Heft 04/2014
Auftreten und leuchten
Gisela Höhne und das Theater RambaZamba
Broschur mit 96 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Dieses Heft ist leider vergriffen und nur noch als PDF erhältlich.
Der Tod holte Fritz Marquardt im März, nicht auf einem schneebedeckten Feld, wie er gehofft hatte, sondern im Bett. Damit verschwand einer der ungewöhnlichsten Regisseure seiner Zeit aus dem Leben. Einer, der stets zu signalisieren wusste, dass seine Heimat unten ist. „Wie Fritz aus dem Auto ausstieg, von Zadek an der Tür begrüßt wurde und ihn dessen Blick traf: ‚Der Blick des Großbauern auf den Kleinbauern‘“, so erinnert sich Stephan Suschke an die erste Begegnung der Ko-Intendanten des Berliner Ensembles.
Das Aprilheft gruppiert sich um die Arbeit mit geistig behinderten Schauspielern im Theater. Äußerer Anlass ist die Verleihung des Caroline-Neuber-Preises 2014 an Gisela Höhne, die 1991 zusammen mit Klaus Erforth das Theater RambaZamba gründete. Martin Linzer porträtiert die Prinzipalin und befürwortet ihr Credo, sich dem auf allem lastenden Erklärungsdruck zu entziehen, denn erst mit der „Verweigerung rationeller, akademischer und widerspruchsloser Maßstäbe“ entsteht die „Behauptung authentischer Kunstäußerungen“. In dieser Spur macht Thomas Thieme deutlich, warum er als Juror des Berliner Theatertreffens den Alfred-Kerr-Darstellerpreis an die HORA-Schauspielerin Julia Häusermann verlieh: „Ich bin anlässlich meiner Entscheidung gefragt worden, ob ich die Selbstvergessenheit, von der ich in der Julia-Häusermann-Laudatio spreche, wichtiger fände als zielgerichtetes, ‚gebautes‘ Spiel. Direkte Frage, direkte Antwort: Ja. In der Selbstvergessenheit liegt die Kraft, im Grenzbereich des Kontrollverlustes liegen die richtigen theatralen Wirkungen, bei jedem Schauspieler der Welt.“ Ralph Hammerthaler verlängert diesen Gedanken mit einem Probenbesuch bei Monster Truck und einem Treffen mit den Leitern des Theaters Thikwa Nicole Hummel und Gerd Hartmann. Auch sie betonen das Moment des Echten: „Künstler wie die Downies bringen ihre Eigenart mit, die sich nie ganz im Spiel verflüssigt.“ Marcel Bugiel resümiert in seinem Überblicksessay: „In gewisser Weise erscheinen ‚geistig behinderte‘ Schauspieler bezogen auf den regulären Theaterbetrieb wie eine Art V-Effekt, der uns scheinbar Selbstverständliches auf einmal wie von außen betrachten lässt.“ Auch für Theater der Zeit neues Terrain.
Renate Klett befragte im Kontext unseres Inserts den gelernten Heilpädagogen Alain Platel, der ein Buch über Fernand Deligny, einen Pädagogen, der mit Autisten arbeitete, zu seiner Bibel erklärte. „Als ich auf ihn stieß, während meines Studiums der Heilpädagogik, interessierte er mich sofort, eben weil er so radikal war.“ Radikal trat auch die Wooster Group während der Olympischen Sommerspiele 2012 in London als Gast der Royal Shakespeare Company auf, um gemeinsam „Troilus und Cressida“ zu produzieren. Angeführt von Mark Ravenhill spielten die Engländer ungehobelte griechische Schläger, trugen die Amerikaner Indianerkostüme und befeuerten den postkolonialen Diskurs. Doch erst jetzt, in der Neuadaption der Produktion in New York, entwickelte sich diese Arbeit zu einem irren Ritt durch die Kulturgeschichte.
Der postkoloniale Diskurs ist immer auch ein Diskurs der Schuld, der heute keineswegs mehr selbstverständlich ist, meint Bernd Stegemann, der in der Schuld das Zukunftsthema Nummer eins sieht. „Das versucht der Neoliberalismus komplett auszublenden, weil er uns zu Konsumenten macht. Wir konsumieren, ohne zu bedenken, dass das alles Schuldverhältnisse sind, in denen wir uns bewegen.“ Um Schuldfragen geht es bekanntlich auch in „König Lear“. Gunnar Decker befragte Starschauspieler Klaus Maria Brandauer zu dessen Lear am Burgtheater und zu seiner viel zu wenig wahrgenommenen Kinorolle als kommunistischer Psychoanalytiker Wilhelm Reich.
