Masters of the Universe
Theater der neuen Generation
Herausgegeben von Kampnagel Hamburg und SKART
Paperback mit 120 Seiten, Format: 260 x 210 mm
ISBN 978-3-95749-283-8, Mit zahlreichen farbigen Abbildungen
Das altersgemischte Performancekollektiv Masters of the Universe entwickelt seit 2013 ein „Theater der neuen Generation“. Basisdemokratisch und jenseits von Sparten-Denken arbeiten Schülerinnen und Schüler demokratischer Schulen und ältere Akteurinnen und Akteure von SKART an zeitgenössischer Performance Art, die sich gleichermaßen an Kinder und Erwachsene richtet. Masters of the Universe verstehen sich als Werkzeug, um gesellschaftliche Phänomene unter dem Aspekt des Verhältnisses von Kindern und Erwachsenen zu untersuchen und setzen so ästhetisch wie strukturell neue Akzente in der deutschsprachigen Theaterlandschaft.
Das Buch, gleichsam visuelle Bestandsaufnahme, persönliche Innensicht und analytischer Rundumblick, dokumentiert die Entwicklung der Gruppe mittels Fotos, Stücktexten, Interviews und Essays.
SKART (Schröppel Karau Art Repetition Technologies) wurde am Institut für angewandte Theaterwissenschaft der Universität Gießen gegründet und verwirklicht multimediale, von bildender Kunst und elektronischer Musik geprägte Theaterprojekte. http://www.skartskart.com
Liebe Leserinnen und Leser,
dieses Buch handelt von einem kleinen Wunder. Vor etwas mehr als sieben Jahren saßen wir mit Philipp Karau und Mark Schröppel zusammen. Einige Tage zuvor hatten sie unter dem Label SKART „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ für Kinder ab acht Jahren auf Kampnagel in Hamburg uraufgeführt. Es war ihr zweites Stück für junges Publikum, und es hatte einigen Wirbel verursacht – eigentlich ein vielversprechender Start für zwei junge Absolventen des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft im Kindertheater – ein Genre, dem wir waghalsige ästhetische Experimente und ungewöhnliche künstlerische Impulse eigentlich immer wünschen. Die beiden Künstler selbst waren allerdings unzufrieden. Ihre Rolle, als erwachsene Entertainer auf der Bühne für die Kinder im Publikum ihr Äußerstes zu geben, kam ihnen nicht richtig vor. Wie könnten sie sich anmaßen, zu wissen, was Kinder wirklich sehen wollen, fragten sie selbstkritisch. Und dann rückten sie mit einer utopischen Vision heraus: Mit Kindern gemeinsam Theater zu machen, und zwar richtig gutes. Ein Theater, das das Label Kunst verdient und selbstverständlich Teil des ästhe tischen Diskurses ist. Ein Theater, das kinderlose Erwachsene ebenso zu seinen Fans zählt wie Jugendliche, ein Theater, das alle Generationen anspricht. Natürlich mochten wir die Idee auf Anhieb, entspricht sie doch genau dem, was wir als unsere Ansprüche an das Theater der Gegenwart, an die Rolle von Theater institu tionen für die Gesellschaft begreifen. Wie das funktionieren sollte, konnten wir uns aber noch nicht so recht vorstellen. Nichtsdestoweniger beantragten wir mit dem Konzept des generationenübergreifenden Theaters eine zweijährige Residenz mit SKART im Fonds Doppelpass, in deren Rahmen zwei Produktionen und ein Kongress entstehen sollten, außerdem einige Formate, die auf Kampnagel ein generationenübergreifendes Profil etablieren beziehungsweise das vorhandene ausbauen und schärfen sollten.
