Magazin
Die deutsch-italienische Compagnia Barletti / Waas mit bilingualen Peter-Handke-Inszenierungen
von Thomas Irmer
Seit fast zehn Jahren treten sie zum Beginn von Peter Handkes frühem Sprechstück „Selbstbezichtigung“ nackt auf, verkörpern so das unschuldige, noch nicht von normierter Sprache zugerichtete Kindesalter. Dann legen sie schwarze Kleidung an, die diese Frau und diesen Mann förmlich erscheinen lässt. Die Sätze ihrer Theaterbeichte werden unerbittlicher, aber auch absurder. Und sie verbinden zwei Sprachen, das Deutsche und das Italienische, nicht nur im Wechsel, sondern im Beisammensein, gesprochen und im Schriftbild. Woraus, wie auch bei anderen Produktionen des Duos, eine besondere Dynamik und Schönheit entsteht.
Das deutsch-italienische Duo ist seit Langem auch ein Paar, aber seit sie mit dieser „Autodiffamazione“ – 2013 in Rom uraufgeführt – in Deutschland und Italien unterwegs sind, haben sie wohl auch die ästhetische Ausrichtung ihrer Theaterarbeit gefunden. Intensität der bilingualen Sprach- und Sprechkunst bei minimaler Ausstattung und fast Berührungsnähe zum Publikum zusammen mit einer Auffassung von Stücken der Literatur, die sie unbedingt zur Aufführung bringen wollen. Auf der Handke-Linie folgte 2017 „Kaspar“ (ebenfalls in Zweierbesetzung), 2021 in gemeinsamer Regie das Riesenwerk „Über die Dörfer“ (mit fünf dazu engagierten Schauspieler:innen) und im öffentlichen Raum ein weiteres Sprechstück, „Weissagung“ (mit einer ganzen Sprechchor-Truppe, u. a. beim Performing Arts Festival Berlin vor dem Roten Rathaus).
Außerdem Stücke von Herbert Achternbusch, Rainer Werner…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2022
Stück
Ariane Koch im Gespräch mit Nathalie Eckstein
von Nathalie Eckstein und Ariane Koch
Das Anthropozän ist vorbei. Ariane Koch, wie begegnen wir nicht-menschlichen Wesen im Theater? Welches Potenzial steckt in dieser Begegnung?
Ich hatte eine Initialzündung bei einem Gespräch, das ich gesehen habe – mit Steve Brusatte, einem Paläontologen. Es gibt einen sogenannten Dinosaurier-Rassismus in der Art und Weise, wie wir auf Dinosaurier schauen. Wir kennen sie heute hauptsächlich aus Jurassic Park – das sind alles Exemplare, die zu einer bestimmten Zeit in Nordamerika gefunden und anschließend kommerzialisiert wurden. Brusatte hat darauf hingewiesen, dass in China auch jetzt noch jede Woche Fossilien neuer Arten entdeckt werden, also dass es bei Dinosauriern eine Minderheit gibt, die nicht beachtet wird, die man nicht kennt aus der westlichen Populärkultur. Das fand ich sehr spannend, dass sich einerseits der Blick auf die Spezies, die man aus den Ausgrabungen kennt, mit der Zeit sehr verändert, aber eben andererseits, dass die Dinosaurier als ein Spiegel fungieren für den Menschen und die Gesellschaft, in der er lebt. Aktuelle Machtverhältnisse unserer Welt werden sichtbar dadurch, wie wir auf die Dinosaurier zurückschauen. Theater ist wiederum ein sehr guter Ort, um aus dem Menschsein hinauszuschlüpfen, zumindest als Behauptung oder zeitweise. Und ich bin idealistisch genug, um zu sagen: Theater ist der richtige Ort, um via einer anderen Spezies über uns selbst nachzudenken.