Vielleicht nicht revolutions-, so doch reformfreudig zeigen sich Marie Bues und Martina Grohmann als neue Leiterinnen des Theaters Rampe in Stuttgart, die aus dem Tummelplatz neuer Stücke ein Projekttheater nach dem Vorbild des Berliner HAU machen wollen. Zu dieser Liga zählt auch das Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main, dessen neuer Leiter Matthias Pees von einer „Relevanz in Bezug auf soziale Realitäten“ träumt und nebenher „das unbedingte große Kunstereignis“ sucht. Davon schwärmten in alter Zeit einmal die ersten Häuser aller Republiken. Doch die haben anscheinend schon alle viere von sich gestreckt. Warum eigentlich? //
Die Redaktion
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Protagonisten | |
Künstlerinsert „Pitié!“von Alain Platel | Seite 4 |
Geteilte EinsamkeitWas heißt schon „normal“? Der Choreograf Alain Platel über eine Grenze, die in Wahrheit keine ist, im Gespräch mit Renate Klettvon Renate Klett und Alain Platel | Seite 8 |
Thema | |
Auftreten und leuchtenTheater und Behinderung – Eine Spurensuche zwischen Integration und künstlerischer Autonomievon Marcel Bugiel | Seite 12 |
Inklusion – was’n ditte?Vor über zwanzig Jahren gründete Gisela Höhne das Berliner Theater RambaZamba – jetzt wird sie mit dem Caroline-Neuber-Preis ausgezeichnetvon Martin Linzer | Seite 16 |
Kunst ist KunstTheater mit Behindertenvon Thomas Thieme | Seite 18 |
Kolumne | Seite 21 |
Was soll ich dazu sagen?Wenn die Freaks vom Theater Thikwa Regie führenvon Ralph Hammerthaler | |
Protagonisten | Seite 22 |
Die Kunst des VerstummensKlaus Maria Brandauer zeigt in Peter Steins „König Lear“ die Qual des Gestürzten – als Andeutung einer Versöhnung im blutigen Geschehen?von Gunnar Decker | |
kirschs kontexte | Seite 25 |
Sie wollen das Beste, und sie kriegen es auchMatthias Hartmann und das Burgtheatervon Sebastian Kirsch | |
Zurück in die Zukunft | Seite 26 |
#6 Das Ende der VersöhnungSchuld, Schmerz und Widersprüche sicht- und fühlbar zu machen ist die Zukunftsaufgabe des Theaters. Ein Gespräch mit dem Theaterdenker Bernd Stegemann von Frank Raddatzvon Frank M. Raddatz und Bernd Stegemann | |
Kommentar | Seite 29 |
Der Aufstand der HundertprozentigenÜber den Fall Sebastian Edathy | |
Protagonisten | |
Bleibt wach!Mit Projekten aus Ländern außerhalb Europas will uns Matthias Pees, neuer künstlerischer Leiter des Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm, zur Selbsterneuerung aufrufenvon Shirin Sojitrawalla | Seite 30 |
Kuhle RampeUnter dem neuen Leitungsduo Marie Bues und Martina Grohmann soll sich am Theater Rampe in Stuttgart eine utopische Gemeinschaft aus Künstlern, Wissenschaftlern und Bürgern ansiedelnvon Otto Paul Burkhardt | Seite 33 |
Abschied | Seite 36 |
Ein Fuchs unter WölfenZum Tod des Regisseurs und Schauspielers Fritz Marquardtvon Stephan Suschke | |
Ausland | Seite 38 |
Mit Pfeil und LacrosseschlägerWarum sich die bei der Sommerolympiade in London gezeigte Produktion „Cry, Trojans!“ der Wooster Group erst in New York zu einem irren Ritt durch die Kulturgeschichte entwickeltvon Matt Cornish | |
SCORES – Insert Tanzquartier Wien | Seite 41 |
WAR. Ein Kriegstanzvon - nadaproductions | |
Die Eisenbahn im Libanon: Überlegungen zu einer Reise von Niederlagen und Möglichkeitenvon Dictaphone Group | |
Look Out | |
An welchen Guru glauben wir?Das Wiener Performanceduo Holzinger & Riebeek übt Kritik am medial kaputtgetrimmten Körper | Seite 42 |
Der Duft der FigurDie Schauspielerin und Sängerin Atina Tabé fordert die Poetik der Werke herausvon Mehdi Moradpour | Seite 43 |
Auftritt | |
Altenburg/Gera: Ermittlung vor OrtLandestheater Altenburg/Bühnen der Stadt Gera: „Die im Dunkeln“ (UA) von Mona Becker. Regie Bernhard Stengele, Ausstattung Gesine Pitzervon Gunnar Decker | Seite 45 |