Offenbar gefiel die Vision nicht nur uns: Die Förderung kam. Und einige Jahre später gelang auch der Schritt von der geschützten Residenz auf den „freien Antrags-Markt“, was beweist, dass die Gruppe ihrem Anspruch gerecht geworden und treu geblieben ist. Mittlerweile sind fünf gemeinsame Produktionen der neuen Grup pe Masters of the Universe (MOTU) entstanden: „Lucky Strike“ (2013), „Schlaraffenland“ (2014) und „Exodus“ (2016) bilde - ten eine Trilogie über materielle Glücksversprechen, Überfluss und Verschwendung, die mit einer großen Implosion en dete. Es folgten „TuNix!“ (2017) und „Sieg über die Sonne“ (2018). Was alle Arbeiten miteinander verbindet, ist die Ausein an dersetzung mit der kapitalistischen, neoliberalen Welt, die Erwachsene wie Kinder aus unterschiedlichen Perspektiven prägt und aufreibt. Rückblickend war jede dieser Produktionen ein kleiner künstlerischer Meilenstein, eine Herausforderung unter einer neuen Zielsetzung, ein Ausdruck neu entdeckter Qualitäten der gemeinsamen Arbeit. Der Kongress „Masters of the Universe“ (2014) brachte jüngere und ältere Akteur*innen miteinander in Kontakt und Austausch, die unterschiedliche und doch ähnliche oder zumindest vergleichbare Ansätze generationenübergreifender künstlerischer Arbeit erforschen und praktizieren.
Unverzichtbar für diesen Prozess war die Neue Schule Hamburg, die von Anfang an konzeptueller Bestandteil des Vorhabens war: eine demokratische Schule, für deren Schüler*innen Mitbestimmung und Eigenverantwortung zum Alltag gehören und von denen die erwachsenen Künstler viel lernen wollten. Auch das Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm ist Verbündeter der ersten Stunde und Koproduzent sämtlicher Inszenierungen sowie dieser Publikation. Unter dem Label „All in“ finden dort mittlerweile regelmäßig Produktionen für ein altersgemischtes Publikum statt.
Parallel zu der Arbeit von SKART/MOTU hat sich über die Jahre auch auf Kampnagel ein generationenübergreifendes Profil entwickelt; es entstanden neue Workshopkonzepte und Jugendclubs, und es etablierten sich regelmäßige Gastspiele und Neuproduktionen für alle Altersgruppen. Auch in der Hamburger Szene haben sich unter diesem Label künstlerische Arbeitsweisen Sichtbarkeit verschafft, die vorher schwer zu greifen waren, und es sind vermehrt Konzepte für altersübergreifende künstlerische Arbeiten entstanden. Im Mai 2018 fand zum ersten Mal ein generationenübergreifendes Festival in Kooperation mit dem Hamburger FUNDUS THEATER statt, das in seinem Forschungstheater schon immer Kinder und Erwachsene gleichberechtigt zusammengebracht hat.
Durch die gemeinsame Arbeit mit der Gruppe, für den Kongress und am generationenübergreifenden Profil Kampnagels haben sich neue Netzwerke gebildet und entwickelt. Ein Beispiel dafür ist die Kooperation von MOTU mit dem inklusiven Hamburger Ensemble Meine Damen und Herren, die 2021 gemeinsam ein Stück entwickeln werden. Auch Meine Damen und Herren erproben seit einigen Jahren mit Nachdruck die aktive Beteiligung derjenigen Menschen an künstlerischen und institutionellen Prozessen, welche in vielen Fällen hauptsächlich „verwaltet“ werden und denen der Wunsch oder die Fähigkeit zum verantwortlichen Gestalten vielfach abgesprochen wird.
In diesem Buch schreiben Wegbegleiter*innen von MOTU über ihre Eindrücke, Beobachtungen und Erlebnisse – jede*r in ihrer bzw. seiner bevorzugten Schriftform. Im ersten Teil setzen sich fünf Autor*innen mit dem Kongress sowie den fünf Inszenierungen auseinander, bei denen sie jeweils ein charakteristisches Merkmal genauer betrachten. Den zweiten Teil bilden übergeordnete Reflexionen, die jeweils versuchen, Verbindungslinien und Kontextualisierungen, Gesetze und Rezepte, Zusammenhänge und Gelingensbedingungen rund um das Gesamtprojekt Masters of the Universe darzustellen.
Mira Sack, Professorin für Theater und Theaterpädagogik an der Zürcher Hochschule der Künste, kennt die Arbeit von MOTU schon seit ihren Anfängen. In ihrem Text mit dem Titel „Sand im Getriebe. Ein paar Schnipsel ,Lucky Strike’“ beschreibt sie das spezielle Prinzip der Collage, mit dem die Gruppe in der ersten Arbeit „Lucky Strike“ (2014) gearbeitet hat. Sie erkennt darin disparate Einzelteile, die nicht zu einer Synthese verschmolzen, vereinheitlicht oder mit einem verbindenden „Kleister überzogen“ worden seien. So sei kollektiven generationenübergreifenden Arbeiten auch anzusehen, dass der Arbeitsprozess der Gruppe über einen bloßen Versuch der Partizipation hinausgehe.
