Recherchen 117
Momentaufnahme Theaterwissenschaft
Leipziger Vorlesungen
Herausgegeben von Gerda Baumbach, Veronika Darian, Günther Heeg, Patrick Primavesi und Ingo Rekatzky
Paperback mit 226 Seiten, Format: 140 x 240 mm
ISBN 978-3-95749-028-5
Der vorliegende Band ist dreierlei: Stellungnahme, Positionsbestimmung und ein Akt der Solidarität. Er enthält die Beiträge von maßgeblichen Wissenschaftlern der deutschsprachigen theaterwissenschaftlichen Institute zu der gemeinsamen Ringvorlesung „Aus Tradition Grenzen überschreiten“, die im Sommer 2014 in Leipzig stattfand. Der Anlass war ein zwiespältiger: Das Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig wurde im 20. Jahr seines Bestehens mit massiven Stellenstreichungen konfrontiert. Der Band bietet die Momentaufnahme der Forschungsansätze eines hochproduktiven und grenzüberschreitenden Faches, die in ihrer Unterschiedlichkeit und Korrespondenz von der Zukunftsfähigkeit der Theaterwissenschaft zeugen. Die Beiträge unterstreichen die Relevanz der Theaterwissenschaft und verteidigen deren unverzichtbare Vermittlungsfunktion innerhalb der Geisteswissenschaften sowie gegenüber neoliberalen Logiken und einer vollständigen Ökonomisierung der Universität. Die Publikation ist ein unübersehbares Signal dieses gemeinsamen Widerstands.
Mit Beiträgen von Hans-Thies Lehmann, Günther Heeg, Christopher Balme, Matthias Warstat, Gerda Baumbach, Andreas Kotte, Friedemann Kreuder, Patrick Primavesi, Nikolaus Müller-Schöll, Ulrike Haß, Stefan Hulfeld, Veronika Darian, Peter W. Marx, Ulf Otto, Gerald Siegmund und Wolf-Dieter Ernst.
Theaterwissenschaft ist derzeit verstärkt im Gespräch. Erstmals wird im November dieses Jahres ein Universitäts-Institut, die Leipziger Theaterwissenschaft, wegen seiner Ausstrahlung und seiner Bedeutung auch für die Theaterpraxis mit dem Deutschen Theaterpreis Der Faust ausgezeichnet. Die Ehrung kann als stellvertretend für die Leistungen der gesamten deutschsprachigen Theaterwissenschaft gelten. Sie unterstreicht die Relevanz theaterwissenschaftlicher Forschung im Feld der Humanities, von der die Beiträge dieses Bandes einen lebendigen Eindruck geben.
Der Anlass ihrer Publikation ist aktuell und akut. Im Jahr 2014 feiert das Institut für Theaterwissenschaft an der Universität Leipzig sein 20-jähriges Bestehen. Gleichzeitig sieht es sich von Seiten des Rektorats dieser Universität in seiner Existenz bedroht. Auf die zwiespältige Situation reagierte das Institut im Sommersemester 2014 mit einer Ringvorlesung unter dem Titel: „Theaterwissenschaft: Aus Tradition Grenzen überschreiten“. Kolleginnen und Kollegen der theaterwissenschaftlichen Institute im deutschsprachigen Raum sind der Einladung ohne Zögern gefolgt.(1) Das Ergebnis ist eine Momentaufnahme gegenwärtiger Forschungsansätze, die in ihrer Unterschiedlichkeit ebenso wie in ihrer Korrespondenz die Zukunftsfähigkeit der Theaterwissenschaft ausweisen.
Theaterwissenschaft ist eine Schlüsseldisziplin der Geisteswissenschaften. Nicht nur ist Theater als Praxis, Kunstform und Institution ein wesentlicher Bestandteil von Kulturen. Auch theatrale Praktiken außerhalb des institutionalisierten Theaters bilden einen wichtigen Faktor im Kommunikationsgefüge von Gemeinschaften. Die Inszenierung des Politischen, die Ästhetisierung des Alltags, Formen der gesellschaftlichen Selbstdarstellung und der Ritualisierung, Reenactments historischer Ereignisse oder öffentliche Spektakel sind Elemente aktueller und historischer Theatergefüge, die Kulturen und kulturelles Handeln konstituieren.
