Heft 09/1995
Kunstfest Weimar 1995
Klage über das Jahrhundert der Lager
Broschur mit 104 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Kunstfest Weimar 1995: Ein russischer Friedhof am Rande von Weimar, zwischen den Grabsteinen flackern Windlichter. Unrer einem Baum im Hinrergrund der "Bühne" steht ein Schminktisch mit Glühbirnenkette. Rechts in der Ferne ein dunkles Haus mit einem strahlend hell erleuchteten Fenster; man glaubt, die Silhouette einer Statue zu sehen. Linker Hand ein Baum, in dessen Krone ein unsichtbarer Scheinwerfer strahlt. Ein Pferdewagen bringt graugekleidete Männer zum Ort des Spiels; schließlich tritt Hanna Schygulla auf, nimmt ihren Platz am Schminktisch ein. Sie stellt die Schauspielerin Carola Neher dar, die 1933 vor den Nazis floh und neun Jahre später von Stalins Törungsbeamten abgeholt wurde, zugleich die Schauspielerin Corona Schröter, Goethes erste Iphigenie in Weimar. Goethe selbst ist natürlich nur Goethe, nichts weiter, aber der geniale Berserker Ulrich Wildgruber siedelt die Weimarer Kultfigur so riskant und hinrersinnig an der Kipplinie zwischen sonorer Ernsthaftigkeit und rumpelnder Parodie an, daß man durchweg hin- und hergerissen ist: und das in dieser Stadt, die sich an jeder Ecke dicketut mit dem großen Dichterfürsten und Frauenaufreißer! Der dritte Protagonist ist Bruno Ganz als "Überlebender" - ein Verlorener, melancholisch Räsonnierender, der langsam zwischen den Gräbern umherirrt und etwas zu suchen scheint, ohne zu wissen was. Wenn er tot sein werde, sagt dieser Mann, werde es gar keinen mehr geben, der das Lager Buchenwald noch selbst erlebt habe, der von den Gerüchen dort erzählen könne - und davon, daß im und überm Lager niemals Vögel sangen. Keiner könnre das so sagen wie Bruno Ganz, der Melancholiker des deutschsprachigen Theaters; er schlägt damit den Grundton an für Jorge Sempruns theatrale Klage über das Jahrhundert der Lager.
Buchenwald, das Semprun selbst überlebte, ist nur der Ausgangspunkt dieser knapp einstündigen meditativen Theaterunternehmung: Wer dem entkam und Linker war, mußte sich immer noch fragen, ob er Stalins Lagern entkommen würde. Wie auch immer die blöden Begründungen für die Lager hießen, am Ende standen, das ganze Jahrhundert lang, immer endlose Felder mit Grabsteinen oder -kreuzen (und Semprun schlägt da auch, ebenso moralisch selbstverständlich wie dramaturgisch beiläufig und unaufdringlich, den Bogen bis zu den heutigen Lagern, bis nach Bosnien). [...].
Aus Klaus Nothnagel: Klage über das Jahrhundert der Lager. Über das Theaterprojekt "Bleiche Mutter, zarte Schwester", S. 4
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Bericht | Seite 4 |
Klage über das Jahrhundert der LagerÜber das Theaterprojekt "Bleiche Mutter, zarte Schwester"von Klaus Nothnagel | |
Auftritt | Seite 6 |
Der große Auftritt des Kritikersvon Michael Quasthoff | |
Werkstatt | Seite 10 |
Raritätenkabinett10. Potsdamer Werkstatt-Tage/Neue Texte und Formen für das Theatervon Martin Linzer | |
Gespräch | |
Goethe war ein PopstarFM-Einheit, Musiker bei der Punk-Band "einstürzende Neubauten" im Gespräch mit Frank M. Raddatzvon Frank M. Raddatz | Seite 12 |
Können wir hoffen?Ein Gespräch mit Regine Lutz von Martin Linzervon Martin Linzer und Regine Lutz | Seite 16 |
Wir wird man Regisseur?Ein Gespräch mit Manfred Karge und Peter Kleinert von Martin Linzervon Martin Linzer, Peter Kleinert und Manfred Karge | Seite 20 |
Essay | Seite 23 |
Wem gehören die Bilder?Interkulturelle Theaterarbeitvon Rustom Bharucha | |
Gespräch | Seite 27 |
Berlin - Algier und zurückEin Gespräch mit Nordine und Liliane El Hachemi von Martin Linzervon Martin Linzer, Nordine El Hachemi und Liliane El Hachemi | |
Jugoslawien | Seite 30 |
Du sollst dir kein Bild machen!EUROKAZ 95 oder die Schwierigkeit, neues Theater auf den Begriff zu bringenvon Kathrin Tiedemann | |
Inszenierung | Seite 33 |
Sturm der BilderBranco Bresovec inszenierte "Hamlet" am "Turska Drama" in Skopjevon Arnd Wesemann | |
Bericht | Seite 36 |
Die Szene war PragAnmerkungen zur Prager Quadriennale '95von Ernst Schumacher | |
Werkstatt | Seite 38 |
