Heft 02/2019
Bye, Bye, Europe
Broschur mit 80 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
- Statements zum Brexit
Seit zwei Jahren kursiert im Internet ein Video mit einem kurzen Ausschnitt aus Monty Pythons „Das Leben des Brian“, allerdings mit anderem Text. Man sieht John Cleese, Michael Palin und all die anderen in schwarzen Kutten in einer Hütte sitzen und debattieren. Doch anstatt über die Unterwanderung des Römischen Reichs zu sprechen, geht es laut neuen Untertiteln um die Europäische Union. „Was hat die EU je für uns getan?“, fragt Cleese in die grummelnde Menge. Die Antworten kommen zaghaft, doch die Liste wird immer länger: „Ökonomische Stabilität, Umweltschutz, Arbeiterrechte, Frieden …“ Damals schaute man noch spöttelnd auf den per Volksentscheid initiierten Brexit. Zwei Jahre später jedoch ist selbst den bösesten Satirikern der Insel das Lachen vergangen: „Der Brexit ist einfach nicht lustig“, wetterte Michael Palin jüngst in einem Interview.
Über den Brexit zu schreiben, erklärt das deutsch-britische Performancekollektiv Gob Squad in unserem Schwerpunkt, fühle sich so an, als würde man gegen Windmühlen kämpfen. Der Zeitpunkt des EU-Austritts rückt näher, und doch weiß niemand genau, wie die Ehe zwischen Insel und Festland geschieden werden soll, zumal am 15. Januar das britische Parlament Theresa Mays Brexit-Vertrag mit großer Mehrheit ablehnte. Wir haben Künstler aus dem UK gefragt, wie sie die derzeitige politische Situation einschätzen. Geantwortet haben neben Gob Squad auch der britische Regisseur Robert Icke, der derzeit in Stuttgart und Basel große Erfolge feiert, sowie der Künstlerische Leiter der britischen Performancegruppe Forced Entertainment Tim Etchells. Deutlich in ihren Texten werden die große Erschöpfung angesichts des politischen Desasters in Westminster, aber auch der unbedingte Wille, das jeweilige künstlerische Programm nicht aufzugeben. Weltläufigkeit und der Blick auf die lokalen gesellschaftlichen Verwerfungen schließen sich dabei nicht aus. Über Letzteres sprechen auch Walter Meierjohann, ehemaliger Intendant am HOME Theatre in Manchester, und Peter M. Boenisch, der in London Theaterwissenschaft lehrt. Angegliedert an diesen Schwerpunkt ist das Künstlerinsert über das Londoner Recherche- und Künstlerkollektiv Forensic Architecture in diesem Heft. Unter der Leitung von Eyal Weizman untersucht die Gruppe seit 2011 mit den Möglichkeiten der Architektur und der Medienanalyse Menschenrechtsverletzungen und staatliche Desinformation, so unter anderem den Fall des Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas Temme, der in dem Kasseler Internetcafé saß, in dem 2006 Halit Yozgat vom sogenannten NSU erschossen wurde. Ein Mord, von dem Temme nichts mitbekommen haben will.
Um die Verschwisterung von Politik und Kunst geht es auch in Gunnar Deckers Reportage aus Schwerin. Am Mecklenburgischen Staatstheater ist die Stimmung schlecht wie nie. Wenngleich zunächst Entspannung herrschte, als „Sparminister“ Mathias Brodkorb unter der neuen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig aus dem Kultur- in das Finanzressort wechselte, scheinen Zahlen nach wie vor das ausschlaggebende Argument am Haus zu sein. Intendant Lars Tietje, unter Brodkorb 2016 ins Amt gehoben, wird vorgeworfen, das Theater mit unglücklicher Hand sanieren zu wollen. Um dies durchzusetzen, sorge er für ein Klima der Angst und Unterdrückung. Gunnar Decker hat mit den Beteiligten dieses Theaterstreits gesprochen.
Wesentlich erfreulicher liefen in den vergangenen Monaten die Starts der neuen Intendanzen am Festspielhaus Hellerau in Dresden und an der Kaserne Basel ab. Während Carena Schlewitt, die ehemalige Intendantin der Kaserne Basel, als Leiterin des Festspielhauses in Hellerau für Perspektiverweiterungen sorgt, unter anderem mit einem Festival für polnisches Theater, sucht Sandro Lunin an der Kaserne einen Nord-Süd-Dialog zu etablieren. „Lust am Widerspruch“ lautet dabei der Titel eines seiner Schwerpunkte.