Katharina Stephan erinnert sich in ihrem Text „Zusammen schreiten“ an den „Masters of the Universe“-Kongress im November 2014. Als Teil der Gruppe Mobile Albania bediente sie in einer Jurte aus Wahlplakaten den „Erzählprozessor“, der den Kongress in eine Art kollektives Manifest kanalisieren sollte, gleichermaßen Mündung wie Quelle aller Ideen. Aus dieser Perspektive beschreibt sie die dreitägige Veranstaltung als unvergleichliches Ereignis, das kein Ausdruck „wohlmeinender Symbolpolitik“ gewesen sei. Vielmehr wirkte der Kongress auf die Autorin produktiv hinsichtlich der Mischung von Ansprüchen und Alter und herausfordernd in Bezug auf die Notwendigkeit, Gewohnheiten immer wieder aufs Neue zu hinterfragen.
Barbara Schmidt-Rohr, selbst Künstlerin und Choreografin aus Hamburg, die einige Male mit Kindern als Darstellern gearbeitet hat, beschreibt in ihrem Text „Die Wirkmacht des MOTU-Kosmos“ ihre persönliche Erfahrung mit der Ästhetik der Gruppe mit besonderem Fokus auf die zweite Bühnenarbeit „Schlaraffenland“ (2015). Der erwachsene Blick auf das darstellende Kind bildet einen roten Faden in ihrem Text, ebenso wie die Frage, inwieweit dieser Blick bei MOTU unterlaufen wird.
Der Hamburger Musiker Felix Kubin und seine Tochter Bela Brillowska – beide MOTU-Fans der ersten Stunde – führen ein fiktives Therapiegespräch: Der ratlose, überwältigte Erwachsene verarbeitet die dritte MOTU-Performance „Exodus“ (2016) und seine Klischees in Bezug auf Kinder – und sucht Hilfe bei seiner 15-jährigen Therapeutin.
Philipp Schulte, promovierter Theaterwissenschaftler und Geschäftsführer der Hessischen Theaterakademie, kennt Mark Schröppel und Philipp Karau alias SKART schon seit ihren künstlerischen Anfängen am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und verfolgt seitdem ihre Arbeit – auch im Kontext von MOTU. Er hat sämtliche Produktionen gesehen und untersucht in seinem Aufsatz „Are you there? Funktionen von Text und Praktiken des Sprechens in ‚TuNix!‘ den Stellenwert und die Charakteristik der Sprache auf der Bühne – vor allem in Bezug auf „TuNix!“ (2017), die vierte gemeinsame Arbeit von MOTU.
Der Hamburger Kunstpädagoge und -vermittler Ulrich Schötker kennt das MOTU-Konzept bereits seit der Antragstellung und war mit der Erich Kästner Schule, an der er zum damaligen Zeitpunkt lehrte, Kooperationspartner des Vorhabens. Die Produktion „Schlaraffenland“ entstand mit Beteiligung seiner Schüler* - innen, ebenso entwickelten Schüler*innen der Erich Kästner Schule einen Beitrag zum „Masters of the Universe“-Kongress. In seinem Beitrag analysiert er die jüngste Arbeit „Sieg über die Sonne“ (2018) und macht sich für ein Theater stark, das die Welt nicht in Watte verpackt präsentiert, sondern auch den Jüngeren Kunst mit Abgründen zugesteht.
Der „harte Kern“ der MOTU-Gruppe, bestehend aus den Erwachsenen Mark Schröppel und Philipp Karau sowie den Kindern beziehungsweise Jugendlichen Anton und Annika Prevrhal, Charly Heidenreich und Jasmin Taeschner, führt ein Gespräch über die Dinge, die ihnen bei der gemeinsamen Arbeit wichtig sind, auf die sie immer wieder angesprochen werden und die sie gern ansprechen – ein Versuch, sich selbst auf die Schliche zu kommen.
Marcus Droß, Dramaturg am Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main, und Anna Teuwen, Dramaturgin auf Kampnagel in Hamburg, haben den Entwicklungsprozess von MOTU von den Anfängen an aus der Perspektive der produzierenden Häuser begleitet und unterstützt. In ihrer Fragen- und Thesensammlung beschreiben sie die Auswirkungen der Gruppe auf das künstlerische Profil der beiden Häuser und analysieren die spezifische Charakteristik der MOTU-Ästhetik.