Wenn wir schon bei der anderen Spezies sind: Die Begegnung zwischen der Gruppe von…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2022
Magazin
Das tschechische Theater zeigt vielfältige Aufarbeitungsversuche der postsozialistischen Geschichte
von Nathalie Eckstein
Die bewegte Geschichte Tschechiens sieht man seinem Theater an. Und seinen Theatern. Das 30. Mezinárodní Festival in Plzeň findet an insgesamt sieben Spielstätten statt, darunter das Divadlo Josefa Kajetána Tyla, ein Neorenaissancebau der k.u.k.-Zeit, das Divadlo Alfa aus der (post-)sozialistischen Ära (saniert und mit einem Saal wie ein Kino) und die zweite Spielstätte des Divadlo Josefa Kajetána Tyla – modern und großzügig, 2014 eröffnet, das einzige Theatergebäude in Tschechien, das nach 1989 erbaut wurde. Die Geschichte kriecht aber auch durchs Theater. Um zu Yana Ross’ „Geschichten aus dem Wiener Wald“ vom Valstybinis Jaumino Teatras in der litauischen Hauptstadt Vilnius zu gelangen, geht man lange Flure der Hinterbühne des Divadlo Josefa Kajetána Tyla entlang. Während im Bühnenbild einer postsowjetischen Mehrzweckhalle, ins Litauen der neunziger Jahre verlegt, mal eine Beerdigung, mal eine Hochzeit stattfindet, drängen sich die Gräueltaten der Geschichte durch den provisorisch mit Klebeband geklebten, sich hoch wölbenden Boden. In der Überschreibung des Textes probieren die Figuren es mit litauischem Nation Building, haben aber angesichts der sie nach unten ziehenden Dynamik ihrer Gewaltbeziehungen keine Chance auf ein gelingendes Leben.
Auf ein mehr oder weniger gelungenes Leben in Auseinandersetzung mit der sozialistischen Geschichte blickt auch die Inszenierung „Zápas o Generála“, in der Regie von Ivan Krejči von der Komorní scéna Aréna in Ostrava. Es ist Tomáš…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 11/2022
Protagonisten
Ein Besuch in Kopenhagen bei Mille Maria Dalsgaard und Mareike Mikat, der künftigen Doppelspitze am neuen theater Halle
von Thomas Irmer
Hier würde man kein Theater vermuten. Ein paar Bahnstationen südlich vom Stadtzentrum Kopenhagens führt ein unscheinbarer Weg in eine Parkanlage zu einer Friedhofskapelle. Das Gebäude für Bestattungszeremonien war schon seit Jahrzehnten stillgelegt, als Mille Maria Dalsgaard hier vor rund zehn Jahren mit dem von ihr gegründeten Sydhavn Theater einzog. Ob es damals nicht ein gespenstischer Ort für Theater gewesen sei? „Nein, es war ein stiller Ort, der einst für bestimmte Rituale geschaffen wurde. Also sehr geeignet für Theater“, erinnert sich Dalsgaard an einem der letzten warmen Sommerabende bei einer Dernière-Party vor der Kapelle. Demnächst wird das Gebäude für die Bedürfnisse des Sydhavn Theaters umgebaut, das die Trauerhalle für Aufführungen und einen Eingangsraum als Foyer nutzt. Dann, ab Beginn der Spielzeit 2023/24, wird Mille Maria Dalsgaard schon Intendantin in Halle sein, zusammen mit Mareike Mikat als stellvertretender künstlerischer Leiterin. Mikat ist an diesem Wochenende nach Kopenhagen gekommen, denn es ist die Feier eines großen Jubiläums des dänischen Theaters, und das Sydhavn Theater begeht es ganz speziell in seiner unmittelbaren Nachbarschaft.
