Heft 01/2009
Warum singen die?
Peter Konwitschny und vier Autoren über die Möglichkeiten der Oper
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 280 mm
ISSN 0040-5418
Dieses Heft ist leider vergriffen und nur noch als PDF erhältlich.
Am 9. Januar dieses Monats jährt sich der Geburtstag Heiner Müllers zum achtzigsten Mal. Sicherlich ein Anlass für berufene wie unberufene Stimmen, sich in Preisungen und Elogen zu ergehen. Wird man Müller wieder als kontextlosen Popautor erinnern wollen, oder die ästhetische Reflexionskraft dieses größten Glücksfalls des deutschen Theaters seit Brecht auf das gängige Sendeformat des neudeutschen Biedermeier einebnen? Man darf gespannt sein. Um den üblichen folgenlosen Lippenbekenntnissen des medialen Riesenrads etwas entgegenzusetzen, wird TdZ dieses Jahr die Gedächtniskultur mit einem eigenen Programm auffrischen. Um das Gedenken an Heiner Müller nachhaltig zu beleben, werden wir uns rückblickend dem seltsamen gesellschaftlichen Biotop zuwenden, aus dem seine sperrigen Theaterentwürfe stammen. Denn in diesem Jahr bekommt auch ein anderer Jubilar eine Null auf das Geburtstagskonto überwiesen - die Maueröffnung. Gunnar Decker eröffnet mit seinem einleitenden Essay eine Reihe, die mehr Gespensterkunde betreiben will denn Geschichtsbetrachtung. Während der Kapitalismus seine schwerste Krise erleidet, kartografieren wir Müllers Spurenlesung, die immer der Frage galt: Wohin irrt die Geschichte? Dass geschichtliche Kontinuität sich als Illusion erweist, erfuhr Holger Teschke, als er 1979 erstmals „Leben Gundlings" las: der Text ein Nilpferd, die Welt ein Autofriedhof, und die Sehnsucht nach Zeiten, als einen solche Texte noch auf die Theaterbarrikaden trieben.
Geschichte und Biografie kann auch der jetzige Leipziger Operndirektor Peter Konwitschny nur schwer trennen. Als Assistent während der Intendanz von Ruth Berghaus am Berliner Ensemble flügge geworden, hat er in den 1970er Jahren eines der wichtigsten Kapitel der Theatergeschichte hautnah miterlebt. Kein Grund zum Frohlocken - mitzuerleben, wie die künstlerischen Persönlichkeiten zwischen Parteiführung und Brecht-Erben systematisch zermahlen wurden, wie Ruth Berghaus allmählich versteinerte und Schleef und Tragelehn aus dem Berliner Ensemble flogen. Oder wie der tonangebende bornierte Kleinbürger alles verhinderte, was den unterschwelligen Unsterblichkeitsglauben des sozialistischen Daseins unterminierte. Dass es allerdings noch ein anderes Lebensziel gab als den Konsum, stimmt den Künstler milde in einem Setting, das rundherum zum Verkauf steht und weder Inhalte noch Gedächtnis kennt.
Der Toten von Rechnitz musste dann auch Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek mit einem Theaterstück gedenken, weil in der Hitler-Heimat Österreich der Stall des Augias weiter vor sich hin stinkt, wenn auch mit EU-Geldern subventioniert. Wer wissen will, wie das Theater aussieht, wenn es sich von der Kunst verabschiedet hat, sollte nach Bremen schauen, wo Intendant Frey gerade den Marketing-Preis 2008 eingeheimst hat. Der Toten gedenkt keiner mehr, steht doch rundherum leichte Muse auf dem Programm. Hier wäre es doch angebracht, die Subventionen völlig zu streichen und das Geld in eine alternative Spielstätte zu investieren. Jede Off-Theater-Veranstaltung operiert mit ästhetisch wertvolleren Maßstäben als die vom Stadttheater verkörperte Unterschicht der Pisapyramide.
Peter Konwitschny tritt nicht nur als theatergeschichtlicher Kronzeuge auf, sondern ist auch begnadeter Akteur des Musiktheaters. Das Interview, das Frank Raddatz mit ihm führte, leitet damit auch auf einen anderen gewichtigen Punkt dieses Heftes über - das Musiktheater. Dorte Lena Eilers fragt sich, wohin das Gesamtkunstwerk in einem Kosmos enteilt, der schon lange kein homogenes Ganzes mehr darstellt. Das fragmentierte, anonyme Ich der Moderne mit vielen Stimmen auszustatten, ist ein Anliegen Heiner Goebbels, während David Roesner und Clemens Risi die Folgen kollektiven Komponierens erforschen. Müller selber hatte, um den Bogen zu schließen, am Ende nicht mehr die Kraft, seine Idee eines Theaters zu verfolgen, wo die Stimmen der Schauspieler den Text in Musikalität umsetzen. Für „Fatzer/Traktor", seine Symphonie in Worten, hat das bildersüchtige Feuilleton nur Hohn und Spott übrig - also stoßen wir an: auf das Ohr von Heiner Müller.
