Recherchen 49
Inszenierte Wirklichkeit
Kapitel einer Kulturgeschichte des Theatralen
von Joachim Fiebach
Paperback mit 296 Seiten, Format: 140 x 240 mm
ISBN 978-3-940737-08-3
In Anknüpfung an Vorlesungsreihen und Seminare an verschiedenen Universitäten seit den 1990er Jahren untersucht der Berliner Theaterwissenschaftler heutige Phänomene der medienvermittelten Darstellung von Politik, Ökonomie und Gesellschaft. Er mustert geschichtliche Linien und Brüche in Praktiken der „Inszenierung von Wirklichkeiten" und fragt nach Hintergründen und Ursachen der theatralen Dimensionen soziopolitischer Vorgänge und der Wirksamkeit von Theaterkunst, wie sie sowohl in vormodernen Gesellschaften Europas, Asiens und Afrikas als auch in den geschichtlichen Bewegungen der Moderne bis heute zu beobachten sind. Er skizziert vielfältige theatrale Darstellungs- und Kommunikationsweisen und diskutiert Ursachen ihres Formenwandels, vom Geschichten-Darsteller-Theater oraler Ordnungen bis zur kritischen Theaterkunst der Gegenwart und zur Theatralisierung heutiger Warenhäuser und inszenierter Fernsehwirklichkeit.
Dieses Buch mustert theatrale Praktiken, mit denen sich gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse realisieren und, besonders, zu legitimieren suchen, und in denen sich, gleichsam auf der anderen Seite, Haltungen und Bewegungen manifestieren, die sich diesen Verhältnissen entziehen möchten oder gegen sie angehen. Anders beschrieben wären solche Tätigkeiten "inszenierte Wirklichkeiten". Mediale Politikvermittlung spiegelt nicht nur, so Ulrich Sarcinelli über gegenwärtige politische Praxis, sondern "schafft und verändert Wirklichkeit". Insofern müsse die medienvermittelte Darstellung von Politik "als ein ›Wirklichkeitsgenerator sui generis‹, also nicht nur als Medium, sondern auch als Faktor der Politik, angesehen werden".1
Es geht mir in erster Linie um heutige Phänomene, vor allem die Medieninszenierungen. Das Gegenwärtige aber ist nicht angemessen zu behandeln ohne den Blick in Vergangenes, auf historisch Übergreifendes, die langen Geschichten theatraler "Wirklichkeitsgeneratoren" und nicht zuletzt der Theaterkünste. Das Buch sucht beides zusammen zu sehen, als eine Collage. Die ersten zwei Kapitel stellen in Sprüngen und mit abrupten Schlüssen heutige und vergangene theatrale Vorgänge vor, während die nachfolgenden sechs Bewegungen theatraler Tätigkeiten und ihrer jeweiligen geschichtlichen Kontexte von vormodernen Gesellschaften zur Gegenwart sondieren, in Ausschnitten, skizzenhaft. Passagen und ganze Kapitel beginnen in der Regel ohne umfassende Erläuterungen und/oder enden ohne zusammenfassende "Thesen". Dazwischen geschnitten, eben collagiert, sind subjektive Bemerkungen.
Das Fragmentarische und Sprunghafte könnte das Lesen des Ganzen erschweren, die ungefügte Form aber auch in sich beunruhigen. Kapitel einer "Kulturgeschichte des Theatralen" möchten gegen die Enthistorisierung arbeiten, die nach Manuel Castells der heutigen Netzwerkgesellschaft eingeschrieben sei2, gegen das Abstumpfen des Sinns für die Historizität der Dinge, gegen, so Eric Hobsbawm 1994, die "Zerstörung der Vergangenheit, oder vielmehr die jenes sozialen Mechanismus, der die Gegenwartserfahrung mit derjenigen früherer Generationen verknüpft". Sie sei eines der "unheimlichsten Phänomene des späten 20. Jahrhunderts". Die meisten jungen Menschen "wachsen in einer Art permanenter Gegenwart auf, der jegliche organische Verbindung zur Vergangenheit ihrer eigenen Lebenszeit fehlt".3
1 Sarcinelli, Ulrich: "Politische Inszenierung im Kontext des aktuellen Politikvermittlungsgeschäfts", in: Arnold, S./Fuhrmeister, C./Schiller, D. (Hg.): Politische Inszenierung im 20. Jahrhundert: Zur Sinnlichkeit der Macht, Wien/Köln/Weimar 1998, S. 149.