Am 23. September 1722 wurde zum ersten Mal ein Theaterstück in dänischer Sprache aufgeführt, Molières „Der Geizige“. Ein paar Tage später folgte das Debüt des dänisch-norwegischen Klassikers Ludvig Holberg, dessen Stücke die Kopenhagener Theater zum Jubiläum bieten. Aber die Geburtsstunde für dieses…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 11/2022
Thema
Erkundungen und Erkundigungen aus gegebenem Anlass in Weimar, Meiningen, Rudolstadt und Gera-Altenburg
von Michael Helbing
Alle reden vom Zuschauerschwund im Theater. Ja, den gibt‘s auf jeden Fall, sagen sie an den ostthüringischen Bühnen Gera-Altenburg. Nein, können wir nicht bestätigen, heißt es im südthüringischen Meiningen. Und dazwischen, auf halber Autobahnstrecke, geht ein Intendant jetzt wandern: Hasko Weber hat in Weimar mit dem Besucherservice gewettet, dass er auf dem Theaterfest zum Spielzeitauftakt mindestens fünf Zuschauer findet, die so gerne mit ihm den Thüringer Wald durchstreifen würden, dass sie ein Abonnement abschließen. Weil aber auch solche darauf Lust hatten, die bereits Abonnementen sind, sollte die „Wandergruppe Weber“ nun Ende Oktober an gleich zwei Tagen um den Inselsberg ziehen, mit jeweils zehn Beteiligten.
Das ist keine Massenbewegung, aber eine Reaktion auf diverse Zuschauerwanderungen an deutschen Theatern. Es beglaubigt, was Hasko Weber auf dem Theaterfest ins Publikum rief: „Wir tun alles dafür, dass Sie gerne kommen!“ Zwei Wochen später beglückte er mit dem Ensemble das Jubiläum eines Fitnessstudios: Die „Rambazambabar“ spielte auf, ein Kult gewordenes Liederabendformat des Hauses. Weber will mit dem Theater in der Stadt sichtbar bleiben oder, je nachdem, werden. Andernorts spräche man von Kundenbindung.
„Ja“, bestätigt er fürs Deutsche Nationaltheater, „wir haben über die zwei Coronajahre hinweg Abonnenten verloren, auch altersbedingt.“ Das klassische Festplatzabo sei seit Jahren rückläufig. Bei flexiblen Wahlabos hingegen, einer Art Gutscheinsystem,…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 11/2022
Spanien
von Stefanie Gerhold
Anfang März fährt Stefanie Gerhold für die Übersetzung des Stücks Himmelweg nach Madrid, um den Autor Juan Mayorga zu treffen. Außerdem zieht es sie ins Theater. Nach langem Stillstand sind die Madrider Bühnen neu erwacht.
Für Juan Mayorga läuft es gut. Vor kurzem hat er den Prinzessin-von-Asturien-Preis erhalten, seit 2019 gehört er der Real Academia Española an, und von diesem Jahr an leitet er das Teatro de la Abadía, das kleine Juwel unter den Madrider Bühnen. Vor allem aber werden seine Stücke viel gespielt – in Spanien. In Deutschland begegnen die Theater seine Stücke noch zögerlich, obwohl diesen Dramatiker, der eine Weile in Münster studiert hat, auch deutsche Themen beschäftigen.
Himmelweg handelt von einem KZ, das die Nazis als normale Stadt präpariert haben. Es geht um die Theaterhaftigkeit dieses Vorzeigelagers, mit dem der NS-Staat die internationale Öffentlichkeit beschwichtigen wollte. Himmelweg geht so unbefangen mit dem Thema um, wie ein deutsches Stück das nicht könnte. Einige Stellen befriedigen mich in meiner deutschen Fassung noch nicht, ich trage sie während meiner Tage in Madrid mit mir herum.
