Recherchen 141
Praktiken des Sprechens im zeitgenössischen Theater
Herausgegeben von Julia Kiesler und Claudia Petermann
Paperback mit 240 Seiten, Format: 140 x 240 mm
ISBN 978-3-95749-197-8, Mit zahlreichen Abbildungen
Das zeitgenössische Theater bringt neue Umgangsformen mit Texten und gesprochener Sprache hervor. In den Beiträgen dieses Tagungsbandes, der auf Basis eines Forschungsworkshops an der Hochschule der Künste Bern entstand, reflektieren Theaterpraktiker, Sprechwissenschaftler sowie Pädagogen der Schauspielausbildung über künstlerische Strategien des Sprechens und des Einsatzes der Stimme im Theater der Gegenwart.
Darüber hinaus wird über methodische Ansätze der Sprechausbildung von Schauspielerinnen und Schauspielern nachgedacht und auf ihre aktuellen Herausforderungen hin diskutiert. Mit Beiträgen u. a. von Heiner Goebbels, Hans Martin Ritter und Laurent Chétouane.
Im November 2017 versammelten sich an der Hochschule der Künste Bern Theaterpraktiker, Sprechwissenschaftler, Theaterwissenschaftler, Sprecherzieher sowie Dozierende und Studierende der Schauspielausbildung, um im Rahmen eines zweitägigen Forschungsworkshops über verschiedene Umgangsformen mit Texten und gesprochener Sprache, die das zeitgenössische Theater hervorbringt, zu diskutieren. Dabei wurden die Anforderungen, die an die Schauspielerinnen und Schauspieler in der Theaterpraxis gestellt werden, in Bezug zur Schauspielausbildung gesetzt. Es wurde der Frage nachgegangen, auf welche Weise insbesondere performative Praktiken des Spielens und Sprechens innerhalb der Schauspielausbildung Anwendung finden können. Die Schwerpunkte der Vorträge, Workshops, Performances und Diskussionsrunden standen in engem Zusammenhang mit den Themen und Phänomenen, welche die Herausgeberinnen im Rahmen eines Forschungsprojekts beobachtet und herausgearbeitet haben und das mit der Berner Tagung seinen Abschluss fand.
Ausgewählte Erkenntnisse dieses Forschungsprojekts werden nun im ersten Beitrag des vorliegenden Tagungsbandes präsentiert. Im Fokus stehen intertextuelle Arbeitsweisen, Musikalisierungs- und Synchronisationsprozesse sowie ein verändertes Figurenverständnis, das die Autorinnen innerhalb verschiedener Probenarbeiten beobachtet haben. Der Artikel eröffnet ein Themenspektrum im Umgang mit Texten und gesprochener Sprache, das in den nachfolgenden Beiträgen dieses Tagungsbandes weiterverfolgt und differenziert betrachtet wird – sei es aus künstlerischer, sei es aus theoretisch-reflektierender oder methodisch- praktischer Perspektive. So beschreibt der Komponist und Theatermacher Heiner Goebbels anhand von Ausschnitten aus seinen Arbeiten und mit Blick auf den Philosophen Maurice Blanchot seinen musikalischen und polysemantischen Zugang zur Sprache auf der Bühne. Daran anschließend beschäftigt sich der Beitrag von Franziska Baumann mit der Stimme als sinnlich-materiellem Phänomen diesseits ihrer semantischen Funktion.
Gabriella Crispino thematisiert in ihrem Artikel spezifische sprecherische und schauspielerische Herausforderungen im Umgang mit Texten der Autorin Elfriede Jelinek und reflektiert diese für die sprecherzieherische Arbeit. Mittels praktischer Übungssequenzen führt sie uns an die Arbeit mit Jelineks Texten heran. Die drei darauf folgenden Beiträge von Anja Klöck, Eva Maria Gauß und Christina Laabs stellen Ausbildungsfragen ins Zentrum der Betrachtung. Klöck untersucht das gegenwärtige Spannungsfeld professioneller schauspielerischer Arbeit: zwischen Schauspielen als glaubhafter Darstellung einer vorgegebenen dramatischen Situation und Schauspielen als wirklichkeitskonstituierender Praxis. Gauß geht in ihrem Artikel der Frage nach, in welchem Verhältnis Schauspielstile und Sprechmethoden stehen und ob bestimmte methodische Ansätze der Sprechbildung in besonderer Weise für die Ausbildung verschiedener Spielpraktiken oder Theaterästhetiken prädestiniert sind. Laabs stellt traditionelle Ausbildungsinhalte performativen Zugängen zu Texten gegenüber und plädiert für eine Ausbildung, die sowohl dramatische als auch postdramatische und performative Darstellungs- und Sprechformen vereint.
Im Anschluss an diese theoretisch und methodisch reflektierenden Beiträge widmet sich Bernd Freytag in einem literarischen Text dem Thema Chor. Er stellt dem Chor, dem Wir als „Hauptdarsteller“, ein Ich gegenüber und lotet damit das Spannungsverhältnis zwischen einer gemeinsamen und einer individuellen Sprache aus. Um die chorische Arbeit mit Texten geht es u. a. auch im Artikel von Hans Martin Ritter. Darüber hinaus reflektiert er Aspekte der Situation, des ästhetischen Raums und der Figur anhand der künstlerischen Arbeit mit Studierenden sowie von Aufführungen des Gegenwartstheaters.