2 Castells, Manuel: End of Millenium. Second Edition, Cambridge/Mass./Oxford/UK 2000, S. 380f.
3 Hobsbawm, Eric: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München/Wien 1995, S. 17.
Kapitel | Seite |
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Kapitel | Seite |
Vorbemerkung | Seite 6 |
I. Kapitel - Das Neue und das Alte I: Mythisches | |
"Politik wird zu einem Theater" (Castells). Das Möglichevon Joachim Fiebach | Seite 11 |
Gespaltene Welten. Gespaltenes Sehenvon Joachim Fiebach | Seite 14 |
Macht des Symbolischenvon Joachim Fiebach | Seite 19 |
Mythischesvon Joachim Fiebach | Seite 21 |
Audiovisuelle Dramatisierung des Kampfes gegen das BöseMythisches heutevon Joachim Fiebach | Seite 25 |
Theatrale MachtpraktikenMythisches von Vorvorgesternvon Joachim Fiebach | Seite 27 |
II. Kapitel - Das Neue und das Alte II: Darstellungsweisen | |
Plurale Medien. Individuelle Selbstbestimmungvon Joachim Fiebach | Seite 38 |
Selektieren Collagieren KonstruierenMacht- und Herrschaftsverhältnissevon Joachim Fiebach | Seite 40 |
Das "Moderne" im Schoß des "Vormodernen"von Joachim Fiebach | Seite 45 |
"Hypermodernes" im "Vormodernen"? I:Das Vieldimensionale der Dingevon Joachim Fiebach | Seite 49 |
"Hypermodernes" im "Vormodernen" II:Das Wandelbare der Dinge im Festvon Joachim Fiebach | Seite 55 |
"Hypermodernes" im "Vormodernen"? III:Folgenlosigkeitvon Joachim Fiebach | Seite 57 |
"HypermodernesAthens Dionysien des 5. Jahrhundertsvon Joachim Fiebach | Seite 59 |
III. Kapitel - Eine KulturGeschichte des Theatralen | |
Verdrängung des Geschichtlichenvon Joachim Fiebach | Seite 70 |
Gesichtspunkte einer "Archäologie" des Theatralenvon Joachim Fiebach | Seite 72 |
IV. Kapitel - Zur Vormoderne | |
Streifzüge I: Europavon Joachim Fiebach | Seite 80 |
Streifzüge II: Asienvon Joachim Fiebach | Seite 82 |
VerSinnBildlichung und Orale Kulturenvon Joachim Fiebach | Seite 86 |
VerSinnBildlichung und Manuskriptkulturen: Europavon Joachim Fiebach | Seite 89 |
Macht und VerSinnBildlichungvon Joachim Fiebach | Seite 92 |
Doppelgesichtigkeit und Veränderlichkeit der Dinge. Dialektikvon Joachim Fiebach | Seite 96 |
Theater-Kunstvon Joachim Fiebach | Seite 101 |
Manuskripte, Be-Denken der Welt und Theater: Europavon Joachim Fiebach | Seite 104 |
Die Tragödie – Ausformung des Individuums und des Theaters?von Joachim Fiebach | Seite 108 |
Manuskripte, Be-Denken der Welt und Theater: Asienvon Joachim Fiebach | Seite 109 |
Die Feinen Unterschiedevon Joachim Fiebach | Seite 112 |
Das Synkretischevon Joachim Fiebach | Seite 118 |
V. Kapitel - Europa vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts | |
Das geregelte Theatervon Joachim Fiebach | Seite 128 |
Modernes Denkenvon Joachim Fiebach | Seite 133 |
Das Sozialpolitischevon Joachim Fiebach | Seite 135 |
Buchdruckvon Joachim Fiebach | Seite 138 |
Shakespeare, Harlekin und das Andere der Dingevon Joachim Fiebach | Seite 140 |