Im Teatro María Guerrero, einer Spielstätte des Centro Dramático National, ist die Truppe La Calórica zu Gast. Sie führen Las aves (Die Vögel) auf, frei nach Aristophanes. „Populismus oder Freiheit“ steht als Slogan auf dem Plakat, aber von postdramatischen Deklamationen keine Spur! In bunten Federkleidern, Strumpfhosen und Pumps fegen die Darsteller über die…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2022
Magazin
Bühnen-Objekte Bert Neumanns im mecklenburgischen Klempenow
von Juliane Voigt
Was da wohl gelaufen wäre, mit der Burg als Bühne, Vorpommern als Kulisse, reines Prospekt-Theater aus Landschaftspanoramen. „Warten auf Godot“ vielleicht, denn viel passiert ja nicht so rings um Altentreptow, wobei es so still gar nicht ist, denn links und rechts der Burg rauschen die Autos vorbei. Auf einer Seite zieht die A20 eine Schneise durch die Landschaft, auf der anderen die legendäre B96, die Sehnsuchts-Transitstrecke der Berliner Richtung Ostsee. „Raststätte 1km.Bert Neumann Vol. 2“ heißt deshalb eine Ausstellung, die schon im Sommer, genau am 30. Juli, am 7. Todestag des Bühnen- und Kostümbildners Bert Neumann, eröffnet wurde und just zu Ende ging. Initiiert von der Bert Neumann Association, die seit 2018 als gemeinnützige Stiftung dessen Archiv verwaltet.
Nach dem Bert-Neumann-Motto „Man nimmt eben das, was da ist“ haben sich Lenore Blievernicht und Thilo Fischer inspirieren lassen und aus dem, was da ist im künstlerischen Nachlass, eine Ausstellung konzipiert. Ausdrücklich keine Retrospektive sollte es sein, obwohl die fällig wäre. Aber das war auch gar nicht der Plan. Abgesehen davon, dass es die Bühnenbilder so gar nicht mehr gibt, gehören sie da hin, wofür Bert Neumann sie entworfen hat – ins Theater. Im Archiv der BNA befinden sich noch einzelne Objekte aus den Arbeiten, nicht nur aus der Volksbühne, sondern auch aus seinen Arbeiten in anderen Häusern. „Das Spannende daran ist, dass diese Objekte miteinander korrespondieren.“ So Blievernicht. Die…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2022
40 jahre kampnagel
Amelie Deuflhard im Gespräch mit Peter Helling über Geschichte und Zukunft der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel
von Amelie Deuflhard und Peter Helling
Gerade kommt Amelie Deuflhard von einem dreitägigen Workshop mit dem Architektenteam Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal. Die Pritzker-Preisträger:innen sollen Kampnagel in den nächsten Jahren umbauen und sanieren. Jetzt sitzt die Intendantin im Avant-Garten, dem Festivalgarten des Internationalen Sommerfestivals, unter den rostigen Kranen. Hinter ihr ragen die großen Hallen der ehemaligen Fabrik auf. Das Ganze hat auch nach 40 Jahren den Charme einer liebevoll heruntergekommenen Off-Spielstätte. Und den soll Kampnagel, inzwischen Hamburgs viertes Staatstheater, behalten, selbst die Graffitis sollen teilweise bewahrt werden. Die quietschenden Tribünen in den Hallen gehören aber bald der Vergangenheit an, verspricht Amelie Deuflhard lächelnd, die in diesem Jahr mit dem Theaterpreis Berlin ausgezeichnet wurde.
Amelie Deuflhard, können Sie uns verraten, was das international renommierte Architektenteam mit Kampnagel vorhat?
Um bei einer Instandsetzung und Modernisierung Kampnagels nicht die ursprüngliche Identität des Ortes zu verlieren, gilt es, die Erinnerung an die alte Fabrik und den Geist des Ortes zu bewahren, ohne in Nostalgie zu verfallen, sondern mit größtem Anspruch die bestehende Dynamik des Theaters zu unterstützen und seine Weiterentwicklung zu fördern. Lacaton & Vassal, das Pariser Architekturbüro, setzt auf umsichtige Sanierung der Fabrikhallen. Dabei werden Sichtlinien, Tageslicht und Transparenz wiederhergestellt. Lacaton & Vassal werden nutzer- und…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2022
40 jahre kampnagel
40 Jahre Kampnagel und das Festival zum Jubiläum
von Peter Helling
Vor 40 Jahren war das hier Brachland, ein wilder Ort: Heute ist der Avant-Garten des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel so etwas wie der heimliche Place to be im Festivalkalender: Fast jeder Korbstuhl ist besetzt, man fläzt biertrinkend auf unbequem gezimmertem Holzmobiliar, blickt sich in einem durchsichtigen Spiegel an oder betätigt einen riesigen Blasebalg, um einen schiefen Ton zu erzeugen. Große pinke Faltobjekte stehen herum wie überdimensionales Spielzeug: Entworfen haben diese gelungene Avantgarde-Spielwiese Jascha Kretschmann und Franz Thöricht. Der Festivalcharakter gehört zu Kampnagel wie die rostige Vergangenheit als Fabrik für Großmaschinen. Als „Nagel & Kaemp“ wurde sie 1865 gegründet, später drehten sich die Namen um, „Kampnagel“-Kräne stehen bis heute an vielen Hafenbecken der Welt. Im Zweiten Weltkrieg war es ein Rüstungsbetrieb, in dem Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen schuften mussten. Bis 1981 gingen hier Gabelstapler vom Band. Und dann kam das Theater.