Jan Deck, freier Theaterschaffender und Dramaturg sowie langjähriger Geschäftsführer des Landesverbands Professionelle Freie Darstellende Künste Hessen (laPROF), hat die Arbeit von MOTU ebenfalls von Beginn an verfolgt. In seinem Beitrag „All in“ ordnet er sie in den Avantgardetheaterkontext für Kinder ein und weist unter anderem auf institutionelle Bedingungen und strukturelle Freiräume hin, die für solche künstlerischen Experimenten notwendig sind.
An Kunst, die Kinder involviert, werden meist andere Maßstäbe angelegt als an „normale“ professionelle Theaterproduktionen; der Erfolg eines Projektes wird – manchmal auch unbewusst – daran gemessen, wie viele Kinder teilnehmen konnten und ob sich das Projekt leicht mit einer neuen, möglichst großen Gruppe von Kindern wiederholen lässt. Theaterinstitutionen, Pädagog*innen und Geldgeber*innen wünschen sich üblicherweise aus nachvollziehbaren Gründen, dass partizipative Theaterprojekte möglichst viele erreichen und erfolgreiche Konzepte an möglichst vielen Orten leicht umsetzbar sind oder sogar als Franchise-Modell funktionieren. MOTU dagegen involviert nur wenige Kinder und dazu immer wieder die gleichen. Bei der Lektüre dieses Buchs wird außerdem deutlich, dass die Arbeit der „All-Ages-Super-Group“ kaum reproduzierbar ist – in Bezug auf die spezifische, gemeinsam ausgeformte Ästhetik gar nicht und nur schwer mit Blick auf die besondere Schulstruktur der MOTU-Kinder und den daraus resultierenden gemeinsamen Arbeitsprozess. Als Modell ist Masters of the Universe also nur bedingt nützlich. Dennoch wird deutlich, was gelungene Par ti zi - pa tion und Experimente wie diese ausmacht und dass dabei Prozesse beginnen, die eine ganz andere Reichweite haben. Das lässt sich durchaus reproduzieren: durch Offenheit in Bezug auf Ergebnisse, Bereitschaft zu Risiken, geteilte Hoheit über Verantwortung, Wissen und Kompetenzen, aktive Zurückweisung zugeschriebener Rollen, Vertrauensvorschüsse in alle Richtungen und viel Ausdauer. Mit diesen Zutaten lassen sich andere ebenso wichtige und ähnlich beeindruckende Prozesse starten, wozu wir mit diesem Buch jede*n ermuntern wollen.
Wir freuen uns sehr über die vielen gelungenen Beiträge, die wir als repräsentativen Ausdruck dessen verstehen, was der Mastersof-the-Universe-Prozess in den Köpfen und in den Institutionen bisher bewegt hat.
Viel Spaß beim Lesen!
Amelie Deuflhard und Anna Teuwen
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Angriff aufs WeltbildEine Nabelschau der Masters of the Universe mit Charly Heidenreich (16), Philipp Karau (37), Annika Prevrhal (14), Anton Prevrhal (16), Mark Schröppel (36) und Jasmin Taeschner (13)von Mark Schröppel, Charly Heidenreich, Philipp Karau, Annika Prevrhal, Anton Prevrhal und Jasmin Taeschner | Seite 9 |
Sand im GetriebeEin paar Schnipsel über „Lucky Strike“von Mira Sack | Seite 17 |
Zusammen schreitenDer Kongress „Masters of the Universe“von Katharina Stephan | Seite 29 |
Die Wirkmacht des Motu-KosmosBesuch im „Schlaraffenland“von Barbara Schmidt-Rohr | Seite 39 |
Übergriffiges Theater: Educating the Institutionvon Anna Teuwen und Marcus Droß | Seite 53 |
Endzeitlarven im symmetrischen ZustandBela Brillowska und Felix Kubin über „Exodus“von Bela Elektra Brillowska und Felix Kubin | Seite 63 |
Are you there?Funktionen von Text und Praktiken des Sprechens in „TuNix!“von Philipp Schulte | Seite 73 |
Der visuelle Baukasten der ModerneÜberlegungen zur Bildsprache in „Sieg über die Sonne“von Ulrich Schötker | Seite 89 |
All inDie Erneuerung der Kinder- und Jugendtheaterszenevon Jan Deck | Seite 107 |
Chronik | Seite 113 |
Autor*Innen | Seite 115 |
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