Heft 12/2017
Der Knick im Kopf
Theater und Migration
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Nicht ratlos stehen lass’ ich euch, / Ihr Lieben! aber fürchtet nichts! Es scheun / Die Erdenkinder meist das Neu’ und Fremde, / Daheim in sich zu bleiben, strebet nur / Der Pflanze Leben und das frohe Tier.“ Mit diesem Hölderlin-Zitat eröffnet der Theaterautor und -regisseur Pedro Kadivar unseren Schwerpunkt zum Thema Theater und Migration. Nicht Pflanze oder Tier sein, also beweglich sein, das gilt für die Theaterzuschauer im deutschsprachigen Raum ebenso, wie es für diejenigen, die zur Bewegung gezwungen sind, eine Lebenswende darstellt. Seit etwa drei Jahren hat sich das Theater vermehrt dem Thema Flucht zugewandt. Worin aber, fragt Kadivar, liegt genau die Relevanz einer solchen Öffnung? Womöglich in den neuen Fragen, die jede neue zwischenmenschliche Begegnung hervorbringe. „Der Umgang einer Gesellschaft mit den Geflüchteten, die hier ankommen und Asyl beantragen“, so Kadivar, „sagt viel über den Umgang dieser Gesellschaft mit sich selbst aus, das heißt mit ihren eigenen Mitgliedern, und darüber, welche grundlegenden Definitionen von Leben und Menschsein dort herrschen.“
In unserem Schwerpunkt vermessen wir das Feld dieser neuen Fragen. Der Regisseur Amir Reza Koohestani spricht im Interview mit Dorte Lena Eilers über seine „Kirschgarten“-Inszenierung am Theater Freiburg und seinen Kampf gegen vorgefertigte Erwartungen, die ihn als aus dem Iran stammenden Regisseur auf bestimmte Themen festlegen. Gunnar Decker erörtert mit dem Regisseur und Autor Nuran David Calis die Möglichkeiten eines Dialogs zwischen den Religionen, den Calis in seinen Recherche-Stücken auch mit extremistischen Positionen zu führen versucht. Zudem veröffentlichen wir die Rede von Wajdi Mouawad zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse. In seinem sehr bewegenden Text berichtet er von seiner eigenen Fluchterfahrung als Kind aus dem Libanon und den Folgen für ihn als Autor. Laila Solimans Stück „No Desert Roses“ wiederum ist eine freche Aneignung und auch Abwehr eines allzu eindeutigen Fluchtdiskurses. Ebenso wie Koohestani spielt sie mit der Erwartung, als ägyptische Autorin und Regisseurin lediglich über die Ägyptische Revolution schreiben zu müssen. Wir veröffentlichen ihren Text in unserem Stückabdruck sowie als Auszug in unserer Beilage „Welt / Bühne“, die in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und dem Residenztheater München Autorinnen und Autoren aus Syrien, Iran, Libanon, Israel und der Türkei vorstellt und sich mit dem politischen Schreiben zwischen Mittlerem Osten und Europa beschäftigt. Dass zwischen Abendland und Morgenland bereits seit Hunderten von Jahren kulturelle Verflechtungen bestehen, zeigt in unserem Künstlerinsert der Münchner Aktionskünstler Berkan Karpat, der damit auch den sogenannten Abendlandbeschützern einen Strich durch die Rechnung macht.
Im März 2018 wird Nuran David Calis am Staatsschauspiel Dresden „Die 10 Gebote“ nach Krzysztof Kieślowskis „Dekalog“ inszenieren. Wir werfen schon jetzt einen Blick nach Dresden, wo Joachim Klement in seiner ersten Saison als neuer Intendant programmatisch das christliche Selbstverständnis des Abendlandes und unseren Begriff von Heimat – oder auch Heimatlosigkeit – befragt, wie Gunnar Decker schreibt. Bodo Blitz hat für uns den Neustart am Theater Freiburg besucht und dort nicht nur Koohestanis „Kirschgarten“ erlebt, sondern insgesamt ein Theater, das sich unter dem neuen Intendanten Peter Carp als Weltempfänger zeigt – die ersten Premieren bestritten unter anderem der südafrikanische Regisseur und Autor Mpumelelo Paul Grootboom sowie die französische Regiekompagnie Clarac-Deloeuil > le lab.