Das Deutsche SchauSpielHaus wurde renoviert, brauchte eine Interims-Spielstätte, und die fand es hier, auf Kampnagel, ab 1982. Im Oktober desselben Jahres konnten freie Gruppen ein erstes Festival veranstalten, „Besetzungsproben“ hieß es. Corny Littmann war der heimliche Leiter. Sein Tourneetheater Familie Schmidt trat sogar in der riesigen Halle K6 auf, füllte die Ränge. Später waren Peter Brook zu Gast, der italienische Clown Leo assi, und 1984 zog das SchauSpielHaus zurück an die…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2022
Thema
Oliver Proske von NICO AND THE NAVIGATORS im Gespräch mit Thomas Irmer
von Thomas Irmer und Oliver Proske
Mit der von euch entwickelten Software erlebt man einen hybriden Raum, in dem sich künstliche Elemente mit einer realen Performance verbinden. Das Prinzip basiert auf den schon öfter auch im Theater eingesetzten Augmented-Reality-Brillen, erweitert aber das Spektrum. Um was handelt es sich genau?
Man könnte sagen, dass wir eine immaterielle Traumlandschaft erzeugen, in der sich bereits Geschehenes mit aktuellen Ereignissen überlagert: Reale Performer:innen werden dabei mit imaginären Bildern konfrontiert, was künftig sicher neue Möglichkeiten des Erzählens eröffnet – als Fortschreibung der Virtual Reality, bei der bislang ja vor allem eine filmische Illusion erzeugt wird. Bei der von uns verwendeten Technik wird daraus eine Live-Raum-Begegnung von tatsächlich vorhandenen Körpern mit bewegten virtuellen Elementen, die in ihrer Dreidimensionalität bislang nur in der Fantasie vorgestellt werden konnten.
Konkret sind es ja eine Art Gliederpuppen, die sich zusammen mit den realen Tänzern in eurer Produktion „Du musst Dein Leben rendern!“ bewegen.
Diese animierten Figuren sind zunächst von den beiden Darsteller:innen selbst mit ihren Bewegungen belebt worden, die durch Datenanzüge abgenommen wurden. Die Tänzerin und der Tänzer stehen also mit ihren eigenen Abbildern im Dialog, was aber nur das Publikum mit der Brille so wahrnimmt. Im Probenprozess müssen die Akteure daher die genau zu ihrem Gegenüber passenden Bewegungen einstudieren – synchronisiert wird die Choreografie ganz…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 9/2022
Nachruf
Eine Erinnerung an Hans-Thies Lehmann
von Tom Stromberg
Mein Exemplar seines Buches: Eselsohren, Klebezettel appliziert, schöne Sätze wie diesen markiert: „Mehr Gefahr droht der Tradition des geschriebenen Textes von musealer Konvention als von radikalen Formen des Umgangs mit ihm.“ Eine Menge angestrichener Textpassagen mit verschiedenen Stiften, also offenkundig zu verschiedenen Anlässen und Zeiten.
Postdramatisches Theater. Einfach so. Kein Untertitel, keine absichernden Einschränkungen – in der Wissenschaft eigentlich überlebenswichtig. Ein Buch, das neuere Theaterentwicklungen ernst nahm und sie der theoretischen Beschäftigung mit Theater.kunst zugänglich gemacht hat, sie für die Wissenschaft „adelt“. Ein Denkprozess weg von der Dominanz des Textes im Theater.
