Recherchen 60
Täuschung ist kein Spiel mehr
Nachdenken über Theater
Herausgegeben von Ralph Hammerthaler
Paperback mit 152 Seiten, Format: 140 x 240 mm
ISBN 9783940737229
„Dass sich das Theater nicht an den äußeren Schein, die Verpackung, ja die Täuschung verliert, darauf scheint Elisabeth Schweeger mit jeder Zeile, die sie schreibt, aus zu sein. Im Kern, so der sympathische Eindruck, glaubt sie immer noch an eine Kunst, die, erfahrungssatt und eigenwillig, stört, provoziert, kritisiert - an eine, die ihr Guthaben im Zeithaben feiert, und zwar gegen alles Rasen der Welt."
Aus dem Vorwort von Ralph Hammerthaler
„Täuschung ist kein Spiel mehr" stellt Elisabeth Schweeger erstmals als Autorin im großen Bogen vor. Das Buch versammelt Texte aus fünfundzwanzig Jahren - Essays, Polemiken, Skizzen und ein Gespräch mit dem Philosophen Peter Sloterdijk.
Es dauert nicht lang, und schon gibt es Ärger mit der Polizei. Hastig wird das irritierende Plakat heruntergerissen, so dass wieder Ruhe herrscht in München, beim Stachus zumindest. Denn Elisabeth Schweeger, seinerzeit Chefin des Marstall, hat die ganze Stadt mit handsignierten Sprüchen von Herbert Achternbusch plakatieren lassen. »Auf der Straße liegt ein toter Hund«, behauptet der Dichter, und weil das anscheinend ein Schmarren ist, wird der Hinweis eliminiert. Kurz darauf will Schweeger in Erfahrung bringen, wo das Plakat hingekommen ist. Der Polizist sagt: Wir haben es entsorgt. Darauf Schweeger: Dann haben Sie jetzt ein Problem, denn so ein Kunstwerk ist teuer.
»Schöner wär's, wenn's schöner wär«, auch das ist ein Spruch von Achternbusch, und Elisabeth Schweeger greift danach, als könnte er uns heraushelfen aus dem Schlamassel. Und genau betrachtet tut er das auch. Denn die paar Worte verraten, dass wir unruhig sind und unzufrieden mit dem, was so läuft. Ein nagender Zweifel hat uns befallen, und keiner weiß, wo's langgeht, das Theater so wenig wie jede andere Kunst. Aber schöner werden sollte es schon. Man müsste etwas ausprobieren, dahin schlingern oder dorthin, querfeldein heißt die Richtung - warum spielen wir nicht?
In diesem Buch, das Elisabeth Schweeger erstmals als Autorin im großen Bogen vorstellt, sind Texte aus fünfundzwanzig Jahren versammelt. Essays, Polemiken, Skizzen und ein Gespräch mit dem Philosophen Peter Sloterdijk über Design, über Oberflächen also. Dass sich das Theater nicht an den äußeren Schein, die Verpackung, ja die Täuschung verliert, darauf scheint Schweeger mit jeder Zeile, die sie schreibt, aus zu sein. Im Kern, so der sympathische Eindruck, glaubt sie immer noch an eine Kunst, die, erfahrungssatt und eigenwillig, stört, provoziert, kritisiert - an eine, die ihr Guthaben im Zeithaben feiert, und zwar gegen alles Rasen der Welt. Und das ist bemerkenswert, denn kaum je wird über Theater so ungeschützt nachgedacht wie bei Schweeger, so offen nach allen Seiten hin, egal ob Richtung Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft sowie jeglicher Technologie, die damit einhergeht. Einmal jedoch, als sie die vielen neuen Schnittstellen preist, stockt ihr der
Atem: Könnte es nicht sein, dass die Kunst, wie wir sie kennen, verpufft, sobald sie die Schwellen, und zwar immer wieder neue, in fremdes Terrain überschreitet? Ja, könnte sein. Anstatt dass sich die Kunst bereichert hätte, wäre sie mangels eigener Kraft einfach aufgefressen worden.
