Der Hammer. Die diesjährige Auswahl zum Theatertreffen gibt dem Umbruch, der sich seit langem in der Szene vollzieht, endlich Ausdruck. Chapeau! Ballhaus Naunynstraße, Hebbel am Ufer, Forum Freies Theater Düsseldorf und Kampnagel Hamburg heißen die Produzenten der Hitliste. Die freie Szene hat die Rankings gestürmt, und die Jury des Theatertreffens hat eine mutige Entscheidung getroffen, die eine völlige Neustrukturierung der Theaterlandschaft zur Folge haben wird. Gunnar Decker kommentiert die Auswahl. Daran fügt sich Amelie Deuflhards Beitrag zu Perspektiven der freien Szene, der sich auf unsere erste Diskussionsrunde der neuen Reihe bezieht. Das vierköpfige Performancemonster Showcase Beat Le Mot wird in der nächsten Spielzeit am Münchner Residenztheater einen Heimathafen finden. Im Interview mit Frank Raddatz fragen sie sich, ob die Kuratoren die eigentlichen Künstler unserer Zeit sind.
Dass die freie Szene nicht nur eigene Theaterformen hervorzubringen vermag, sondern auch eine eigene Architektur, beweist die junkitecture von Folke Köbberling und Martin Kaltwasser. Während des Londoner Architektur-Festivals im Sommer letzten Jahres errichteten sie ein aus Gebrauchtholz – umgangssprachlich Müll genannt – recyceltes Theatergebäude für zwei Produktionen der Red Room Theatre Company: das Jellyfish Theatre. Was kein staatlich geprüfter Bühnenmeister auf seine Verantwortungskappe nehmen würde, wurde jetzt für mehrere Preise nominiert. Ute Müller-Tischler bringt Licht in die Konstruktionsweise.
„Hier wird neue Energie gefördert. Sie heißt Kultur“, lautete einer der Slogans, mit dem die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 die Kreativwirtschaft lockte. Das Konzept verpuffte in einer Region, wo zwei Drittel der 53 Gemeinden einen Nothaushalt verwalten, befindet Sebastian Kirsch. Im Vergleich fällt das Urteil in Sachen Nachhaltigkeit für die Partnerstadt Istanbul 2010 zunächst etwas günstiger aus. Das Kulturhauptstadtjahr bot Anlass, „ansonsten bei der Mittelvergabe eher selten berücksichtigte zeitgenössische Kunst und junge Künstler“ zu subventionieren. Istanbul erlebte überdies einen einzigartigen Boom von Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen beim kulturellen Erbe und den Museen der Stadt. Dennoch ist das Fazit von Burcu Yasemin Seyben eher düster: Gerade für die darstellenden Künste hat das Kulturhauptstadtjahr für die Zukunft keine weiteren Folgen.
Über Ungarn rollt derweil eine Welle rechter neoliberaler Ideologie, die viele Menschen an das Klima in Deutschland zu Beginn der dreißiger Jahre erinnert, hat Lena Schneider vor Ort recherchiert. Sie sprach mit dem Autor, Regisseur und Schauspieler Béla Pintér, dessen Theatertext „Miststück“ einen der Glanzpunkte dieses Heftes darstellt. Aus Ungarn stammt auch unser dritter Beitrag über Kleist. Wir freuen uns außerordentlich, László F. Földényi für das echt deutsche Thema „Väter und Söhne“ gewonnen zu haben. Dieses Urmotiv, das Földényi in Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ verortet, trieb auch bereits Friedrich Schillers „Die Räuber“ an. In der Rubrik Lesarten entblättert Alexander Weigel das weibliche Pendant in diesem psychodynamischen Haushalt: „Penthesilea“.
Das letzte Wort gilt den teuren Toten. Die Gründerin des La-MaMa-Theaters in New York Ellen Stewart ist tot. „Man mag es nicht glauben! Alle wussten ja, dass sie krank ist und alt, aber irgendwie hielten wir unsere Mama immer für unsterblich, und das nicht nur im übertragenen Sinn“, schreibt Renate Klett. In Moskau kam die ukrainische Autorin Anna Jablonskaja bei dem Attentat auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo ums Leben. Im Alter von 29 Jahren wurde eine der großen Hoffnungen des ukrainischen wie russischen Theaters Opfer des Wahnsinns unserer Zeit.