Sein und/oder Schein. Paradoxe Theatralität Ivon Joachim Fiebach | Seite 144 |
Unbehagen in der Neuen Zeit. Paradoxe Theatralität IIvon Joachim Fiebach | Seite 147 |
Druckkultur Individuum (Kunst)WERKvon Joachim Fiebach | Seite 152 |
Protestantismusvon Joachim Fiebach | Seite 153 |
Soziale Klüfte. Kulturelle Spaltungvon Joachim Fiebach | Seite 158 |
Wandel und Verschwinden "alter Theatralität"von Joachim Fiebach | Seite 161 |
VI. Kapitel - Zum europäischen 19. Jahrhundert | |
Tempel und Kathedralen der Modernevon Joachim Fiebach | Seite 175 |
Theatrales als Triebkraft und Disziplinartechnik. Konsumerismusvon Joachim Fiebach | Seite 180 |
Feste und Feiernvon Joachim Fiebach | Seite 187 |
Illusionismus. Disziplinierung des Theaters und "Unbehagen in der Modernität"von Joachim Fiebach | Seite 190 |
Das "Antitheatrale Vorurteil"von Joachim Fiebach | Seite 195 |
Druckkulturvon Joachim Fiebach | Seite 197 |
Macht des Gedruckten und Sozialpolitische Machtkämpfevon Joachim Fiebach | Seite 200 |
VII. Kapitel - Im 20. Jahrhundert | |
AufWertung des Sinnlichen I: Das Kleidertheatervon Joachim Fiebach | Seite 214 |
AufWertung des Sinnlichen II: Der Filmvon Joachim Fiebach | Seite 218 |
Kunst-Avantgarde und Industrie-Kapitalismusvon Joachim Fiebach | Seite 221 |
"Unbehagen in der Moderne"von Joachim Fiebach | Seite 225 |
Der Erste Weltkrieg und avanciertes Theatervon Joachim Fiebach | Seite 231 |
Sozialpolitische Theatralitätvon Joachim Fiebach | Seite 233 |
Abbau des "antitheatralen Vorurteils"von Joachim Fiebach | Seite 237 |
VIII. Kapitel - Nach 1945 | |
"Gesellschaft des Spektakels"von Joachim Fiebach | Seite 248 |
Das Denken anderer Arten von Freiheit – obsolet!von Joachim Fiebach | Seite 254 |
"Die Welt geht schlecht"von Joachim Fiebach | Seite 262 |
Macht der Medienrealitätenvon Joachim Fiebach | Seite 264 |
Aus-Sicht I: Fragmentierte Wirklichkeitenvon Joachim Fiebach | Seite 269 |
Aus-Sicht II: Verschwimmen der Dingevon Joachim Fiebach | Seite 276 |
Aus-Wegevon Joachim Fiebach | Seite 278 |
Der Autor |
„Mit essayistischer Verve trägt Fiebach seine Legierung aus Fachkenntnissen und Subjektivem vor. Von einnehmendem Charme ist seine klare wie elegante Sprache, in der er seine Wahrnehmungen und sein Unbehagen an der Gegenwart formuliert, um - mit Heiner Müller gesprochen - "Ohne Hoffnung, aber auch ohne Verzweiflung" etwas am Gang der Welt zu korrigieren.“Leipzig Almanach
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Zum Autor
Joachim Fiebach
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Bibliographie
Beiträge von Joachim Fiebach finden Sie in folgenden Publikationen:
Heft 10/2019
Deutsche Zustände
Intendanten über ein neues politisches Selbstverständnis
Vorsicht Volksbühne!
Das Theater. Die Stadt. Das Publikum.
Heft 08/2018
Vorsicht Volksbühne!
Das Theater. Die Stadt. Das Publikum.
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
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