Heft 09/2015
Fuck off
Broschur mit 152 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
Dieses Heft ist leider vergriffen und nur noch als PDF erhältlich.
- Inkl. Stückinsert Schauspielhaus Graz
„Er war der, der immer da war. Und nun?“ Die Nachricht vom Tod Bert Neumanns, Chefbühnenbildner und erkanntes sowie anerkanntes Genie der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, traf uns plötzlich und mit großer Erschütterung. Eben noch sahen wir ihn im Theater und in den Zeitungen, wo er vehement gegen den „Umbau“ der Volksbühne stritt. Und nun? „Jetzt, wo er nicht mehr hier ist, habe ich über vieles nachdenken müssen, was verschollen und vergraben ist. Der Mut und die Eloquenz, dieses feingeistige Blaublütige, dieses aufrechte Stil- und Geschmackssichere, das er verkörperte“, schreibt Leander Haußmann über Bert Neumann. Ihm schließen sich in dieser Ausgabe Lilith Stangenberg, Fabian Hinrichs, Robert Hunger-Bühler, Henry Hübchen und Milan Peschel an.
Jetzt, wo er nicht mehr hier ist … Dieser Gedanke lässt auch Michael Eberth nicht los. Im Juli starb ebenso plötzlich und unerwartet der Schriftsteller und Dramatiker Ulrich Zieger in seiner Wahlheimat Montpellier. Wahrscheinlich ein unerkanntes Genie. „Ohne einen wie ihn, der ,den todesmutigen Sprung in den puren Moment des atmenden Menschen riskiert‘, wie Ulrich Zieger seinen Traum vom Theater beschrieben hat, wird es hinter dem Tor, das die Welt aussperrt, um das Bild von ihr nicht verändern zu müssen, nicht mehr allzu lang weitergehen“, prophezeit Michael Eberth.
Menschen gehen unter, doch der Betrieb läuft weiter. Auch – oder gerade – im Theater. Auch – oder gerade – im Sommer. Während in den Stadttheatern die Arbeit ruht, übernehmen die zahlreichen Festivals ihr künstlerisches Tun. Von den Wiener Festwochen geht es zum Kunstenfestivaldesarts, geht es zu den Theaterformen, geht es zum Bergen International Festival, geht es zur Prag Quadriennale, geht es zum Spring Performing Arts Festival, geht es zu ImPulsTanz, geht es zum Impulse Theater Festival. Stillstand? Nicht vorgesehen. Zumal es keine Sonnenscheinprogramme sind, die man dort erlebt. Es geht um Partizipation, Kollaboration und Teilhabe in Formen und Formaten, die zwischen sozialer und künstlerischer Aktion oszillieren. Das größte Paradox dabei ist die Reibung mit einer ganz anderen Art von Mobilität. Während die Kulturelite hierhin und dorthin pilgert, geht es für Hundertausende Menschen nur dorthin – nach Europa. Gerade deshalb, sagt Sodja Lotker, künstlerische Leiterin der Prag Quadriennale, seien „Shared Spaces“ (so das Motto der Quadriennale) so wichtig. Und Theater sei ein geteilter Raum.
13 Dramatiker, 13 Stücke. Auch in unserem großen Stückinsert des Schauspielhauses Graz geht es um Grenzen und deren Überschreitung. Grenzgänge nennt sich das Spektakel, mit dem Neuintendantin Iris Laufenberg ihre erste Spielzeit eröffnen wird. Mit dabei sind unter anderen Philipp Löhle, Henriette Dushe, Ferdinand Schmalz, Nicoleta Esinencu und Clemens J. Setz.