Mit unserem Stückabdruck „heiner 1– 4 (engel fliegend, abgelauscht)“ von Fritz Kater erinnern wir an Heiner Müller, dessen Geburtstag sich am 9. Januar zum 90. Mal jährte. Thomas Irmer sprach mit dem Philosophen Marcus Steinweg über die philosophische Dimension von Müllers Schaffen. „Wenn es eine Moral des Denkens gibt“, sagt Steinweg, „dann liegt sie nicht in moralischer Verklärung, sondern im Bemühen um Klarheit, was das Verständnis des Wirklichen, seine Analyse und politische Gestaltung betrifft.“ Eine Aussage, die wir mit den besten Grüßen in Richtung London adressieren.
Besonders freuen wir uns, mit der Februarausgabe 2019 Anja Nioduschewski als neue Redakteurin von Theater der Zeit begrüßen zu dürfen. //
Die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Künstlerinsert | |
Screenshots, Fotos und Grafikenvon Forensic Architecture | Seite 4 |
Knochen lügen nieIn ihrer Londoner Datenzentrale arbeiten Forensic Architecture mit atemberaubender Schlagkraft an der Aufdeckung von Verbrechenvon Heimo Lattner | Seite 8 |
Thema: Brexit | |
Drei Statements: Wir haben unsere Taschen mit Steinen gefülltvon Tim Etchells | Seite 11 |
Drei Statements: Bis die Alarmglocke schrilltvon Gob Squad | Seite 13 |
Drei Statements: Niemand ist mutig genug, Stopp zu rufenvon Robert Icke | Seite 15 |
Out of TouchDer ehemalige Intendant des HOME Theatre in Manchester Walter Meierjohann und der in London lehrende Theaterprofessor Peter M. Boenisch im Gespräch über den Brexitvon Peter M. Boenisch und Walter Meierjohann | Seite 16 |
Protagonisten | Seite 20 |
Der neue Mann von gesternTheaterkrise in Schwerin – Steht Intendant Lars Tietje auf verlorenem Posten?von Gunnar Decker | |
Kolumne | Seite 23 |
Wer es wagt, seine Stimme zu erhebenDas große Schweigen über die Wahrheit der Mächtigenvon Josef Bierbichler | |
Protagonisten | |
NachbarschaftsstudienCarena Schlewitt blickt als neue Intendantin von Hellerau in Dresden wieder vermehrt auf Theater und Musik sowie nach Osteuropavon Michael Bartsch | Seite 24 |
Translokales WelttheaterSandro Lunin setzt als neuer Künstlerischer Leiter der Kaserne Basel mit einem Nord-Süd-Dialog frische Akzentevon Dominique Spirgi | Seite 27 |
Stiller Weltuntergang in Dänisch-SibirienBertolt Brechts Exil in Svendborgvon Holger Teschke | Seite 30 |
Countdown beendetEin Nachruf auf das estnische Performance-Ensemble Theater NO99von Madli Pesti | Seite 32 |
Auftritt | |
Berlin: Das Ende vom FliegenHAU Hebbel am Ufer: „Crash Park – Das Leben einer Insel“ von Philippe Quesne. Konzept, Regie und Bühne Philippe Quesne, Kostüme Corine Petitpierrevon Dorte Lena Eilers | Seite 37 |
Berlin: Das Stasi-MusicalVolksbühne Berlin: „Haußmanns Staatssicherheitstheater“ (UA) von Leander Haußmann. Regie Leander Haußmann, Bühne Lothar Holler, Kostüme Janina Brinkmannvon Jakob Hayner | Seite 37 |
Bern: Mit Schmerz und WürdeKonzert Theater Bern: „Das Missverständnis“ von Albert Camus. Regie Claudia Meyer, Bühne Konstantina Dacheva, Kostüme Barbara Kurthvon Harald Müller | Seite 38 |
Düsseldorf: Von heimlichen HauptrollenDüsseldorfer Schauspielhaus: „Don Karlos“ von Friedrich Schiller. Regie Alexander Eisenach, Bühne Daniel Wollenzin, Kostüme Lena Schmidvon Martin Krumbholz | Seite 39 |
