Heft 09/2001
Einar Schleef
Das letzte Stück "Lange Nacht"
Broschur mit 104 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Alles wacht, Einar Schleef: Es soll jetzt einmal klargestellt werden: Die Wendung "Alles Schleef, Einar wacht" stammt von Jörg Lau und kam im Juni 1995 als Überschrift eines taz-Artikels zur Welt. Den dazugehörigen Bericht über die Verleihung des Mülheimer Dramatikerpreises an Schleef verfasste der Theaterkritiker Gerhard Preußer. Die Überschrift aber erfand, als seinerzeit diensthabender Kulturredakteur der taz, der Literaturkritiker Lau.
Nicht erst in den Reaktionen auf die bestürzende Nachricht von Schleefs Tod tauchte das Wort wieder auf. Sondern Theaterkritiker und Theaterleute griffen in den letzten sechs Jahren oft darauf zurück, um das Absurde und zugleich Bewunderungswürdige an Scheefs Arbeit zu pointieren, das hysterisch Vorwurfsvolle und formvollendete Präsente, das Unbedingte, das sich der schnellen Charakterisierung entzog und statt dessen der teilnehmenden, parteinehmenden Beschreibung bedurfte. Ein guter
Aphorismus zu Schleefs Theater ist ein Widerspruch in sich. Deswegen war man über diesen einen - der übrigens rein aufs Sprachliche setzte: der Verfasser kannte das Schleef-Theater damals gar nicht oder kaum, und in dem Artikel selbst ging es auch nur am Rande darum - so glücklich. Jetzt, da Einar Schleef nicht mehr wacht, sondern in einem Berliner Krankenhaus einen von der Öffentlichkeit zehn Tage lang unbemerkten Tod gestorben ist, wäre es schön gewesen,wenn es umgedreht einmal geheißen hätte: "Alles wacht, Einar Schleef".
Mit solchem, ironisch leicht gebrochenen Pathos hätte vorzugsweise das Berliner Ensemble Flagge zeigen sollen, das Theater seines Regiedebüts und seines Aufstiegs zu einem der bedeutendsten Theatermacher des geeinten Deutschlands. Drinnen im Foyer hätte sich eine Ausstellung mit Schleefs Bildern, Bühnen und KostümbiIdentwürfen improvisieren lassen,hätte in Endlosschleife die 3-sat-Aufzeichnung des "Sportstücks" gezeigt werden können, und aufeinem Podium hätten Theaterleute und Zuschauer aus Einar Schleefs Büchern gelesen. Das Haus wäre voll gewesen. Trauer über diesen Tod, der anders als bei Heiner Müller ein völlig unangekündigter war, ist noch immer von vielen Seiten zu spüren.
Sicher hätte eine solche Gedenkfeier auch in der Akademie der Künste stattfinden können, im Deutschen Theater, im Haus der Berliner Festspiele - irgendwo. Doch die so genannte Sommerpause ließ für den großen Zeremonienmeister bis zu Beginn dieses Monats kein Fest aufkommen. Beerdigt wurde er in Sangerhausen. Dass, wer wallfahren will, sich richtig auf die Reise machen muss, um dann im Schatten des Kyffhäuser das Seine zu denken, passt ins System dieses Einsamkeitskünstlers, der aufs Kollektive zielte. Ein Trost ist das nicht.
Überhaupt herrscht inzwischen eine seltsame Arbeitnehmermentalität in der deutschsprachigen Theaterwelt. Jeder fummelt so vor sich hin, und wenn der eigene Schreibtisch am Abend wieder aufgeräumt ist, dann ist man schon zufrieden. Die vierzehn Gespräche, die Hans-Dieter Schütt, der Theaterkritiker des "Neuen
Deutschland", mit Regisseuren zwischen dreißig und vierzig geführt hat ("Hinterm Vorhang das Meer", Verlag Das Neue Berlin), offenbaren einen sehr weit gehenden Privatismus und ein geradezu leidenschaftliches Einverständnis mit dem System des subventionsgeregelten Erinnerns an die Gesellschaftskritik. Das vielfach Kastenförmige der Antworten von Stefan Bachmann, Michael Funke, Uwe Eric Laufenberg, Amelie Niermeyer, Stefan Otteni und anderen liegt nicht zuletzt an den schematischen Fragen des Autors. Aber da sich die zehn Regisseure und 'vier Regisseurinnen teilweise wie die Lemminge über die Klippen dieser Reihenbefragung stürzten, hätte ein verfeinertes Vorgehen am Ende gar nicht zu ihnen gepasst. Da scheint vielmehr eine große Lust zu sein, aufgenommen und katalogisiert zu werden, um nicht nur jetzt, sondern für alle Zeiten in den Körperwelten des Stadttheaterbetriebes als Ich präpariert zu sein.