Doch wie überhaupt schreiben in Zeiten, in denen Zusammenhänge immer mehr verloren gehen oder im Zuge der Postdramatik verloren gegeben werden? Kathrin Röggla diskutiert diese Frage in unserer Reihe Neuer Realismus in einem vielstimmigen Essay mit sich und einem Konglomerat verschiedenster Positionen durch. „Wissen wir, was Menschen heute sind? In Wirklichkeit (…) wissen (wir) viel mehr von der Hysterie, die durch Rohstoffmärkte wandert, zu erzählen als über reale Menschen, an denen doch die Geschichten angeblich dranhängen.“
Zu deprimierend? Dann schnell zum nächsten Song. „Geh zu ihr und lass deinen Drachen steigen“. Die Puhdys. Das kann er, der Würm-Hans. Die Leute unterhalten. Nur sind die schon ganz woanders. Vorm Fernseher. Oder dem Smartphone. Matthias Brenner hat im Juni Ralph Hammerthalers „Alleinunterhalter“ uraufgeführt. Der Intendant des Neuen Theaters Halle, der sich immer wieder gegen kommunale Schließungsgelüste wehren muss, als Soloentertainer. Die Pistole ist längst gezückt. Doch ist es viel mehr, was dieses Stück erzählt. „Der ‚Alleinunterhalter‘“, schreibt Gunnar Decker, „trifft den allzu menschlichen Kern unserer Existenz. Das ist der Punkt, an dem es heroisch wird, in den Spiegel zu blicken, die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität des eigenen Tuns nicht wegzulügen – und trotzdem jeden Tag aufs Neue da weiterzumachen, wo man gestern aufhörte (…).“ //
Die Redaktion
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Abschied | |
Der geschlossene Raum: Wir sehen nüschtvon Henry Hübchen | Seite 10 |
Im Jahr 1988von Milan Peschel | Seite 11 |
Ich erzähle die Geschichtevon Leander Haußmann | Seite 12 |
Für meinen Flaneurvon Robert Hunger-Bühler | Seite 13 |
Einmal, es war bei den Probenvon Lilith Stangenberg | Seite 14 |
Bert, Du warst so mutigvon Fabian Hinrichs | Seite 14 |
Thema: Festivals | |
Geteilte Zeit ist halbes LeidDas Kunstenfestivaldesarts in Brüssel ist eine Feier der Diversitätvon Theresa Schütz | Seite 25 |
Sozial oder banal?Partizipation, Kollaboration und Teilhabe – das Festival Theaterformen in Hannover erprobt neue Zuschauweisenvon Theresa Schütz | Seite 28 |
SeelenpornoDas Bergen International Festival sorgt für produktive Unruhe in der norwegischen Theaterszenevon Christoph Leibold | Seite 31 |
Black Box plus White CubeDas Wiener ImPulsTanz-Festival erprobt das Museum als performativen Ortvon Helmut Ploebst | Seite 34 |
Die bessere WeltDie Wiener Festwochen zeigen zwischen Körperkampf und Selbstermächtigung ihr politisches Potenzialvon Margarete Affenzeller | Seite 36 |
Der dritte RaumSodja Lotker, künstlerische Leiterin der Prag Quadriennale, über Bühnenbilder, die in Zeiten der Abschottung Europas gemeinsame Orte schaffen, im Gespräch mit Dorte Lena Eilersvon Dorte Lena Eilers und Sodja Zupanc Lotkerzum Online-Extra: Der dritte Raum | Seite 40 |
Die Tage der lebenden TotenVom Büromenschen zum Menschenschrott: Das Spring Performing Arts Festival im niederländischen Utrechtvon Armin Kerber | Seite 43 |
Second LifeNach dem abgewendeten Aus erfindet sich das Impulse Theater Festival neuvon Friederike Felbeck | Seite 50 |
Aktuelle Inszenierung | Seite 52 |
Im Herzen der Finsternis„Das Kongo Tribunal“ von Milo Rau untersucht in Bukavu und Berlin die Hintergründe des kongolesischen Kriegesvon Andreas Tobler | |
Neuer Realismus | Seite 54 |
Negativer Realismusvon Kathrin Röggla | |
Kolumne | Seite 59 |
Das fünffache GlückWie Zhao Chuan in Shanghai das gefügige Theater provoziertvon Ralph Hammerthaler | |
Abschied | Seite 60 |
