Alle Beiträge von Jakob Hayner
von Jakob Hayner
Zeitlebens hegte Georg Lukács den Plan, eine systematische Ästhetik zu verfassen. Als »vollständig gescheitert« beschrieb er einen ersten Versuch aus seinen Heidelberger Jahren. Diese Feststellung findet sich allerdings im Vorwort seiner 1963 veröffentlichten Schrift »Die Eigenart des Ästhetischen«, die als erster Teil seiner »Ästhetik« angelegt war. Das Scheitern blieb also nicht von Dauer, die Sache verlangte, ausgearbeitet zu werden. Lukács trug schwer daran, dass der Marxismus keine eigene…mehr
aus dem Buch: Georg Lukács
von Jakob Hayner und Erik Zielke
»Das Traurige an der jetzigen Lage ist, dass wir, anstatt an dem außerordentlichen Palast des Denkens, den Lukács errichtet hat, weiterzubauen, immerfort noch damit beschäftigt und gezwungen sind, diese elende Pepsicola-Reklame aus dem Weg zu räumen. Wie Lukács müssen wir Zeit verschwenden, die Décadence zu widerlegen, anstatt den Realismus, was unsere ausschließliche Aufgabe sein sollte, besser zu begründen.« Peter Hacks
Georg Lukács (1885–1971) hat das ästhetische Denken des 20.…mehr
aus dem Buch: Georg Lukács
Protagonisten
Rainald Goetz hat ein neues Stück über den 11. September und die Folgen geschrieben – Ein Bericht von der Hamburger Uraufführung
von Jakob Hayner
Kaum eine Uraufführung war in dieser Spielzeit wohl sehnlicher erwartet worden als „Reich des Todes“ von Rainald Goetz. Über zwanzig Jahre nach seinem letzten Stück – „Jeff Koons“ – gibt es einen neuen Bühnentext des für seinen kritischen Blick auf die Gesellschaft und seine sprachliche Wucht insbesondere vom Feuilleton teils hymnisch verehrten Autors. „Reich des Todes“ wurde als ein Stück über den 11. September angekündigt und die Uraufführung im Deutschen Schauspielhaus Hamburg entsprechend…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2020
Magazin
von Jakob Hayner
Zum Abschluss – denn in Zukunft dann an dieser Stelle ohne mich – noch eine beispielhafte Begebenheit, wie ich vor einiger Zeit bei einer Diskussion über Diversität auf deutschen Bühnen war: Auf dem Podium sitzen in trauter Einigkeit ein Erfolgsdramatiker, eine Erfolgsregisseurin und ein ebenfalls erfolgreicher Schauspieler und Regisseur, der es zudem noch zum Festivalleiter gebracht hat, weswegen er der Einfachheit halber der Erfolgsfestivalleiter genannt werden wird. Erfolg im Theater ist…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 9/2020
thema: warum theater?
Ein Plädoyer für die Erneuerung der Idee des Theaters
von Jakob Hayner
Es kann nicht weitergehen, also muss es weitergehen. Diese Sentenz, wie aus einem der Stücke Samuel Becketts, könnte als Leitspruch über der gegenwärtigen Situation des Theaters stehen. Wie wird die neue Spielzeit unter pandemischen Bedingungen aussehen, wie die danach? Niemand weiß es, niemand kann es wissen. Wir wissen jedoch inzwischen, nachdem sich der Nebel der ersten Feuilletondebatten gelichtet hat, dass ein Virus nicht die ganze Welt ändert oder naturwüchsig die Solidarität unter den…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 9/2020
Alexander Eisenach
von Jakob Hayner
aus dem Buch: Stück-Werk 6
Magazin
von Jakob Hayner
Was wäre das Theater nur ohne Streit und Konflikt – auch ohne Happy End!? Das war schon in der antiken Tragödie als kritische Diagnose einer Gesellschaft gemeint, die falsche Gegensätze statt vernünftiger Auseinandersetzung hervorbringt: Kreon hält Antigone für eine Irre und sie ihn für einen Tyrannen. Der Rest ist bekannt. Das Theater aber kann unterschiedliche Beweggründe verständlich machen. Warum fühlt sich beispielsweise der eine in der körperlichen Unversehrtheit, der andere aber in der…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 6/2020
Thema: Martin Linzer Theaterpreis
von Jakob Hayner
Theater der Zeit vergibt jedes Jahr im Juni einen Theaterpreis. Er ist Martin Linzer gewidmet, der gemeinsam mit Herbert Ihering, als dessen Schüler er sich begriff, einer dezidiert linken Theaterkritik im 20. Jahrhundert den Weg ebnete und bis ins beginnende 21. Jahrhundert unverwechselbar ausschritt: haltungsstark, beobachtungsscharf und stilsicher. Martin Linzer, der 2014 verstarb, hinterließ eine noch heute klaffende Lücke, für uns wie für das Theater, das er liebte, ohne sich ihm…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 6/2020
Magazin
von Jakob Hayner