Was kann engagiertes Theater leisten, und wo wird es zum Holzhammer? Darüber macht sich Jakob Hayner anlässlich von Milo Raus Reenactment Sturm auf den Reichstag Gedanken. Zudem gratulieren wir Peter Handke zu seinem 75. Geburtstag und reisen gedanklich mit ihm weiter über Slowenien in den Osten, um über einen Showcase in Georgien zu berichten sowie über das skandalumwitterte Dialog-Festival in Wrocław, das, wie Renate Klett schreibt, nach Abwehr staatlicher Repressionsversuche zu einem Fest der Solidarität wurde. //
Die Redaktion
Mit dieser Ausgabe erhalten unsere Abonnenten das Extraheft
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Die vollständigen Stücke können in der Theaterbibliothek des Goethe-Instituts unter www.goethe.de/theaterbibliothek bestellt werden.
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Künstlerinsert | |
Installationenvon Berkan Karpat | Seite 4 |
Trance trans transitDer Münchner Aktionskünstler Berkan Karpat verbindet Kunst und Wissenschaft, Aufklärung und Islamvon Dorte Lena Eilers | Seite 8 |
Thema | |
„Achtung: Exoten! Opfer! Helden!“Der Geflüchtete als Theaterfigurvon Pedro Kadivar | Seite 11 |
Der Fall EuropaEine Gegendarstellung. Der iranische Regisseur Amir Reza Koohestani über seinen „Kirschgarten“ am Theater Freiburg und die Zensur im Kopf im Gesprächvon Dorte Lena Eilers und Amir Reza Koohestani | Seite 13 |
Der rettende ZweifelDer Autor und Regisseur Nuran David Calis sucht den Dialog zwischen den Religionen – auch mit Extremistenvon Gunnar Decker | Seite 16 |
Das Messer in der KehleRede zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 2017von Wajdi Mouawad | Seite 19 |
Protagonisten | |
WeltempfängerFreiburgs neuer Intendant Peter Carp und sein Team setzen bei ihrer Eröffnung auf internationales Autorentheatervon Bodo Blitz | Seite 22 |
Arbeit als Kult und StrafeJoachim Klement, neuer Intendant am Staatsschauspiel Dresden, seziert in der Geburtsstadt von Pegida das christliche Selbstverständnis des Abendlandesvon Gunnar Decker | Seite 26 |
Kommentar | Seite 31 |
Ich revoluzze!Über das schwierige Verhältnis von Kunst und Revolution anlässlich Milo Raus Sturm auf den Reichstagvon Jakob Hayner | |
Protagonisten | Seite 33 |
Zorniger EremitPeter Handke wird 75 Jahre altvon Gunnar Decker | |
Ausland | |
Hymne an die SolidaritätWie das Dialog-Festival in Wrocław trotz gestrichener Subventionen in vollem Umfang über die Bühne gingvon Renate Klett | Seite 34 |
Das Land stiehlt die KindheitZwischen alten Strukturen und neuen Themen – ein Showcase in der georgischen Hauptstadt Tiflisvon Thomas Irmer | Seite 36 |
Look Out | |
Ein Gespenst geht um in LeipzigDas Theaterkollektiv Der Keil – Zirkus der 7 Sensationen lernt das Fliegen in der Leipziger Theaterlandschaftvon Lilli Helmbold | Seite 38 |
Mit Stimmakrobatik in den RollenspagatDem Osnabrücker Schauspieler Julius Janosch Schulte traut man alles zu – Träumer wie Bösewichtevon Christine Adam | Seite 39 |
Auftritt | |
Bamberg: Sterbende Schwäne in der Stadt der TräumeE.T.A.-Hoffmann Theater Bamberg: „Engel in Amerika“ von Tony Kushner. Regie Sibylle Broll-Pape, Ausstattung Trixy Royeckvon Maximilian Schäffer | Seite 43 |
Berlin: Abschaum gegen Daddy-TöchterchenDeutsches Theater: „Feminista, Baby!“ nach dem SCUMManifest von Valerie Solanas. Regie Tom Kühnel und Jürgen Kuttner, Bühne Jo Schramm, Kostüme Daniela Seligvon Jakob Hayner | Seite 43 |
Chemnitz: Die Unberechenbarkeit des LebensTheater Chemnitz: „Homo Faber“ von Max Frisch. Regie Hasko Weber, Ausstattung Sarah Antonia Rungvon Hartmut Krug | Seite 45 |