(Unsereins hat natürlich leicht schreiben. Liegt ständig auf der Lauer, trägt nichts bei, sondern immer nur nach und will, wenn es sonst nichts zu tun gibt, bei ahnungslosen Passanten die Ausweise kontrollieren. Aber soll man deswegen den Mund halten?) Vielleicht besteht das Problem auch darin, dass jegliches subventioniertes Theater unbedingt und an jedem Ort als Kunst bewertet werden will und soll. Dabei gibt es - nehmt alles nur in allem und denkt auch jetzt an Einar Schleef- ganz wenig Kunst und viel Theater. Die Schnittmenge ist nicht die Norm, sondern Glück, der Rest nicht "Krise" sondern Alltag. Dies nur als positiv gedachter Trost- und Merksatz für die neue Spielzeit.
Petra Kohse
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Editorial | Seite 1 |
Alles wacht, Einar Schleefvon Petra Kohse | |
Nachruf | Seite 4 |
Dionysos aus Deutschland, OstFür Einar Schleefvon Hans Jürgen Syberberg | |
Stück Extra | Seite 6 |
"Lange Nacht"von Einar Schleef | |
Interview | Seite 25 |
Es gibt zu wenig AnarchistenFrank Castorf im Gespräch mit Cornelia Niedermeier und Claus Philippvon Frank Castorf, Cornelia Niedermeier und Claus Philipp | |
Aktuelle Inszenierung | |
Herr und HundCastorf und Ostermeier bei den Wiener Festwochenvon Uwe Mattheiß | Seite 30 |
Die Preußen kommen7. Zonenrand-Ermutigung in Cottbus: Rührt Euch!von Martin Linzer | Seite 32 |
Neustart | Seite 34 |
Theater für Berlins neue MitteVolker Hesse vom Maxim Gorki Theater im Gespräch mit Martin Linzervon Martin Linzer und Volker Hesse | |
Rückblick | Seite 37 |
Ende einer ÄraThomas Langhof verabschiedet sich mit König Lear"von Friedrich Dieckmann | |
Kulturpolitik | Seite 40 |
Alles Hoffnung im Revier?Intendanten in Nordrhein-Westfalen äußern sich zur Ruhr-Triennalevon Matthias Hartmann, Roberto Ciulli, Anna Badora, Sibylle Broll-Pape, Klaus Weise, Gerd Leo Kuck, Jürgen Bosse, Hansgünther Heyme, Johannes Lepper und Heinz-Rudolf Müller | |
Reportage | Seite 45 |
Fliegende Büstenhalter und eine getoastete TerroristinDie Volksbühne mit der rollenden Road Show an der Peripherie Berlinsvon Annett Gröschner | |
Ausbildung | Seite 51 |
Nein sagen lernenSchauspieler-Ausbildung in Bernvon Martin Linzer | |
Litauen | Seite 55 |
Träumen doch nicht verbotenDas internationale Festival "New Drama Action" in Vilniusvon Thomas Irmer | |
Nachruf | Seite 58 |
Wanderer und ProtestantIm Gedenken an Adolf Dresenvon Friedrich Dieckmann | |
Essay | Seite 60 |
Hanswursts ImmerwiederkehrVon der Unsterblichkeit des Theatersvon Adolf Dresen | |
Auftritt | |
Schostakowitsch in "The Noise of Time" von Simon McBurneyLondonvon Michael Billington | Seite 69 |
Uraufführung "Die Unsichtbare" von Christoph RansmayrSalzburg/Berlinvon Ernst Schumacher | Seite 70 |
I. Huhns "Die Geschwister", A. Panachs "Das Vorzimmer"Freiberg/Döbelnvon Ralph Gambihler | Seite 71 |
"It works!" vom theater 89 nach Oliver BukowskiNiedergörsdorfvon Thomas Irmer | Seite 73 |
"Sabeth. Ein Hörstück für Nicht-Sehende" von Günter EichKasselvon Jörg Buddenberg | Seite 74 |
Kolumne | Seite 75 |
Lob der Verdrängtenvon Robin Detje | |
Insert | Seite 81 |
HOLLAND FLANDERN SPEZIALTheater in Holland und Flandern | |
Stück | |
Chronist des HeuteArne Sierens im Gespräch mit Thomas Irmervon Thomas Irmer und Arne Sierens | Seite 82 |
DRUMMERFlämischer Originaltitel: DE DRUMLERAAR / Übers. von Barbara Burivon Arne Sierens | Seite 83 |
Magazin | |
Flandern am Rheinvon Ulrich Deuter | Seite 96 |
www.stuecke-slums.devon Ulrich Deuter | Seite 96 |
Ernst Schumacher zum 80.von Martin Linzer | Seite 97 |
NachrufPeter Brasch (1955-2001)von Thomas Irmer | Seite 97 |
BücherRichard Boleslawski, acting - die ersten sechs Schritte, Verlag (eigene werte), Wanna 2000, 168 S.von Volker Ranisch | Seite 98 |
Meldungen | Seite 99 |
Premierenkalender | Seite 100 |
Autoren | Seite 104 |
Impressum | Seite 104 |
Anna Badora
Michael Billington
Jürgen Bosse
Sibylle Broll-Pape
Jörg Buddenberg
Frank Castorf
Roberto Ciulli
Robin Detje
Ulrich Deuter
Friedrich Dieckmann
Adolf Dresen
Ralph Gambihler
Annett Gröschner
Matthias Hartmann
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