Einer, der den Wahnsinn des 20. Jahrhunderts in vielleicht zu wohlgefällige Bilder setzen ließ, war der cineastische Herr des Untergangs – Bernd Eichinger. Josef Bierbichler erinnert an den in Hollywood verstorbenen Filmtycoon, der immer wieder gern auf Darsteller und -innen zurückgriff, die das Leben ansonsten mit Theaterspielen verbrachten.
Die Redaktion
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Künstlerinsert | Seite 2 |
Performative Installationenvon Folke Köbberling und Martin Kaltwasser | |
Porträt | Seite 8 |
Vergnügte ZerstörungDie Künstler Folke Köbberling und Martin Kaltwasser entwerfen performative Installationen aus Müll und Umsonstmaterialien. Ein Gespräch über „junkitecture“ und demokratische Stadtgestaltungvon Ute Müller-Tischler, Folke Köbberling und Martin Kaltwasser | |
Ausland | |
Bereit zum SprungAber wohin? Eine Winterreise nach Budapest auf der Suche nach dem neuen Ungarnvon Lena Schneider | Seite 12 |
Bis ins BlutDer Autor, Regisseur und Schauspieler Béla Pintér im Gespräch über sein neues Stück „Miststück“ und das heutige Ungarn zwischen Angst, Provokation und Taubheitvon Lena Schneider und Béla Pintér | Seite 16 |
Kleist 2011 | Seite 18 |
Väter und SöhneKleist 2011 (3): Wieder gelesen: „Prinz Friedrich von Homburg“von László F. Földényi | |
Freie Szene | |
Die Komplizen der ProtestmetropoleKrise der Überproduktion? – Man könnte es auch Künstlerreichtum nennen. Eine Antwort auf das Freie-Szene-Gespräch in der vergangenen Ausgabevon Amelie Deuflhard | Seite 22 |
Die ChaosmanagerDas Berliner Choreografie-Regie-Bühnenbild-Video-Text-Monster Showcase Beat Le Mot über die Festivalisierung der Theaterhäuser und den Mut zu Einzelwahnsinnsprojekten im Gesprächvon Frank M. Raddatz und - Showcase Beat Le Mot | Seite 24 |
Gegendarstellung | Seite 29 |
Der rätselhafte GesprächspartnerGegendarstellung zum Artikel „Rechnen, sparen, retten!“ in TdZ 2/2011von Michael Grosse | |
Neustart | Seite 30 |
Horizonte spaltenVom Landestheater Marburg war lange Zeit wenig zu hören. Mit Rückenwind aus Gießen und einem mobilen Theaterfreistaat schickt sich der neue Intendant Matthias Faltz an, das zu ändernvon Marcus Hladek | |
Kulturpolitik | |
Ruhrgebiet, und jetzt?Ein Rückblick auf die Europäische Kulturhauptstadt Ruhr.2010von Sebastian Kirsch | Seite 32 |
Touristisch und temporärEin Rückblick auf die Europäische Kulturhauptstadt Istanbul 2010von Burcu Yasemin Seyben | Seite 34 |
TdZ entdeckt | |
Der WaldgängerDer Schauspieler Christoph Bornmüller ist ein hochartifizieller Ekstatiker – was ihn unvermutet gefährlich machtvon Gunnar Decker | Seite 36 |
Unterm FolienhimmelDie Regisseurin Anne Lenk begegnet ihren Figuren mit einer seltenen Aufrichtigkeit und der Sehnsucht nach existenzieller Tiefevon Dorothea Marcus | Seite 37 |
Kommentar | Seite 39 |
Aufstand der Rändervon Gunnar Decker | |
Auftritt | |
Dresden: Der Mensch in der ManagementmaschineStaatsschauspiel: „Die Firma dankt“ (UA) von Lutz Hübner. Regie Susanne Lietzow, Bühne Aurel Lenfert, Kostüme Marie Luise Lichtenthalvon Michael Bartsch | Seite 40 |