Bern: Alles meinsKonzert Theater Bern: „Wir sind keine Barbaren!“ (UA) von Ph. Löhle. Regie V. Hesse, Ausstattung E. Alessi; „Maria Stuart“ von F. Schiller. Regie St. Rottkamp, Bühne R. Schweer, Kostüme H. Kastlervon Dorte Lena Eilers | Seite 45 |
Freiberg/Döbeln: Zirkus der AntiheldenMittelsächsisches Theater: „Der Selbstmörder“ von Nikolai Erdman. Regie Annett Wöhlert, Ausstattung Hans Ellerfeldvon Gunnar Decker | Seite 47 |
Linz: Mehr als ein WortLandestheater Linz: „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ (DSE) von Joël Pommerat. Regie Gerhard Willert, Bühne Florian Parbs, Kostüme Silke Fischervon Christoph Leibold | Seite 49 |
Mainz: Fuck us, Goethe!Staatstheater Mainz: „Urfaust“ nach Johann Wolfgang von Goethe. Regie Robert Borgmann, Bühne Rocco Peuker, Kostüme Zarah Lili Gutschvon Shirin Sojitrawalla | Seite 50 |
Moers: Freunde sein in JerusalemSchlosstheater Moers: „Nathan der Weise“ nach Gotthold Ephraim Lessing. Regie Ulrich Greb, Bühne Birgit Angele Kostüme Elisabeth Straußvon Martin Krumbholz | Seite 50 |
Oberhausen: Versperrte SichtTheater Oberhausen: „Die Orestie“ nach Aischylos von S. Stone. Regie S. Stone, Ausstattung A. Babidge; „Anatol“ von A. Schnitzler. Regie B. Jansen, Bühne G. v. Geffen, Kostüme N. Turlingsvon Martin Krumbholz | Seite 51 |
St. Gallen: Unter Ausschluss des LebensTheater St. Gallen: „Mal was Afrika“ (UA) von Dmitrij Gawrisch. Regie Tim Kramer, Ausstattung Michael S. Krausvon Maria Schorpp | Seite 52 |
Stück | |
Die SelbstentfesselungskünstlerinKatja Brunner über ihr Stück „ändere den aggregatzustand deiner trauer“ im Gespräch mit Gunnar Deckervon Gunnar Decker und Katja Brunner | Seite 54 |
ändere den aggregatzustand deiner trauervon Katja Brunner | Seite 56 |
Magazin | |
Vom andern SternDie deutsch-russische Koproduktion „Makariens Archiv“ bewegt sich am Leipziger Lindenfels Westflügel suchend durch Goethes Aphorismenmeervon Christian Horn | Seite 71 |
Der Geruch verbrannter Leichen„Berlin calling Lampedusa“ im STUDIO des Maxim Gorki Theaters und „Im Apparat der Kriege“ von matthaei & konsorten in Berlinvon Mehdi Moradpour | Seite 72 |
Die verschwundenen InszenierungenEine Erinnerung an den Regisseur Herbert Königvon Thomas Wieck | Seite 74 |
Der Sprung mitten hineinZum Tode des Merve-Verlegers Peter Gentevon Wolfgang Storch | Seite 76 |
Linzers Eck: Thüringer ScharmützelStasi-Aktionen in Gera liefen zum Teil ins Leerevon Martin Linzer | Seite 77 |
Ökonomie, Horatio!William Shakespeare: „Hamlet“, „Othello“, „König Lear“ und „Macbeth“, Der Audio Verlag bei dtv, Berlin 2014, je 2 CDs, 90 – 114 Min.von Holger Teschke | Seite 78 |
Datenbank für EnthusiastenFlorian Vaßen: Bibliographie Heiner Müller. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2013, 3 Bände, 1786 S., 188,00 EUR.von Frank M. Raddatz | Seite 79 |
Reine PräsenzGedanken zur Neuauflage von Robert Wilsons „Einstein on the Beach“von Frank M. Raddatz | Seite 79 |
Aktuell: in nachbars garten | |
Film: Das herausgelassene Tiervon Ralf Schenk | Seite 80 |
Hörspiel: Eine Entscheidung der Angstvon Gerwig Epkes | Seite 80 |
Kunst: Das Leben ist eine rebellische Tatvon Ute Müller-Tischler | Seite 81 |
Musik: Schattiges Miamivon Ulrike Rechel | Seite 81 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 82 |
PremierenApril 2014 | Seite 84 |
TdZ on Tour | Seite 86 |
TdZ on Tour | |
Impressum/Vorschau | Seite 87 |
Impressum | |
Vorschau | |
Gespräch | Seite 88 |
Was macht das Theater, Nina Kunzendorf?von Christoph Leibold und Nina Kunzendorf |
Katja Brunner
Marcel Bugiel
Otto Paul Burkhardt
Matt Cornish
Gunnar Decker
Dictaphone Group
Dorte Lena Eilers
Gerwig Epkes
Ralph Hammerthaler
Christian Horn
Sebastian Kirsch
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Nina Kunzendorf
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