Leo Hofmann thematisiert den Einsatz reproduzierter Stimmen in ihrem Spannungsverhältnis von Flüchtigkeit und Fixierung und eröffnet den Blick auf ästhetische Strategien im Umgang mit medial vermittelten Bühnenstimmen aus Sicht eines Performers. Schließlich finden auch das Gehör sowie bestimmte Hörgewohnheiten als konstituierende Elemente in der Entstehung theatraler Realität Beachtung. So erhalten die Leserinnen und Leser anhand des Ausschnitts aus einem Publikumsgespräch mit dem Regisseur Laurent Chétouane Einblick in dessen Arbeitsweise, die weniger geprägt ist von der Gestaltung eines Textes als vielmehr von der Begegnung eines Schauspielers mit einem fremden Text, der eine besondere Form des Nach- und Zuhörens innewohnt. Dem Phänomen des Hörens geht auch Florian Reichert abschließend nach. Mit zahlreichen Beispielen aus der Musik, der visuellen Gestaltung und der Literatur, die Wahrnehmungsgewohnheiten bewusst in unterschiedlicher Weise nutzen, rundet er die Auseinandersetzung mit dem Partner des Sprechens, dem Hören, ab.
Der kollegiale Austausch, der auf dem Forschungsworkshop stattfand, kann hier nur bedingt wiedergegeben werden. Dennoch wird der Versuch unternommen, die disparaten Themen, die sich um die verschiedenen Praktiken des Sprechens im zeitgenössischen Theater und deren Herausforderungen drehen, in einem Buch zu vereinen und deren Vielfalt und Vielstimmigkeit offenzulegen. Wir wollen damit die Diskussion anregen und das Spektrum dessen, was möglich ist und als möglich angesehen werden kann, erweitern.
Im Sinne einer besseren Lesbarkeit haben wir uns entschieden, auf das generische Maskulinum zurückzugreifen. Selbstverständlich sind in diese Form alle Geschlechter einbezogen. Zudem möchten wir auf die QR-Codes hinweisen, die in den Beiträgen von Leo Hofmann und Florian Reichert abgebildet sind. Sie ermöglichen die schnelle Auffindbarkeit von Hör- und Videobeispielen im Internet.
Abschließend sei an dieser Stelle folgenden Menschen und Institutionen gedankt, die sowohl zu der Durchführung des Forschungsworkshops in Bern als auch zu der Entstehung des vorliegenden Tagungsbandes beigetragen haben: Für die Finanzierung des Forschungsworkshops und der daraus hervorgegangenen Publikation danken wir der Hochschule der Künste Bern sowie dem Schweizerischen Nationalfond. Namentlich bedanken wir uns bei Priska Gisler, Wolfram Heberle, Thomas Strässle, Sebastian Ledesma, Pia Zühlke und Simon Wyss für die organisatorische Unterstützung in der Vorbereitung und Durchführung des Forschungsworkshops, Lorenz Gurtner für die Beleuchtung, Melina Pyschny und ihrem Team für die großartige kulinarische Betreuung der Workshopteilnehmer. Nicht zuletzt möchten wir allen Referentinnen und Referenten der Tagung sowie den Autorinnen und Autoren dieser Publikation danken, ebenso Erik Zielke vom Verlag Theater der Zeit für das fachkundige und umsichtige Lektorat.
Die Herausgeberinnen
Mai 2019
Kapitel | Seite |
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Kapitel | Seite |
Zu diesem Buchvon Julia Kiesler und Claudia Petermann | Seite 7 |
Zwischen Virtuosität und PersönlichkeitPerspektiven für eine gegenwärtige Schauspielausbildungvon Julia Kiesler und Claudia Petermann | Seite 10 |
„Dass es eine Sprache gibt, worin die Dinge sich weder zeigen noch verbergen“von Heiner Goebbels | Seite 41 |
Stimme als musikalisch-performatives PhänomenPotentiale des Musikalischen im sprachlichen Kontextvon Franziska Baumann | Seite 54 |
EinStimmen. EinSprechenDas aktuelle Sprechen in Texten von Elfriede Jelinekvon Gabriella Crispino | Seite 70 |
Praktiken des Sprechens und das Dispositiv professionellen Schauspielens im Sprechtheatervon Anja Klöck | Seite 96 |
Sprechmethoden und SchauspielstileEin Versuch in mehreren Anläufenvon Eva Maria Gauß | Seite 110 |
Die zeitgenössischen Sprechweisen im Lehrkonzept der SprecherziehungMethodisch-didaktische Überlegungenvon Christina Laabs | Seite 151 |
Chor der ZukunftFür Rettungen danachvon Bernd Freytag | Seite 162 |
Schauspielkunst – ihre Praxis und ihre VermittlungEin Ort produktiver Widersprüchevon Hans Martin Ritter | Seite 174 |
Flüchtigkeit und FixierungDie Stimme im Theater aus Sicht eines Medienkünstlersvon Leo Hofmann | Seite 197 |
Im DialogEinblick in die Probenarbeit des Regisseurs Laurent Chétouane mit Studierenden der Hochschule der Künste Bern mit anschließendem Publikumsgesprächvon Laurent Chétouane | Seite 206 |
Sich Gehör verschaffenEine kurze Reflexion über den Partner der Sprache: das Gehörvon Florian Reichert | Seite 214 |
Autorinnen und Autoren | Seite 230 |
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