Hamburg: Der Charme des HasardeursThalia Theater: „Don Carlos“ von Friedrich Schiller. Regie Jette Steckel, Bühne Florian Lösche, Kostüme Pauline Hünersvon Klaus Witzeling | Seite 41 |
Mannheim: Von Goldmachern und GrammatiknörglernNationaltheater: „supernova (wie gold entsteht)“ (UA) von Philipp Löhle. Regie Cilli Drexel; „die unvermeidlichen“ (UA) von Kathrin Röggla. Regie Marcus Lobbesvon Marcus Hladek | Seite 42 |
Saarbrücken: Zwei von denenSaarländisches Staatstheater: „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert. Regie Christoph Diem; „Das blaue blaue Meer“ von Nis-Momme Stockmann. Regie Jörg Wesemüllervon Dorte Lena Eilers | Seite 44 |
Wien: Fledermäuse aus dem FaschingsfundusWUK: „The Wolf Boys“ von norton.commander.productions. Text, Regie und Bühne Harriet und Peter Meining, Kostüme Andy Besuchvon Edith Wolf Perez | Seite 46 |
London: Vom Morgen-GrauenHampstead Theatre: „small hours“ von Lucy Kirkwood und Ed Hime. Regie Katie Mitchell, Ausstattung Alex Ealesvon Jörg Vorhaben | Seite 47 |
Lesarten | Seite 48 |
„Penthesilea“ von Heinrich von Kleistvon Alexander Weigel | |
Kolumne | Seite 49 |
Ganz andersvon Josef Bierbichler | |
Stück | Seite 50 |
„Miststück“von Béla Pintér | |
Magazin | |
La Mama herselfZum Tod der Theaterleiterin und Ikone des Off-Off-Broadway-Theaters Ellen Stewartvon Renate Klett | Seite 64 |
Der Wunsch, zu seinZum Tod der ukrainischen Autorin Anna Jablonskaja, die bei dem Attentat auf dem Flughafen Domodedowo in Moskau ums Leben kamvon Olga Galachowa | Seite 66 |
Investition statt SubventionDer 1. Bundeskongress der Freien Darstellenden Künstler in Stuttgart diskutierte die Zukunft der freien Szenevon Otto Paul Burkhardt | Seite 67 |
etcvon Sebastian Kirsch | Seite 68 |
Bücher | |
Rita Bischof: Tragisches Lachen. Die Geschichte von AcéphaleMatthes & Seitz, Berlin 2010, 368 S., 34,90 EUR, ISBN 978-3-88221-689-9von Frank M. Raddatz | Seite 68 |
Bertolt Brecht: Notizbücher 24 und 25: 1927–1930, Band 7Herausgegeben von Martin Kölbel und Peter Villock, Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 542 S., 24,90 EUR, ISBN 978-3-518-41971-7von Holger Teschke | Seite 69 |
Aufgelesenvon Sebastian Kirsch | |
Radiovorschau | Seite 70 |
Hingehörtvon Gerwig Epkes | |
Linzers Eck | Seite 71 |
(33): Auch wer zu spät kommt, hat noch nichts verpasst oder Was sonst die freie Szene von der subventionierten unterscheidet. Ein Antrag auf mehr Kohle für die Freienvon Martin Linzer | |
Aus den Korrespondentenbüros | Seite 72 |
Basel: Umland erteilt Theater Basel eine Abfuhrvon Dominique Spirgi | |
Bochum: Schauspielhaus beteiligt sich an Zukunftsakademie NRWvon Andreas Rehnolt | |
Meldungen | Seite 73 |
Premieren | Seite 74 |
März 2011 | |
Vorschau | Seite 79 |
Theater der Zeit | |
Autoren | Seite 79 |
Impressum | Seite 79 |
Gespräch | Seite 80 |
Was macht das Theater, Frank Baumbauer?von Frank Baumbauer und Christoph Leibold |
Michael Bartsch
Frank Baumbauer
Josef Bierbichler
Otto Paul Burkhardt
Gunnar Decker
Amelie Deuflhard
Dorte Lena Eilers
Gerwig Epkes
László F. Földényi
Olga Galachowa
Michael Grosse
Marcus Hladek
Martin Kaltwasser
Sebastian Kirsch
Renate Klett
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