Seite 38 (Verlag der Autoren, Frankfurt a. M. 1999) lese ich immer wieder. Da geht es um das Wagnis experimentellen Theaters, um die Förderung, die Künstler brauchen, damit sie Kunst am Theater machen und nicht sonst wo. Um die Theater, die Risiken eingegangen sind und deshalb Dank verdienen. Diese Aufmunterung tut gut; ab und zu. Manchmal brauchen auch die Unterstützer Unterstützung.
„Die Intention dieser Studie geht nicht auf umfassende Inventarisierung“, so Lehmann, der mit dem Buschmesser eine Bresche schlägt durch den Realitätsdschungel Theater. „Aufgabe der Theorie ist es, das Gewordene auf Begriffe zu bringen, nicht es als Norm zu postulieren.“ Begriffstäter. Aber einer, der das Theater liebt, das Schauen, das Fragen, einer, der sich für eine Erfahrung…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 9/2022
Aktuelle Inszenierung
Beim Epidauros-Festival triumphiert „Agamemnon“ von Ulrich Rasche
von Christoph Leibold
Wenn das mal kein Statement ist: „Kunst ist die Antwort auf alles!“, erklärt Katerina Evangelatos. Was den Menschen ausmache, das sei ja nicht allein die Einsicht, angesichts des Klimawandels auf Flugreisen zu verzichten, so die künstlerische Leiterin des Athens Epidaurus Festivals. Menschsein habe auch mit der Fähigkeit zu tun, eine Fuge von Bach, ein Gemälde von Rembrandt oder ein Drama von Aischylos wertzuschätzen. Kunst zu den Menschen zu bringen, ist für Evangelatos daher eine Aufgabe von so essenzieller Bedeutung, dass sie auch künftig nicht auf internationalen Austausch verzichten will. Trotz der mutmaßlich fragwürdigen Ökobilanz von Großgastspielen.
Andreas Beck, Intendant des Münchner Residenztheaters, der die „Agamemnon“-Auswärtspremiere seines Hauses in Epidauros eingefädelt hat, sieht die Sache ähnlich. Er argumentiert mit Blick auf den Krieg in der Ukraine: „Menschen brauchen gerade in diesen Zeiten Perspektiven. Je ärmer wir werden an Perspektiven, desto dramatischer wird die ganze Situation.“ Mit anderen Worten: Für Beck wie für Evangelatos überwiegt der gesellschaftliche Nutzen solcher aufwendigen Abstecher den ökologischen Schaden.
Trotzdem, das Dilemma bleibt: Kulturaustausch und Klimaschutz sind zwei hehre Ziele, die sich nicht wirklich vertragen. Entschärfen lässt sich dieser Zielkonflikt nur durch Maßnahmen wie dem modernen Klimasünden-Ablasshandel, sprich: Spenden an entsprechende Umweltorganisationen, deren Projekte den CO2-Ausstoß kompensieren, den…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 9/2022
Magazin
Am Teatr Współczesny in Szczecin sorgt eine neue Truppe für Aufsehen in Polen
von Thomas Irmer
„Edukacja Seksualna“ heißt das Stück von Michał Buszewicz, das in Polen ein per Gesetz neuerdings verbotenes Schulfach adressiert. Denn die Sexualerziehung wurde von der nationalkonservativen PiS-Regierung an Schulen abgeschafft, fast im gleichen Atemzug, in dem sie das Abtreibungsrecht praktisch bis auf ganz wenige Ausnahmen aufhob. Eine offenbar panische Angst vor der Darstellung von Sexualbeziehungen in differenzierteren Geschlechterverhältnissen trieb die in diesem Punkt antiliberale Kaczynski-Partei in die weitere Spaltung der Gesellschaft, mit der katholischen Kirche im Hintergrund und dazu traditionsfremden Ideen überhaupt.