Graz: Das Prinzip ScheiternSchauspiel Graz: „Die Revolution frisst ihre Kinder!“ (UA) von Jan-Christoph Gockel & Ensemble. Regie Jan-Christoph Gockel, Ausstattung Julia Kurzwegvon Hermann Götz | Seite 40 |
Meiningen: Auf schwankendem BodenMeininger Staatstheater: „Wir sind keine Barbaren!“ von Philipp Löhle. Regie Annett Kruschke, Ausstattung Rimma Elbertvon Gunnar Decker | Seite 42 |
München: Leerlauf am RoulettetischResidenztheater: „Der Spieler“ von Fjodor M. Dostojewski. Regie Andreas Kriegenburg, Bühne Harald B. Thor, Kostüme Andrea Schraadvon Christoph Leibold | Seite 43 |
Naumburg: Erotik des VerratsTheater Naumburg: „Judas“ von Lot Vekemans. Regie und Ausstattung Stefan Neugebauervon Gunnar Decker | Seite 44 |
Osnabrück: Stotternde MonadenTheater Osnabrück: „Nähe“ (UA) von Mario Wurmitzer. Regie Ron Zimmering, Bühne Ute Radler, Kostüme Benjamin Burgundervon Jens Fischer | Seite 45 |
Paris: Zwischen Protest und PoesieThéâtre du Soleil: „Kanata – Épisode I – La Controverse“ von Robert Lepage und dem Théâtre du Soleilvon Renate Klett | Seite 46 |
Stück | |
Im Strudel der VerweiseFritz Kater über sein neuestes Stück „heiner 1– 4 (engel fliegend, abgelauscht)“ im Gespräch mit Thomas Irmervon Thomas Irmer und Fritz Kater | Seite 48 |
heiner 1– 4(engel fliegend, abgelauscht)von Fritz Kater | Seite 50 |
Magazin | |
Depot für widerständige KunstDer Ringlokschuppen Ruhr in Mülheim – ein Zentrum für zeitgenössisches Theater, Performance und Tanz – feiert sein 25-jähriges Bestehenvon Lisa Kerlin | Seite 69 |
Mir nach!Die Glanzstoff – Akademie der inklusiven Künste in Wuppertal bildet Menschen mit Behinderung zu professionellen Schauspielern für Bühne, Film und Fernsehen ausvon Martin Krumbholz | Seite 70 |
Geschichten vom Herrn H.: Über Lügenpresse und Theaterwahrheit im außermoralischen Sinnevon Jakob Hayner | Seite 71 |
Der TheaterprojektmanagerFalk Richter: Disconnected. Theater, Tanz, Politik. Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik. Alexander Verlag Berlin, 180 Seiten, 16 EUR.von Martin Krumbholz | Seite 72 |
Kapitalisierung der KreativitätMarkus Metz / Georg Seeßlen: Kapitalistischer (Sur)realismus. Neoliberalismus als Ästhetik. Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2018, 300 Seiten, 18 EUR.von Chris Weinhold | Seite 72 |
Das Scheusal auf Platz 23Theodor Fontane: Da sitzt das Scheusal wieder. Die besten Theaterkritiken. Hg. von Debora Helmer, Aufbau Verlag, Berlin 2018, 240 Seiten, 24 EUR.von Holger Teschke | Seite 73 |
Meldungen | Seite 74 |
PremierenFebruar 2019 | Seite 76 |
TdZ on Tour | Seite 76 |
Impressum/Vorschau | Seite 79 |
Autoren Februar 2019 / Vorschau | |
Gespräch | Seite 80 |
Was macht das Theater, Marcus Steinweg?von Thomas Irmer und Marcus Steinweg |
Michael Bartsch
Josef Bierbichler
Peter M. Boenisch
Gunnar Decker
Dorte Lena Eilers
Tim Etchells
Jens Fischer
Forensic Architecture
Gob Squad
Hermann Götz
Jakob Hayner
Robert Icke
Thomas Irmer
Fritz Kater
Lisa Kerlin
Renate Klett
Martin Krumbholz
Heimo Lattner
Christoph Leibold
Walter Meierjohann
Harald Müller
Madli Pesti
Dominique Spirgi
Marcus Steinweg
Holger Teschke
Chris Weinhold
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