Der Titel der Ringvorlesung griff das selbstgewählte Motto der Universität Leipzig auf: „Aus Tradition Grenzen überschreiten“. Grenzüberschreitungen setzt der Gegenstand theaterwissenschaftlicher Forschung seit jeher voraus. Aus dem Grundlagenwissen einer Fachdisziplin heraus überprüft und überschreitet Theaterwissenschaft stetig den Stand des Wissens und der theatralen Praxis im transdisziplinären Kontext sowohl der Humanities als auch der Naturwissenschaften. Die vielfältigen Schnittstellen der Theaterwissenschaft mit anderen Fächern, von den Künsten über die Anthropologie bis zu den Lebenswissenschaften, heben die Vermittlungsfunktion vor allem innerhalb der Geisteswissenschaften hervor, die dem Fach aus seiner Grundlagenforschung heraus zukommt. Darüber hinaus eröffnet die transkulturelle Grenzüberschreitung der Theaterwissenschaft die Möglichkeit, in einer sich globalisierenden Welt die Perspektive des/ der Anderen zu erforschen und sie gegen Vereinnahmung und hegemoniale Verwertungsversuche zu verteidigen. Als produktiv grenzüberschreitendes Fach ist und bleibt die Theaterwissenschaft auch in Zukunft unverzichtbar.
Der vorliegende Band präsentiert die Beiträge der Ringvorlesung, die die thematische und methodische Breite deutschsprachiger theaterwissenschaftlicher Forschung spiegeln. Sie manifestieren zugleich die solidarische Bereitschaft der Beitragenden und ihr Interesse am fachlichen Dialog, wodurch ihre Beteiligung an der kurzfristig anberaumten Vorlesung möglich wurde. Die Reihung der Beiträge folgt dem Ablauf der Veranstaltung. Jede Vorlesung mit jeweils zwei Beiträgen wurde durch eine Begrüßung eröffnet. Auch diese Begrüßungen durch die Leipziger haben wir in diePublikation aufgenommen, denn sie erzählen von der jeweilig sich verändernden aktuellen Situation im Sinne sich distanzierender, ironischer, augenzwinkernder, aber auch bissiger Kommentare im Kampf um den Erhalt des Leipziger Instituts.
Seit das Rektorat der Universität Leipzig das Institut für Theaterwissenschaft im 20. Jahr seines Bestehens mit der Drohung massiver Stellenstreichungen konfrontiert hat, bekunden die Leipziger Theaterwissenschaftler/ innen ihren Protest lautstark und leisten öffentlich Widerstand. Mit vielfältigen Protestaktionen, international besetzten Solidaritätsveranstaltungen, streitbaren Politikerrunden, studentischen Performances und der großen Ringvorlesung hat das Institut im Sommersemester 2014 auf die Situation reagiert(2) und konnte dabei auf eine breite Unterstützung in der Stadt, im Land und weit darüber hinaus bauen. Die Vernetzung des Instituts mit städtischen Kultureinrichtungen und Theatern, theaterwissenschaftlichen Instituten im deutschsprachigen Raum und vielen internationalen Partnern, Künstler/innen wie Wissenschaftler/innen, ist in diesen Monaten deutlich sichtbar hervorgetreten. Das Schicksal des Leipziger Instituts ist jedoch kein Einzelfall. Darum gilt es, die verfolgten Strategien der Ab- und Gegenwehr gemeinsam weiter zu entwickeln gegenüber neoliberalen Logiken und einer vollständigen Ökonomisierung der Universität zum Nachteil angeblich nutzloser Fächer – Tendenzen, die in anderen deutschen Bundesländern bereits korrigiert werden. Die vorliegende Publikation ist ein unübersehbares Signal dieses gemeinsamen Widerstands.
Unser größter Dank gilt den Beitragenden selbst. Trotz der Knappheit zeitlicher Ressourcen in einem zunehmend auf oberflächliche Effizienz verpflichteten Tagesgeschäft waren sie bereit, auf eigene Kosten teils von weither anzureisen und fundierte sowie an der Aktualität der Situation interessierte Beiträge beizusteuern. Eigens zu erwähnen ist an dieser Stelle Hans-Thies Lehmann, dessen empathisches Geleit den Reigen der Beiträge eröffnet.
Ein ebenso großer Dank ist dem Verleger Harald Müller auszusprechen, der den Herausgeber/innen von sich aus anbot, die Beiträge der Ringvorlesung im Verlag Theater der Zeit in der Recherchen-Reihe zu publizieren – und zwar möglichst rasch, um das Buch auch als aktuellen Ausdruck (in) einer Krisensituation zu platzieren. Hierbei half maßgeblich das aufmerksame und mitdenkende Lektorat der hauseigenen Lektorin Lena Schneider.