Alle reden übers Wetter. Wir nicht. So hieß es früher einmal. Reden wir also nicht übers Wetter und auch nicht über Viren, sondern über Klasse. Es ist der simple und beschämende Fakt, dass wenige Menschen weltweit über so viel Kapital verfügen, dass sie nicht nur erheblichen Einfluss auf politische Geschicke haben, sondern zugleich Millionen Menschen mittels Lohnarbeit zur Vermehrung ihres Kapitals zwingen. Als ich die Schule verließ, kam die Finanzkrise. Dann die Immobilienkrise. Dann die…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 5/2020
Thema
Der Theaterkritiker Simon Strauß plädiert mit dem Band „Spielplan-Änderung!“ für eine Wiederentdeckung der Vielfalt des Dramatischen – abseits des Kanons
von Jakob Hayner
Als die Theater schließen mussten, war das ein Moment des Innehaltens und der Reflexion? Für die Frage, warum man eigentlich Theater macht? Mitnichten. Wer nicht von Existenzsorgen geplagt wird, ist hektisch am Umdisponieren. Und wer davon verschont wird, schreibt Corona-Tagebuch. Doch wen angesichts der Vorstellung, von einem nach Gegenwartskommentar gierenden Up-to-date-Theater spätestens in der nächsten Spielzeit mit unzähligen Adaptionen von Albert Camus’ „Die Pest“ traktiert zu werden,…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 5/2020
Magazin
Byung-Chul Han: Vom Verschwinden der Rituale. Eine Topologie der Gegenwart. Ullstein Verlag, Berlin 2019, 128 S., 20 EUR.
von Jakob Hayner
Es gehört zu den Paradoxien des Spätkapitalismus, dass sich die Menschen zwar permanent miteinander vernetzen, sich einander übereinander informieren und miteinander kommunizieren, und doch weniger als je miteinander zu tun haben. Der Philosoph Byung-Chul Han bringt diesen Befund mit der Erosion einer spezifischen Kulturtechnik zusammen, dem Ritual. „Vom Verschwinden der Rituale. Eine Topologie der Gegenwart“ ist ein knapp über einhundert Seiten umfassender, ausgesprochen pointierter Essay.…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2020
Magazin
von Jakob Hayner
Die Berlinale: roter Teppich, Promitrubel und Mediengewusel. Vor einer Stellwand mit Werbung für einen verbrecherischen Automobilkonzern und ein skandalumwittertes Kosmetikimperium sitzt Lars Eidinger. Auf der Berlinale ist er in zwei Hauptrollen zu sehen, als KZ-Kommandant und als Starschauspieler an der Berliner Schaubühne. An eben jener Schaubühne feierte er kurz zuvor Premiere mit einem neuen Stück – einzige und damit Hauptrolle: er selbst. Zur Pressekonferenz ist er ohne seine…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2020
Auftritt
Mecklenburgisches Staatstheater: „Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande“ von Heiner Müller. Regie Milan Peschel, Ausstattung Magdalena Musial
von Jakob Hayner
LPG, FDJ, MAS? Junkerland in Bauernhand, August Bebel, Karl Marx? Den jüngeren Besuchern im E-Werk, der Nebenspielstätte des Schweriner Theaters, steht die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben. Wie fern scheinen die Zeiten, als Geschichte noch Veränderung der Gesellschaft und nicht nur ihrer Vorstellung bedeutete. Möglich ist das zwar noch immer, aber allein dafür müssten Berge von Ideologie beiseite geräumt werden, die auf den Gehirnen der Lebenden lasten. Heiner Müllers „Die Umsiedlerin oder…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2020
Theater und Moral
Ein Versuch über Öffentlichkeit, Moral und Kunst
von Jakob Hayner
I.
There is no society, only Meinungen
Nehmen wir einmal an, bei einer Umfrage würden zwei Drittel der Befragten einer Aussage zustimmen, die ungefähr so lautet: Wenn man sich heutzutage öffentlich äußert, muss man sich überlegen, was man sagt. Ein Grund zur Panik? Naht das Ende der Meinungsfreiheit, gar des Abendlandes? Mitnichten. Man kann sich auch fragen, was das restliche Drittel vor dem öffentlichen Sprechen macht. Kopf aus, Mund auf? Soll heißen: Das zu betrachtende Problem lässt sich…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2020
Stück
Der Dramatiker Thomas Freyer über sein Stück „letztes Licht. Territorium“ im Gespräch mit Jakob Hayner
von Thomas Freyer und Jakob Hayner
Thomas Freyer, Ihr neuestes Stück „letztes Licht. Territorium“ wurde im Februar am Schauspielhaus Düsseldorf uraufgeführt. Inhaltlich erinnert es an „kein Land. August“ von 2017. Gibt es eine kontinuierliche Auseinandersetzung, die von dem einen Stück zum anderen führt?
In diesem Fall ja. Ich hatte nach den Aufführungen von „kein Land. August“ in Dresden relativ schnell das Gefühl, dass dieses Thema noch nicht auserzählt ist. Es war anfangs vor allem eine Frage des Blickwinkels. Während sich…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2020
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