Konstanz: Kraft der ImprovisationTheater Konstanz: „Penthesilea“ frei nach Heinrich von Kleist. Regie Leonie Böhm, Bühne Sören Gerhardt, Kostüme Mascha Mihoa Bischoffvon Bodo Blitz | Seite 46 |
Pforzheim: Schau, der Himmel brennt!Theater Pforzheim: „Die Frauen von Troja (Der Untergang)“ von Euripides. Regie Hannes Hametner, Bühne Giovanni de Paulis, Kostüme Erika Landertingervon Otto Paul Burkhardt | Seite 46 |
Senftenberg: Auftritt der Mittelalter-RoboterNeue Bühne Senftenberg: „Blutmordrache. Im Europa der Nibelungen“ nach Friedrich Hebbel. Regie Jan Mixsa / Sandrine Hutinet / Tilo Esche, Bühne Stephan Fernau, Kostüme Jenny Schallvon Thomas Irmer | Seite 48 |
Stuttgart: Beiträge zu unserer GesamtverwirrungSchauspiel Stuttgart: „Was hält uns zusammen wie ein Ball die Spieler einer Fußballmannschaft?“ (UA) von René Pollesch. Regie René Pollesch, Bühne Janina Audick, Kostüme Svenja Gassenvon Otto Paul Burkhardt | Seite 49 |
Tübingen: Chronik eines AttentatsLandestheater Tübingen: „Ichglaubeaneineneinzigengott.“ von Stefano Massini. Regie Thorsten Weckherlin, Ausstattung Kay Anthonyvon Otto Paul Burkhardt | Seite 50 |
Wien: Liebesverlierer und TachiniererVolkstheater: „Wien ohne Wiener“ (UA). Ein Georg-Kreisler-Liederabend von Nikolaus Habjan und Franui. Regie und Puppenbau Nikolaus Habjan, Ausstattung Denise Heschlvon Margarete Affenzeller | Seite 51 |
Stück | |
Lasst uns über euch redenDie Autorin und Regisseurin Laila Soliman über ihr Stück „No Desert Roses“ im Gespräch mit Lilly Buschvon Laila Soliman und Lilly Busch | Seite 54 |
No Desert RosesAus dem Englischen von Anne Simmeringvon Laila Soliman | Seite 56 |
Magazin | |
In aller Ratlosigkeit auch ein wenig GlückDas europäische Festival für junge Regie Fast Forward in Dresdenvon Theresa Schütz | Seite 65 |
33 Prozent TheaterVeronica Kaup-Haslers letzter steirischer herbstvon Hermann Götz | Seite 66 |
Reisebüro Rinck: Die Flugbahn des Traumesvon Monika Rinck | Seite 67 |
Rehabilitation halb geglücktDie Berliner Schaubude entdeckt beim Festival Theater der Dinge den Kasper als Rebell wiedervon Tom Mustroph | Seite 68 |
Extrem eingreifendes DenkenEine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste über die Freundschaft von Walter Benjamin und Bertolt Brechtvon Holger Teschke | Seite 69 |
Eine Hanse fürs TheaterEin Kick-off-Meeting in Stralsund bereitet den Weg für ein internationales Theaterfestival im Ostseeraumvon Juliane Voigt | Seite 70 |
Woyzeck in PekingZeitgenössisches Theater in China 中国当戏剧. Hrsg. von Cao Kefei, Sabine Heymann und Christoph Lepschy. Alexander Verlag, Berlin 2017, 440 S., 38 EUR.von Antje Budde | Seite 72 |
Die Gespenster, die wir riefenMark Fisher: Das Seltsame und das Gespenstische. Edition Tiamat, Berlin 2017, 176 S., 18 EUR.von Chris Weinhold | Seite 73 |
Very BritishTobias Schwartz / Virginia Woolf: Bloomsbury & Freshwater. AvivA Verlag, Berlin 2017, 144 S., 18 EUR.von Martin Krumbholz | Seite 73 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 74 |
PremierenDezember 2017 | Seite 76 |
TdZ on Tour | Seite 78 |
TdZ on Tour | |
Impressum/Vorschau | Seite 79 |
Autoren Dezember 2017 / Vorschau | |
Gespräch | Seite 80 |
Was macht das Theater, Morten Grunwald?von Thomas Irmer und Morten Grunwald |
Christine Adam
Margarete Affenzeller
Bodo Blitz
Antje Budde
Otto Paul Burkhardt
Lilly Busch
Gunnar Decker
Dorte Lena Eilers
Hermann Götz
Morten Grunwald
Jakob Hayner
Lilli Helmbold
Thomas Irmer
Pedro Kadivar
Berkan Karpat
Renate Klett
Amir Reza Koohestani
Hartmut Krug
Martin Krumbholz
Wajdi Mouawad
Tom Mustroph
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Maximilian Schäffer
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