Elisabeth Schweeger ist bekannt geworden als Ausstellungskuratorin und Kulturmanagerin und dann vor allem als Intendantin des Frankfurter Schauspiels. Nicht so bekannt ist sie als Autorin, obwohl sie, schon seit den siebziger Jahren, jede Menge Texte veröffentlicht hat. In Wien, wo sie studierte und sich obendrein zur Buchhändlerin ausbilden ließ, fing sie an, für den Falter Theaterkritiken zu schreiben, aber irgendwann schwor sie der Theaterkritik wieder ab, aus dem einfachen Grund, weil sie zu schnell zu bösartig war. In Vergleichender Literaturwissenschaft verfasste sie ihre Doktorarbeit, es ging um den »Vater-Sohn-Komplex«, vom Mythos bis zur Gegenwart, dabei mit dem Ziel, gesellschaftliche Veränderungen nachzuweisen. Keine akademische Richtung fühlte sich da zunächst gemeint. Soll das nun Geschichte sein oder Germanistik, Kunst oder Psychologie? Soziologie, Philosophie? Solches Verunsichertsein wird Schweeger später öfters auslösen, weil sie sich ungern einigelt auf Kosten von andernorts zu sammelnden Erfahrungen. Eher ist sie eine vom Schlage Jean-Jacques Lequeus, des französischen Architekten, über den sie schreibt, er habe »nicht fachspezifisch geglänzt, sondern in großen Zusammenhängen gedacht«. Tatsächlich ist Schweeger keine Sparten-Frau, sie ist eine Frau zwischen den Sparten und gerade deshalb, eingedenk der Widersprüche, auf Zusammenhang bedacht.
In den achtziger Jahren betrieb sie Teilzeitjournalismus für die Wiener Zeitschrift Umriss, ein Blatt, das sich auf Design und Architektur spezialisiert hatte, aber natürlich nicht nur. In Schweegers wenig überraschenden Worten: Es lief über die Ufer. Damals führte sie Interviews, rezensierte, analysierte, vom Jugendprotest bis zur Zeitgeistphilosophie - all das, während sie im Hauptberuf Kunst lehrte und Ausstellungen aufzog. In einem Werk von Peter Kogler, da fliegt das Gehirn wie ein Ball bald in die eine, bald in die andere Richtung, stets wieder fortgeschlagen, nie in Ruhe gelassen. Darauf bezieht sich Schweeger, wenn sie nach einem Bild für ihre Art des Denkens sucht.
Plötzlich fiel der Ball, scharf und direkt, ins Theater, erst in München, dann in Frankfurt am Main. Zum Schreiben blieb da nicht mehr viel Zeit, wenngleich sie nicht nachließ, Texte zu produzieren, für Bücher und Kataloge, für den einen oder anderen Vortrag, gelegentlich auch für die Tagespresse. So ist die Palette also breit gefächert. Wer heute von Theater spricht, das begreift man auf den ersten Blick, der sollte sich umgeschaut haben in den Künsten und in der Welt, die ihn umgibt. Zum Beispiel wird er feststellen, dass inzwischen, angespornt durch die Medien, alle spielen, das heißt, sich etwas vorspielen, in der Politik genauso wie im Alltag. Längst hat die Lügenmaschine Theater eine Ahnung davon, dass ihre, und sei es virtuos inszenierten Täuschungen allein nicht mehr viel aussagen. Man will auch über das Lügen an sich etwas hören und sehen: Täuschung ist kein Spiel mehr.
Dieses Buch ist so aufgebaut, dass die Leserin oder der Leser leicht und je nach Laune navigieren kann: im ersten Kapitel Kunst- und Theateressays (Warum spielen wir nicht?), im zweiten Internet und neue Technologien (Die universale Maschine). Im dritten Kapitel werden einzelne Künstler herausgestellt, nämlich Moebius, Achternbusch,
Jelinek, Lequeu und Kubin (Als ginge es um Kopf und Kragen), und im vierten stehen Polemiken gegen manches, was sich gedankenlos oder gar bösartig aufspielt (Wenn Sie Formensprachen lesen könnten). Im letzten Kapitel weist Peter Sloterdijk, im Gespräch mit Elisabeth Schweeger, darauf hin, dass sich das Originalitätsproblem für ein vollständig geistesgegenwärtiges Bewusstsein gar nicht stellt (Das positive Wort von der Stromlinienförmigkeit). Meine Wachheit, sagt Sloterdijk, ist der einzige Platz in der Welt, den nur ich betreten kann.