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Gespräch | Seite 8 |
Warten am Rand der ZivilisationDer Bühnenbildner und Fotograf Jan Pappelbaum über öffentliche, private und theatrale Räumevon Anja Dürrschmidt | |
Musiktheater | |
Es muss sich rechnenDer Regisseur und Leipziger Opernchef Peter Konwitschny im Gesprächvon Frank M. Raddatz und Peter Konwitschny | Seite 12 |
Der Oper am Mieder fummelnWarum das Musiktheater nur überzeugt, wenn es die Genrezwänge hinter sich lässtvon Dorte Lena Eilers | Seite 20 |
Mindestens schwer verzweifeltEin Essay über den Umgang mit der Stimme im zeitgenössischen Musiktheatervon Heiner Goebbels | Seite 24 |
Die polyphone WerkstattKollektives Arbeiten im zeitgenössischen Musiktheatervon Clemens Risi und David Roesner | Seite 28 |
Aktuelle Inszenierung | |
Rechnitz (Der Würgeengel)(Auszug)von Elfriede Jelinek | Seite 36 |
Jemand muss auch Täter seinJossi Wieler inszeniert Elfriede Jelineks „Rechnitz (Der Würgeengel)“ an den Münchner Kammerspielenvon Willibald Spatz | Seite 37 |
Kulturpolitik | Seite 38 |
Fahren auf VerschleißWolfgang Engler und Thomas Flierl über die Standortsuche der Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlinvon Wolfgang Engler und Thomas Flierl | |
Hausporträt | Seite 40 |
Expand Your BrandWie der Bremer Intendant Hans-Joachim Frey um die Gunst des Publikums und gegen die Finanzkrise kämpftvon Alexander Schnackenburg | |
Auftritt | |
Winterschlacht mit Handy - "Populärmusik aus Vittula", "Mobile Horror"Rostockvon Gunnar Decker | Seite 42 |
Das Badische Staatstheater inspiziert mit zwei Premieren den Wortschrott der AlltagsweltKarlsruhevon Otto Paul Burkhardt | Seite 44 |
Das Hans Otto Theater rückt mit zwei Uraufführungen der DDR zu LeibePotsdamvon Lena Schneider | Seite 46 |
Im Haus der Kunst zaubert Andreas Kriegenburg sein erstes selbst geschriebenes Stück auf die BühneMünchenvon Tristan Berger | Seite 47 |
Die Landesbühne Niedersachsen zeigt eine Uraufführung der Genremixerin Tine Rahel VölckerWilhelmshavenvon Alexander Schnackenburg | Seite 49 |
Im Opernhaus beweist Katharina Thalbach, dass Beethovens Rettungsoper aufführbar istZürichvon Friedrich Dieckmann | Seite 50 |
Lesarten | Seite 52 |
Heiner Müller „Leben Gundlings“O What A Noble Mindvon Holger Teschke | |
Kolumne | Seite 53 |
Marilyn stammt aus Mexico Cityvon Ralph Hammerthaler | |
Autorengespräch | Seite 54 |
Wer schläft, sündigt nichtRalph Hammerthaler im Gespräch mit Otto Paul Burkhardtvon Otto Paul Burkhardt und Ralph Hammerthaler | |
Stück | Seite 55 |
Der SchlaftöterMusikMonologvon Ralph Hammerthaler | |
Porträt | Seite 59 |
schaefersphilippenAcht Fragen an Marc Schäfers und Tobias Philippen, die Verleger des neu gegründeten Theaterverlags schaefersphilippen in Köln | |
Magazin | |
Bunnies of all countries, unite!ECHT! – 7. Festival Politik im Freien Theater in Kölnvon Sabine Wirth | Seite 60 |
Monolog des MorgenlandsPalästina zu Gast beim 8. Festival Internationale Neue Dramatik an der Berliner Schaubühnevon Anna Teuwen | Seite 62 |
Die Fiktion des DokumentsDas 3. Festival „Geschichten für das neue Jahrhundert“ in Bonn, Düsseldorf und Münstervon Hans-Christoph Zimmermann | Seite 64 |
Von Weltbildern und BildweltenDer 9. Kongress der Gesellschaft für Theaterwissenschaft in Amsterdamvon Sebastian Kirsch | Seite 65 |
Strickmuster der TheaterlandschaftDas neue Forschungskolleg „Verflechtungen von Theater - kulturen“ an der Freien Universität Berlinvon Sabine Schouten | Seite 66 |
In Schellengürteln und SchweineschnitzelnDas 3. ZOOM! Festival der Performance Art in Hildesheimvon Verena Lobert | Seite 67 |
Mücken mit ElefantenDas Musiktheater-Meeting Music Theatre Now des ITI im Berliner Radialsystem Vvon Stephanie Schwarz | Seite 68 |
BuchTim Etchells: Endland. Diaphanes, Zürich/Berlin 2008, 240 S., 19,90 EURvon Verena Lobert | Seite 69 |
Jahresregister | Seite 70 |
Jahresregister der TdZ-Heftinhalte 2008 | |
Linzers Eck | Seite 73 |
Zwischen Auftrag und Interesse oder Brauchen wir einen neuen Bitterfelder Weg?von Martin Linzer | |
Magazin | |
etc.von Sebastian Kirsch | Seite 74 |
Meldungen | Seite 74 |
Aus den Korrespondentenbürosvon Anna Teuwen und Tristan Berger | Seite 75 |
aufgelesenvon Sebastian Kirsch | Seite 75 |
Radiovorschau | Seite 76 |
Hingehörtvon Gerwig Epkes | |
Premierenkalender | Seite 77 |
Januar 2009 | |
Impressum | Seite 79 |
Kommentar | Seite 80 |
Die Wüste wächstvon Gunnar Decker |
Tristan Berger
Otto Paul Burkhardt
Gunnar Decker
Friedrich Dieckmann
Anja Dürrschmidt
Dorte Lena Eilers
Wolfgang Engler
Gerwig Epkes
Thomas Flierl
Heiner Goebbels
Ralph Hammerthaler
Elfriede Jelinek
Sebastian Kirsch
Peter Konwitschny
Martin Linzer
Verena Lobert
Frank M. Raddatz
Clemens Risi
David Roesner
Alexander Schnackenburg
Lena Schneider
Sabine Schouten
Stephanie Schwarz
Willibald Spatz
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