Ein herzlicher Dank auch an die Performancegruppe friendly fire, die dem Band durch das zur Verfügung gestellte Coverbild eine visuelle Losung schenkte.(3)
Ohne die Ringvorlesung gäbe es diese Publikation nicht, deswegen möchten wir – dankbar zurückblickend – diejenigen nennen, die die Veranstaltung im laufenden Semester und parallel zu den vielen anderen Protestaktionen ermöglicht und gestaltet haben: den Graphiker Pierre Pané-Farré mit seinem durchschlagenden Layout des Plakats, der Postkarten und der Werbedisplays, die versierten Moderator/innen der Vorträge: Jeanne Bindernagel, Micha Braun, Veronika Darian, Sebastian Hauck, Andrea Hensel, Merle Nümann, Tamar Pollak, Marcus Quent, Ingo Rekatzky, Michael Wehren und Helena Wölfl, außerdem die Helfer/innen, die unermüdlich Plakate gehängt und Postkarten verteilt haben, neben den Genannten auch Constanze Stutz, und unsere gute Seele des Instituts(-sekretariats), Christiane Richter.
Gerda Baumbach, Veronika Darian, Günther Heeg, Patrick Primavesi, Ingo Rekatzky
Leipzig im September 2014
1 In der Reihenfolge der Präsentationen im Rahmen der Ringvorlesung und dieses Bandes sind dies folgende Institutionen: die Theaterwissenschaft München an der Ludwig-Maximilians- Universität München, das Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin, das Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern, das Institut für Theaterwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, das Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M., das Institut für Theaterwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, das Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien, das Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig, das Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur der Universität Hildesheim, das Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln, das Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen und die Fachgruppe MusikTheater der Universität Bayreuth; das Institut für Theater- und Medienwissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg konnte sich nicht beteiligen.
2 Siehe die „Chronologie der Ereignisse“ im Anhang.
3 Aufgenommen auf der Solidaritätsveranstaltung „Die Theaterwelt läuft Sturm! – Solidarität mit dem Institut für Theaterwissenschaft“ am 7. Februar 2014 im Großen Saal des Schauspiel Leipzig.
Kapitel | Seite |
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Kapitel | Seite |
Zum Geleit | Seite 12 |
Beherzte Phantasievon Hans-Thies Lehmann | |
Vorlesungen vom 28. Mai 2014 | |
Eröffnung der Ringvorlesungvon Günther Heeg | Seite 16 |
Globale Theatergeschichtevon Christopher Balme | Seite 20 |
Als ob kein Staat wärevon Matthias Warstat | Seite 32 |
Vorlesungen vom 4. Juni 2014 | |
Begrüßungvon Gerda Baumbach | Seite 48 |
Interdisziplinäre Offenheit als Fluch und ChanceAkteure theaterhistoriographischer Forschungvon Andreas Kotte | Seite 51 |
Un/doing DifferencesTheaterwissenschaft als Differenzforschungvon Friedemann Kreuder | Seite 63 |
Vorlesungen vom 18. Juni 2014 | |
Begrüßungvon Patrick Primavesi | Seite 72 |
Posttraumatisches Theater (3)Rabih Mroués Theater der Anderenvon Nikolaus Müller-Schöll | Seite 75 |
Gegenwartsdiagnostik und die Zeit des Theatersvon Ulrike Haß | Seite 91 |
Vorlesungen vom 2. Juli 2014 | |
Begrüßungvon Günther Heeg | Seite 102 |
Erinnerungen an morgenTheaterhistoriographievon Stefan Hulfeld | Seite 105 |
Erinnern. Erzählen. LeibwissenHistorische Anthropologie des Akteursvon Gerda Baumbach | Seite 107 |
Vorlesungen vom 3. Juli 2014 | |
Begrüßungvon Veronika Darian | Seite 122 |
Hamlets OdysseeVom Mäandern durch Zeiten, Kulturen, Medien und Künstevon Peter W. Marx | Seite 125 |
doing theatreTheater, Wissenschaft und Praxisvon Ulf Otto | Seite 137 |
Vorlesungen vom 9. Juli 2014 | |
Begrüßungvon Gerda Baumbach | Seite 148 |
Das transkulturelle TheaterGrenzüberschreitungen der Theaterwissenschaft in Zeiten der Globalisierungvon Günther Heeg | Seite 150 |
Theaterwissenschaft heutePraxis und Theorie der Überschreitungvon Patrick Primavesi | Seite 164 |
Vorlesungen vom 16. Juli 2014 | |
Begrüßungvon Patrick Primavesi | Seite 184 |
Der Einsatz des SpielsTheater als Dispositiv der Wahrnehmungvon Gerald Siegmund | Seite 187 |
Performance, Technologie und „tragische Individualisierung“von Wolf-Dieter Ernst | Seite 199 |
Chronologie der Ereignisse | Seite 216 |
Autorinnen und Autoren | Seite 218 |
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