Der pure Moment des atmenden MenschenZum Tod von Ulrich Ziegervon Michael Eberthzum Online-Extra: Ulrich Zieger Werkverzeichnis | |
Protagonisten | Seite 64 |
Requiem für den NarrenDer Intendant Matthias Brenner spielt am Neuen Theater Halle Ralph Hammerthalers „Alleinunterhalter“von Gunnar Decker | |
Look Out | |
Semiotischer OverkillDie Puppenspielerin Katharina Kummer entdeckt das subversive Potenzial des Figurentheatersvon Andreas Schmotz | Seite 74 |
Charme mit SchärfeWie die Schauspielerin Tinka Fürst durch Zufall ans Sprechtheater kamvon Martin Krumbholz | Seite 75 |
Protagonisten | |
Zwei Welten wohnen, ach …Neuintendant Mirko Schombert vereinigt an der Burghofbühne Dinslaken Off-Theater und Subventionsbetriebvon Friederike Felbeck | Seite 76 |
Die zwölfte NachtWie das Oldenburgische Staatstheater unter der neuen Leitung von Christian Firmbach theatrale Flaschenpost in andere Welten verschicktvon Dorte Lena Eilers | Seite 78 |
Grenzgänge – 13 neue Kurzstücke – geschrieben für das Schauspielhaus Graz | |
Statt eines Vorworts: Stück zum Stückvon Peter Michalzik | Seite 83 |
ParanoiaKurzdrama für eine Stimme und einen vollen Saal. Fürs Grazer Eröffnungsspektakelvon Phillipp Löhle | Seite 85 |
Strengen denkt anDer Dramatiker Philipp Löhle im Gespräch mit Lena Schneidervon Lena Schneider und Phillipp Löhle | Seite 87 |
Die Gegenwart Stillevon Thomas Arzt | Seite 88 |
Es gab keinen Zweifel und Angst hatte ich fast nieAuszug aus einem Theatertext für fünf Spielerinnenvon Henriette Dushe | Seite 90 |
am apparatvon Ferdinand Schmalz | Seite 94 |
Panic attackAus dem Rumänischen und Russischen von Eva Ruth Wemmevon Nicoleta Esinencu | Seite 96 |
Varisia, 13. JuliAus dem Französischen von Karla Mädervon Alexandra Badea | Seite 100 |
Wir sind AmalgameDie Dramatikerin Alexandra Badea im Gespräch mit Lena Schneidervon Lena Schneider und Alexandra Badea | Seite 103 |
Can I work now?Aus dem Niederländischen von Uwe Dethiervon Rob de Graf | Seite 104 |
Mínima alma mía – Meine kleine SeeleAus dem Spanischen von Johannes Schrettlevon Emilio García Wehbi | Seite 107 |
Auf dem Weg zum SiegAus dem Tschechischen von Barbora Schnellevon Roman Sikora | Seite 111 |
Horváths Gebeinevon Peter Turrini | Seite 113 |
La Loba – Gesang über den toten GebeinenDeutsch von Andreas Volkvon Małgorzata Sikorska-Miszczuk | Seite 115 |
August Musgervon Clemens J. Setz | Seite 118 |
Die visuelle Verlangsamung der WeltDer Schriftsteller Clemens J. Setz im Gespräch mit Karla Mädervon Clemens J. Setz und Karla Mäder | Seite 120 |
Magazin | |
Piff, paffDen Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin geht vor lauter Konsensfähigkeit die Luft ausvon Kerstin Car | Seite 123 |
Vorsingen ist überallDas alte bat-Studiotheater in Berlin wird geschlossen – zum Abschied inszenierte Alexander Lang dort „Was ihr wollt“von Gunnar Decker | Seite 124 |
Einmal nur im SchlafDas Stück Labor Basel zeigt Uraufführungen von Katja Brunner, Wolfram Höll und Michèle Roten, die dem Tabuthema Tod hinterherspürenvon Elisabeth Maier | Seite 126 |
In der Vergangenheits-CloudEin Dramatiker-Workshop im Libanon zeigt syrischen Flüchtlingen, wie sie ihre Lebensrealität in Fiktion transformieren und damit Distanz zum Erlebten herstellenvon Erik Altorfer | Seite 130 |
Die Welt jenseits üppiger GeranienDie erste Summer School für dramatisches Schreiben in Südtirol diskutiert unter dem Titel „Flucht und Zuflucht“ Wege eines politisch verantwortlichen Schreibensvon Theresa Luise Gindlstrasser | Seite 132 |