Work in ProgressAnatoli Vassiliev stellte neue Arbeiten bei den Braunschweiger "Theaterformen" vorvon Fotini Mavromati | |
Ungarn | Seite 41 |
Was sind die Alternativen?Das ungarische Theatertreffen in Budapestvon Theresa Kriedemann | |
England | Seite 44 |
Kunst, Kommerz und KürzungenEnglisches Theater im Zeitalter der Sparmaßnahmenvon Oliver Kranz | |
Theaterarbeit | Seite 48 |
Vom Rot, das brennt"Zinnober" und das "Theater o.N." - Eine Theaterlegende aus dem Prenzlauer Bergvon Ulrike Haß | |
Kommentar | Seite 52 |
Undercover-BagatellenGabriella Bußackers Kriminologie des Theatersvon Arnd Wesemann | |
Porträt | Seite 54 |
Wanderer zwischen WeltenAlfred Schnittke, ein Porträtvon Nora Eckert | |
Kurzkritiken | |
DEW sollst dir kein Bild machenHamburgische Staatsoper: "Historia von D. Johann Fausten" von Alfred Schnittkevon Bernd Feuchtner | Seite 57 |
Das Glücksverlangen der Menschen in der Mühle der PolitikThéâtre des Amandiers, Paris: "Violences à Vichy II" von Bernard Chartreuxvon Joachim Johannsen | Seite 58 |
Am Kap der ErkenntnisDie Handspring Puppet Company, Johannesburg: "Faustus in Africa"von Frank Quilitzsch | Seite 59 |
Modernes MysterienspielKleist-Theater Frankfurt/Oder: "Der Trost der nördlichen Meere" von Slobodan Snajdervon Martin Linzer | Seite 60 |
Kampf als Metapher der ExistenzVolkstheater Rostock, Kleines Haus: "Im Dickicht der Städte" von Bertolt Brechtvon Alban Rehnitz | Seite 61 |
Besonders Kalb und Wurm!Schauspielhaus Chemnitz: "Kabale und Liebe" von Friedrich Schillervon Jens Knorr | Seite 62 |
Der Tod und die AlpenjodlerStadttheater Konstanz: "Der Franzos im Ybrig" von Thomas Kaufmannvon Tilmann Seidel | Seite 63 |
Wachsfigurenkabinett des GrauensStaatstheater Stuttgart/Kammertheater: "Die Ermittlung" von Peter Weissvon Tilmann Seidel | Seite 64 |
Lust auf AnstrengungDock 11, Berlin: "Hautnah" von Felix Ruckertvon Kathrin Tiedemann | Seite 65 |
Nicht abseits und nicht entbehrlichGerhard-Hauptmann-Theater, Zittau: Ein Spielzeit-Rückblickvon Harald Müller | Seite 67 |
EndspielvariationenStaatsoper München/DNT Weimar: "Parsifal" von Richard Wagnervon Nora Eckert | Seite 67 |
GutgemeintDeutsche Oper Berlin (Gastspiel des Holland Festivals): "Esmée" von Theo Loevendievon Nora Eckert | Seite 69 |
Gescheitert?Deutsches Theater Berlin: "Die Dreigroschenoper" von Brecht/Weillvon Martin Linzer | Seite 70 |
Premierenkalender | Seite 72 |
September / Oktober 1995 | |
Stück | |
"Prospero hat seinen Zauberstab zerbrochen. Der Winterkrieg ist nur verlierbar"Christian Martin im Gespräch mit Richard Webervon Christian Martin und | Seite 75 |
Winterkriegein spiel frei nach dem bürgerlichen heldenlebenvon Christian Martin | Seite 77 |
Bücher | |
Martin Morgner: Deckname "Maske". Die Künstlergemeinschaft Mecklenburg 1980/81. Robert-Havemann-Archiv 2, Berlin 1995, 222 S.von Kathrin Tiedemann | Seite 92 |
Zwischen den Zeiten. Zwischen den Welten. Argon Verlag Berlin.von Ulrich Deuter | Seite 92 |
Richard Herzinger/Hannes Stein: Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler. Rororo, Reinbek bei Hamburg 1995, 250 S.von Stefan Grund | Seite 93 |
Flamboyant. Schriften zum Theater. Heft I, Vom Entstehen der Tradition. International Theatre Ensemble e. V., Köln 1995.von Holger Kalweit | Seite 93 |
Magazin | |
Neues Spanisches Theatervon Dorothea Schildt | Seite 94 |
Das "Chapeau Rouge" in Heringsdorfvon Holger Kalweit | Seite 94 |
Schloßfestspiele in Schwerinvon Stefan Grund | Seite 96 |
"Back to Creativity" in Odessavon Christine Schmalor | Seite 96 |
Stranger in the Schweizvon Karl Gündel | Seite 97 |
Meldungen | Seite 98 |
Porträt | Seite 102 |
Bunte Theorie und graue PraxisNora Eckert über Daniel Barenboim und die Deutsche Staatsoper Unter den Lindenvon Nora Eckert | |
Kolumne | Seite 103 |
The game is over!Was vermögen Künstler gegen den Krieg auf dem Balkan zu bewirken?von Slobodan Šnaider | |
Autoren | Seite 104 |
Impressum | Seite 104 |
Rustom Bharucha
Ulrich Deuter
Nora Eckert
Liliane El Hachemi
Nordine El Hachemi
Bernd Feuchtner
Stefan Grund
Karl Gündel
Ulrike Haß
Joachim Johannsen
Holger Kalweit
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Oliver Kranz
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