In diesem Sinn liegt hier ein originelles Buch vor, klar und ausgeschlafen - damit es morgen schöner wird.
Ralph Hammerthaler
Kapitel | Seite |
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Kapitel | Seite |
Schöner wär's, wenn's schöner wärvon Elisabeth Schweeger | Seite 11 |
Warum spielen wir nicht? | |
Kunst ist keine Marmeladevon Elisabeth Schweeger | Seite 16 |
Helden auf Haldevon Elisabeth Schweeger | Seite 24 |
Das aufregende Kulturdesastervon Elisabeth Schweeger | Seite 31 |
Aber bitte nett verpacktvon Elisabeth Schweeger | Seite 39 |
Das erschrecken über vertane ZeitVom Verlust der Utopienvon Elisabeth Schweeger | Seite 47 |
Der mitleidigste Mensch ist der beste Menschvon Elisabeth Schweeger | Seite 57 |
Die universelle Maschine | |
Das Netz in der entzauberten Weltvon Elisabeth Schweeger | Seite 62 |
Spiel im digitalen Codevon Elisabeth Schweeger | Seite 66 |
Schnittstellen der Kunstvon Elisabeth Schweeger | Seite 70 |
Die wiederholten Tode von Mishimavon Elisabeth Schweeger | Seite 83 |
Als ginge es um Kopf und Kragen | |
Der schwarze RomantikerÜber Moebiusvon Elisabeth Schweeger | Seite 88 |
Der schwebende ElefantÜber Herbert Achternbuschvon Elisabeth Schweeger | Seite 94 |
Die UnbestechlicheÜber Elfriede Jelinekvon Elisabeth Schweeger | Seite 95 |
Der MelodramatischeÜber Jean-Jacques Lequeuvon Elisabeth Schweeger | Seite 97 |
Der Besessene (und der Exorzist)Über Alfred Kubinvon Elisabeth Schweeger | Seite 100 |
Wo sich alles traf, sich austauschte, lachte und trankvon Elisabeth Schweeger | Seite 104 |
Wenn sie Formensprachen lesen könnten | |
Gegen die Wand (von wegen Werktreue)von Elisabeth Schweeger | Seite 108 |
Und was, bitte, ist die Substanz eines Stückes?Brief an eine Zuschauerinvon Elisabeth Schweeger | Seite 114 |
Kampf um Aufmerksamkeitvon Elisabeth Schweeger | Seite 117 |
Kritik ist immer bösartigvon Elisabeth Schweeger | Seite 120 |
Kleine trojanische Pferdevon Elisabeth Schweeger | Seite 125 |
Das positive Wort von der Stromlinienförmigkeit | Seite 132 |
Design und GesellschaftDer Philosoph Peter Sloterdijk im Gespräch mit Elisabeth Schweegervon Elisabeth Schweeger | |
Quellennachweis | Seite 146 |
Die Autorin | Seite 149 |
„Man spürt im Hintergrund von Elisabeth Schweegers kleinem Buch, wie sie daran leidet, dass sie die Welt im Theater nicht zu ihrem Gegenstand machen kann, dass die Welt, so wie sie ist, dann doch stärker ist als der Gedanke, er mag im übrigen so richtig sein, wie er wolle. Die Welt, muss sie immer wieder feststellen, schert sich nicht um die Kritik und den Einspruch und die Widerrede, als die sie Theater versteht.“Frankfurter Rundschau
„Selbst wer dem Theater nicht derart intensiv verbunden ist wie die Autorin, wird gefesselt von ihrem vehementen Plädoyer.“Mitteldeutsche Zeitung
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Ralph Hammerthaler
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Bibliographie
Beiträge von Ralph Hammerthaler finden Sie in folgenden Publikationen:
Heft 12/2021
Kleiner Mann, was nun?
Geschlechterbilder im Theater – Ein Jahresrückblick
Heft 10/2021
Angst und Widerstand
Thema Afghanistan
Heft 09/2021
Es ist ein Kreuz
Ein Schwerpunkt zur Bundestagswahl mit Luna Ali, Annekatrin Klepsch und Aladin El-Mafaalani
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
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