Übers Wasser gehenDie Schlossmediale Werdenberg zeigt Wandelkonzerte, Miniopern und ein Cage-Reenactment von Rimini Protokoll mit Flüchtlingen aus Athenvon Otto Paul Burkhardt | Seite 134 |
Wenn Mutti früh nicht zur Arbeit gehtDas Kindertheaterfestival „Industriegebietskinder“ in Halle (Saale) fragt, was den Menschen an Zukunft bleibt, wenn die Industrie gehtvon Steffen Georgi | Seite 136 |
kirschs kontexte: Sekt in der PanoramabarEin Ausblick auf die kommende Spielzeitvon Sebastian Kirsch | Seite 137 |
Das böse PaarSiegfried und Brünnhilde, Tristan und Isolde – Adolf und Winifred? Über das neu eröffnete Richard Wagner Museum in Bayreuth und die Quadratur des Sehensvon Dorte Lena Eilerszum Online-Extra: Das böse Paar | Seite 138 |
Love, love, loveDie Kammeroper Rheinsberg sucht unter neuer Leitung nach dem Musiktheater des 21. Jahrhundertsvon Marielle Sterra | Seite 139 |
Grandioser StoikerZum Tod des Schauspielers Ulrich Lenkvon Gunnar Decker | Seite 140 |
Experte fürs AuswärtigeZum Tod von Martin Berg, Leiter des Bereichs Theater/ Tanz im Goethe-Institutvon Wolfgang Schneider | Seite 140 |
Abschied von morgenGunnar Decker: 1965. Der kurze Sommer der DDR. Hanser Verlag, München 2015, 496 S., 26 EUR.von Holger Teschke | Seite 142 |
Kitt und BruchMirjam Meuser und Janine Ludwig (Hg.): Literatur ohne Land? Schreibstrategien einer DDR-Literatur im vereinten Deutschland. Band 2. Fördergemeinschaft Wissenschaftlicher Publikationen von Frauen e. V.von Hugo Velarde | Seite 142 |
Wie bleibt das Fremde fremd?Nikolaus Müller-Schöll, Leonie Otto (Hg.): Unterm Blick des Fremden. Theaterarbeit nach Laurent Chétouane. Transcript Verlag, Bielefeld 2015, 296 S., 24,99 EUR.von Marten Weise | Seite 143 |
Aktuell | |
Meldungen | Seite 144 |
Mondo DimitriClown Dimitri wird 80von Jean Grädel | Seite 144 |
PremierenSeptember 2015 | Seite 147 |
tdz on tour | Seite 150 |
impressum/vorschau | |
Gespräch | Seite 152 |
Was macht das Theater, Oliver Frljić?von Oliver Frljić und Christian Mayer |
Margarete Affenzeller
Erik Altorfer
Thomas Arzt
Alexandra Badea
Otto Paul Burkhardt
Kerstin Car
Rob de Graf
Gunnar Decker
Henriette Dushe
Michael Eberth
Dorte Lena Eilers
Nicoleta Esinencu
Friederike Felbeck
Oliver Frljić
Emilio García Wehbi
Steffen Georgi
Theresa Luise Gindlstrasser
Jean Grädel
Ralph Hammerthaler
Leander Haußmann
Fabian Hinrichs
Henry Hübchen
Robert Hunger-Bühler
Armin Kerber
Sebastian Kirsch
Martin Krumbholz
Christoph Leibold
Phillipp Löhle
Sodja Zupanc Lotker
Karla Mäder
Elisabeth Maier
Christian Mayer
Peter Michalzik
Milan Peschel
Helmut Ploebst
Kathrin Röggla
Ferdinand Schmalz
Andreas Schmotz
Lena Schneider
Wolfgang Schneider
Theresa Schütz
Clemens J. Setz
Roman Sikora
Małgorzata Sikorska-Miszczuk
Lilith Stangenberg
Marielle Sterra
Holger Teschke
Andreas Tobler
Peter Turrini
Hugo Velarde
Marten Weise
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Thema: Festivals | Seite 40 |
Der dritte RaumSodja Lotker, künstlerische Leiterin der Prag Quadriennale, über Bühnenbilder, die in Zeiten der Abschottung Europas gemeinsame Orte schaffen, im Gespräch mit Dorte Lena Eilersvon Dorte Lena Eilers und Sodja Zupanc Lotkerzum Online-Extra: Der dritte Raum | |
Abschied | Seite 60 |
Der pure Moment des atmenden MenschenZum Tod von Ulrich Ziegervon Michael Eberthzum Online-Extra: Ulrich Zieger Werkverzeichnis | |
Magazin | Seite 138 |
Das böse PaarSiegfried und Brünnhilde, Tristan und Isolde – Adolf und Winifred? Über das neu eröffnete Richard Wagner Museum in Bayreuth und die Quadratur des Sehensvon Dorte Lena Eilerszum Online-Extra: Das böse Paar |
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