuelle Inszenierung
Christopher Rüping zeigt „Das neue Leben“ nach Dante Alighieri in Bochum als Mashup mit Meat Loaf und Britney Spears
von Martin Krumbholz
Täuscht der Eindruck, oder ist das Theater tatsächlich, und nicht erst seit Corona, privater geworden? Die Schauspieler stehen nicht mehr auf Kothurnen, auch nicht im bildlichen Sinn, sie verschwinden nicht mehr vollständig hinter ihren Rollen. Man kann das einen performative turn nennen, eine Trendwende von der klassischen Literaturrezeption hin zum Performativen, aber es ist wohl zugleich weniger und mehr. Wenn sich zwei Männer auf der Bühne küssen, oder wenn eine Frau eine andere fragt:…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2021
Protagonisten
Angela Merkel und Chimamanda Ngozi Adichie sprechen im Düsseldorfer Schauspielhaus über Feminismus, Nigeria, die DDR und die Frage, ob die Literatur uns zu besseren Menschen macht
von Martin Krumbholz
Die Optik war schlagend. Die Bundeskanzlerin trug einen strengen blauen Blazer, die übliche Amtskleidung eben. Chimamanda Ngozi Adichie, nigerianisch-amerikanische Schriftstellerin, trug ein farbenprächtiges Kleid. Schwer zu sagen, ob es Angela Merkel vor Neid erblassen ließ, jedenfalls wurde Adichie irgendwann, zwingenderweise, darauf angesprochen, nach dem Motto, wie toll man sich doch (so die Bundeskanzlerin) in Afrika zu kleiden wisse. Aber nein, konterte da Adichie, das Kleid habe sie in…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2021
Festivals
Nach Monaten der Isolation und Selbstbezüglichkeit sendet das Festival Theater der Welt in Düsseldorf vitale Lebenszeichen aus der internationalen Theaterszene
von Martin Krumbholz
Der sogenannte Gustaf-Gründgens-Platz vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus war jahre-, wenn nicht jahrzehntelang eine Brache im Herzen der Stadt. Reste einer vergangenen Tankstelle hatte man dort schlicht vergessen, eine Tiefgarageneinfahrt verschluckte hin und wieder einen Pkw, ein paar Skater vertrieben sich die Zeit. Das Theater, muss man wissen, wendet dem Stadtkern ja schnöde seine ausladende Rückseite zu; das Foyer betritt man vom Hofgarten aus. Eine eigentümliche Pointe des seinerzeitigen…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 9/2021
Magazin
Wolfgang Engler: Die offene Gesellschaft und ihre Grenzen. Matthes & Seitz, Berlin 2021, 208 S. Bernd Stegemann: Die Öffentlichkeit und ihre Feinde. Klett-Cotta, Stuttgart 2021, 304 S.
von Martin Krumbholz
Die Öffentlichkeit sei eine unangenehme Zeitgenossin geworden, stellt Bernd Stegemann gleich auf den ersten Seiten seiner neuesten Abhandlung „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ fest. „Würde man sie als eine Person beschreiben, wäre man ungern in ihrer Nähe. Sie ist reizbar, versteht alles falsch, reagiert auf die leisesten Töne mit aggressiver Zurechtweisung und stellt sich taub, wenn sie kritisiert werden soll.“ Inszeniert Stegemann sich hier als Kritiker linker Identitätspolitik, erweist…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 6/2021
Auftritt
Sophiensaele: „Die Sumpfgeborene“ von matthaei & konsorten. Regie Jörg Lukas Matthaei, Ausstattung Michael Gaessner
von Martin Krumbholz
Die Welt des Barock strahlt eine eigentümliche Anziehungskraft aus. Die Architektur mit ihrer verschwenderischen Fülle, die Musik mit ihrem Optimismus und ihrer fast ungetrübten Harmonie, die in heutigen Ohren so gefällig klingt, ohne kitschig zu sein, die anschauliche Sprache mit leuchtend sinnfälligen, bis heute überlebenden, wenngleich ungebräuchlichen Ausdrücken wie „abluchsen“, „Höllenpfuhl“ oder „Schlangenbrut“ – ja, in diesen Kosmos schaut man liebend gerne zurück und kann sich kaum…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 6/2021
joseph beuys
Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen, um das Schlimmste zu verhindern? – Der Filmemacher Andres Veiel über die Aktualität von Joseph Beuys, der im Mai 100 Jahre alt geworden wäre
von Martin Krumbholz und Andres Veiel
Herr Veiel, wie ist Ihr Interesse an Joseph Beuys geweckt worden?
Das war ein biografisch-historischer Initiationsakt. Ich bin in einer Stuttgarter Vorortsiedlung aufgewachsen und war Ende der siebziger Jahre auf der Suche nach Menschen, die mich inspirieren und mir Möglichkeiten des Ausbrechens anbieten könnten. Zu dieser Zeit gab es den zerfallenden Mythos der RAF, deren Begriffe so hermetisch und so betoniert waren wie die Garageneinfahrten in meiner Vorortsiedlung. Weder Humor noch Zweifel…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 5/2021
Magazin
Guy Krneta: Die Perücke. Roman. Aus dem Berndeutschen von Uwe Dethier. Verlag Der gesunde Menschenversand Luzern. 211 S., 32 CHF.
von Martin Krumbholz
Einmal hat der Ich-Erzähler, der mit dem Autor dieses Romans identisch zu sein scheint, als Regisseur einer Theaterproduktion einen berückenden Einfall. Er schreibt der Schauspielerin einen kleinen Monolog, den sie nur denkt, stumm, aber Wort für Wort. „Sie sagt nichts, kein Wort, sie denkt meinen Text. Und das, was das Publikum sieht, ist höchstens das, was beim Denken auf dem Gesicht von Myria passiert.“ Ort der Handlung ist eine ungenannte Landesbühne in Süddeutschland, wo der Erzähler als…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2021
Auftritt
Schauspiel Köln: „Edward II. – Die Liebe bin ich“ von Ewald Palmetshofer nach Christopher Marlowe. Regie Pınar Karabulut, Bühne Bettina Pommer, Kostüme Teresa Vergho, Video Leon Landsberg
von Martin Krumbholz
Mit seiner Produktion „Edward II. – Die Liebe bin ich“, basierend auf einem Text von Ewald Palmetshofer, der sich seinerseits auf eine Vorlage von Christopher Marlowe bezieht, hat das Schauspiel Köln so ziemlich alles in den Schatten gestellt, was seit dem Beginn der Pandemie an Live- und Konservenstreamings angeboten wird, und das ist ja nicht eben wenig. Denn diese Inszenierung von Pınar Karabulut filmt nicht einfach eine Aufführung ab, ob mit einer Kamera, mit vieren oder einem Dutzend.…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2021
Auftritt
Wuppertaler Bühnen: „Café Populaire” von Nora Abdel-Maksoud. Regie Maja Delinić, Ausstattung Ria Papadopoulou
von Martin Krumbholz
Es gibt Rassismus, es gibt Sexismus, es gibt auch Moralismus (in linken Kreisen weniger populär). Ob es aber so etwas wie „Klassismus“ gibt, also die Betrachtung einer Gesellschaft ausschließlich unter dem Aspekt der jeweiligen Klassenzugehörigkeit, und inwiefern diese zu rügen wäre, ist eine offene Frage. Immerhin war Karl Marx ein klassischer Klassist, bevor er, zusammen mit seinem Freund und Finanzier Friedrich Engels, ein marxistischer Klassizist wurde. Engels stammt ja aus Barmen,…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2021
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