Festhaltende Genauigkeit

Die Theaterphotographie der Maria Steinfeldt

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Der Eigensinn der wortkargen Elevin zeigte sich daran, daß sie sich dafür überhaupt nicht interessierte. Wie sollte man, fragte sie sich, das Wesen einer Aufführung in Nahoder Halbnah-Aufnahmen einzelner Schauspieler erfassen können? Sie bekam Brechts Theaterarbeit in die Hand, den großen Text-Bild-Band von 1952; was dort mit der Signatur rb. (Ruth Berlau) auf fünf Seiten über Theaterphotographie1 stand, wurde zum Leitbild ihrer Arbeit, die nicht auf Pressefotos und Schaukästen beschränkt sein wollte, sondern darauf zielte, in den Prozeß der Inszenierung einbezogen zu werden. „Wir benutzten oft unsere Fotos“, hatte Ruth Berlau geschrieben, „die Arrangements auf Sinn und Schönheit nachzuprüfen. Auf den Bildern kann nicht das Wort oder der Schwung über die Dürftigkeit des Anblicks hinwegtäuschen. Weder des Schauspielers Spiel noch die Spannung auf den Fortgang der Handlung machen den Betrachter der Bilder die Einzelheiten übersehen: die hingeschlampte kleine Szene im Hintergrund, den lieblos gemachten, nichtssagenden Stuhl. Selbst der Regisseur übersieht auf der Probe, folgend dem Darsteller, der die Szene führt, einen andern, der nichts zu ihr beiträgt. Oft genügt es, wenn man einem Darsteller ein Bild zeigt, damit er einen Fehler korrigieren kann.“2

Hilfestellung beim Probenprozeß, das war das eine. Das andere: Überlieferung des Ergebnisses und der Wege und Umwege, die zu ihm geführt hatten, mithin: eine ganz neue Basis für die Theatergeschichtsschreibung. „Das Theater“, endete Berlaus Text, „würde viel gewinnen, wenn es damit rechnen könnte und müßte, daß seine Darbietungen im Bild festgehalten werden. Die Schauspieler würden neuen Spaß an wahrheitsgetreuen und bedeutenden Gestaltungen gewinnen, wissend, daß spätere Zeiten von ihrem Wissen und Wirken erfahren würden.“3

Es war Brecht und seinen Mitstreitern um nichts Geringeres gegangen als um die Grundlegung einer neuen Schwesterkunst des Theaters, vergleichbar derjenigen, die die graphische Kultur Japans und Chinas in Gestalt zahlreicher Schauspieler- und Szenendarstellungen hervorgebracht hatte. Doch auch das deutsche Theater hatte in seinen Blütezeiten dergleichen gekannt; aus dem ersten Jahrzehnt der Zauberflöte gibt es graphische Szenenfolgen, deren Bezug auf Theateraufführungen offenkundig ist.4 Die Aufgabe, dies mit den Mitteln der Photographie auf unmittelbar dokumentarische Weise zu leisten, war im 20. Jahrhundert nur punktuell angegangen worden; jeder bemerkt es, der in Archiven deutscher Theater nach Bildmaterial fahndet und nur ganz vereinzelt auf Bildfolgen stößt, die einen Eindruck von der szenischen Gesamtkomposition geben. Diese Abstinenz mochte, außer mit dem Fehlen festangestellter Hausphotographen, auch mit der mangelnden Lichtempfindlichkeit der Filme zusammenhängen. Die Grobkörnigkeit hochempfindlicher Filme nicht als Hindernis, sondern als einen Reiz anzusehen war eine ausdrücklicher Mahnung Ruth Berlaus in Theaterarbeit.

Maria Steinfeldt las dort die Seiten über Theaterphotographie und über die Anfertigung von „Modellbüchern“, also die Anordnung von Aufführungsfotos zu textuntersetzten Szenenfolgen, und begab sich an den Ursprung dieser grundstürzenden Neuerungen, an das Berliner Ensemble, um dort Manfred Wekwerths und Joachim Tenscherts Inszenierung der Tage der Commune schon im Probenprozeß aufzunehmen, der ein volles Jahr in Anspruch nahm. Wo sind alle diese Aufnahmen geblieben, im Archiv Helga Wallmüllers oder in dem der Leipziger Hochschule? Die Mentorin konnte bemerken, daß hier jemand auf ganz andern Wegen wandelte als sie selbst. Der Studentin war etwas gelungen, was die Ökonomie des regierenden Sozialismus vergebens einforderte: Überholen ohne einzuholen.

Bewarb sich die Leipziger Diplomandin damals an anderen Theatern? Sie bemerkte, daß sie mit dem, was sie wollte, nicht ihren Lebensunterhalt verdienen könne und lebte als freischaffende Photographin von ganz andern Aufgaben, von Porträt-, Ausstellungs- und Sachaufnahmen aller Art. Auch in späteren Jahren hat sie die Porträtphotographie nicht außer Acht gelassen und bei Gelegenheiten, die sie interessierten, ihre Practica gezückt, bei Vorträgen, Lesungen, Geburtstagsfeiern und Preisverleihungen derer, die sie kannte und schätzte. Die Spanne reicht von Therese Giehse bis zu Curt Bois, von Stefan Heym bis zu Helene Weigel, von Loriot bis zu Peter Hacks.

Ihre Stunde als Theaterphotographin schlug, als Ruth Berghaus 1965 im Berliner Theaterleben Fuß faßte: mit Dessaus und Brechts Oper Die Verurteilung des Lukullus an der Deutschen Staatsoper und dem Lehrstück vom Ja- und vom Neinsager am Berliner Maxim-Gorki-Theater. Beide Inszenierungen nahm Maria Steinfeldt auf, es folgte die Uraufführung von Paul Dessaus Puntila-Oper an der Lindenoper ein Jahr später; zwischen der Regisseurin und der Photographin bahnte sich ein Arbeitsverbund an, der auf einer besonderen Gleichgestimmtheit beruhte. Was sie verband, war die Lust am pointierten Bild und der Hang zu dem, was die einen ordentliche Arbeit und die weniger Ordentlichen Perfektion nennen, dazu eine Art von Sprödigkeit, die der tiefen Unlust an jeder Selbstdarstellung über die Arbeit hinaus entsprang. Maria Steinfeldt, schrieb ich 2002 zu einer Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste, war von der Regisseurin „als eine Photographin erkannt worden, die den genauen Blick auf die Bühne, die Sensibilität für den richtigen Bildmoment, für die Drehpunkte, wie Brecht es nannte, mit größter technischer Professionalität verband, eine Haltung, in der Sachlichkeit, Empfindung, Distanz, das Zurücktreten hinter der mit großem Engagement betriebenen Arbeit sich ähnlich verbanden wie bei ihr selbst. So wurde Maria Steinfeldt zu mehr als nur zu einer Bildreporterin dieses an Reichweite und Souveränität wachsenden Theater-OEuvres; sie wurde zu einer Mitarbeiterin, die sich immer schon in die Proben setzte, um ein Gefühl für die entstehende Arbeit zu bekommen, und deren visuelle Bestandsaufnahme – auf den Proben und danach – oft zur Basis für die Weiterarbeit wurde.“5

Nur freischaffend, unter eingeschränkten materiellen Bedingungen, konnte die Photographin ihrer Neigung folgen, mit dem Ernst zu machen, was Brecht und Berlau an Anforderungen formuliert hatten. Als Ruth Berghaus 1972 die Nachfolge Helene Weigels als Intendantin des Berliner Ensembles antrat, ergab sich keine Möglichkeit der Anstellung an diesem Theater, das in dem Ostpreußen Percy Paukschta einen Hausphotographen besaß, der ihr nach Können und Haltung nahekam. Paukschta arbeitete seit Jahrzehnten auf der von Brecht vorgezeichneten Linie und nahm die Inszenierungen des Theaters aus der Totale mit großer Akribie modellbuchhaft auf, ergänzt von Vera Tenschert, einer jüngeren Lichtbildnerin, die als Frau des Chefdramaturgen auch zahlreiche Porträtgelegenheiten wahrnahm. Wohin sonst hätte Maria Steinfeldt gehen sollen? Als Freischaffende nahm sie sich die Zeit, die sie brauchte, um „von dem eigenen Erleben bis zu den fertigen Bildern zu kommen“ (Interview mit Thomas Irmer in diesem Band), die oft mit Nachtschichten verbunden waren.

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