Die Inszenierung in der Regie des Autors ist eine lockere Szenenfolge ohne jeglich explizite Darstellungen, als Revue des „Entschämens“ dieses Themas. Das Besondere ist vielleicht gar nicht so sehr die pädagogische Aufklärung von Jugendlichen, sondern dass Sex auch für Erwachsene ein schwieriges soziales Problem bleiben kann, jenseits von Beziehungshändel und Pornoeinsamkeit. Fast immer zeigt es Dialoge mit Ende unbekannt – oder eben zum Weiterführen auffordernd. Angeboten wird das Stück für Schüler:innen ab 15 und ist vom Bürgermeister von Szczecin eigens abgesegnet. Der gehört der PO (Bürgerplattform) an und unterläuft damit die Volkserziehung der Regierenden in Warschau. Es ist der in Polens Kultur nicht untypische Konflikt zwischen der Landesregierung und den in vielen großen Städten auch für die Kultur verantwortlichen liberalen…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 6/2022
Protagonisten
Berlin, Mannheim, Weimar: Christian Weise inszeniert die Welt als Bühne und die Bühne als eigene Welt
von Michael Helbing
Christian Weise sitzt Anfang April im Nationaltheater Weimar und kriegt die Krise. Zum einen, da ihm soeben mal wieder seine „Buddenbrooks“-Premiere platzte, die in der Pandemie schon mehrfach ausgebremst wurde und nun einiger Corona-Fälle im Ensemble wegen erneut auf unbestimmte Zeit gleichsam in Quarantäne geschickt wird. Zum anderen, da ein TdZ-Gespräch über Shakespeare, das sich anstatt einer Endprobe ereignet, unweigerlich zur Rezeption seiner „Queen Lear“ gelangt, die im Februar mit Corinna Harfouch in der Titelrolle am Berliner Gorki-Theater herauskam, nachdem man auch dort mit dem Virus arg zu kämpfen hatte.
Von Albernheiten und Blödeleien war nicht zum ersten Mal in Kritiken zu lesen, mit denen Weise demnach die poetische Fallhöhe Shakespeare’scher Lebens- und Liebeskrisen wahlweise unterläuft oder zudeckt. Und von: Klamauk. „Ich hasse diese falsche Benutzung des Wortes“, bricht es aus dem Regisseur heraus. „Herbert Fritsch macht Klamauk, und zwar als große Kunstform! Laurel und Hardy haben Klamauk gemacht. Ich kann so was gar nicht!“ Ein anderes „Lieblingsschimpfwort“ für seine Inszenierungen: Trash. „Es gibt großartige Trash-Künstler!“ Er zählt sich aber keineswegs dazu.
Weise nähert sich einem Shakespeare-Stück eben nur komödiantisch, schon deshalb, weil ihm das ganze Leben wie eine Komödie vorkommt („Wenn ich in der S-Bahn sitze, muss ich lachen.“). Außerdem wollen die Leute doch unterhalten werden; das war im Globe Theatre auch nicht anders.
Dabei…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 6/2022
digitalität und theater I
Ein Essay
von Jonas Zipf
Nehmen wir einmal an, Kultur bestünde aus mehr als der künstlerischen Praxis auf Bühnen und Leinwänden, in Galerien oder Museen. Nehmen wir außerdem an, ein so verstandener sogenannter breiter Kulturbegriff ist der Boden und das Bett einer jeden grundlegenden Transformation der Verhältnisse. Wir sprächen dann von einem Kulturwandel und meinten etwa die Kultur eines Unternehmens oder des politischen Diskurses, des schulischen Sektors oder der Geschlechterverhältnisse. Gehen wir also davon aus, dass jede Transformation mit einem Wandel der sozialen, ökonomischen, ökologischen Kultur einher-, möglicherweise sogar von dieser ausgeht. Ob groß oder klein, geschichtlich abgeschlossen oder in die Zukunft laufend: Die Felder der uns aktuell umströmenden Transformationen wären also per se und a fortiori Schauplätze, öffentliche und soziale Räume der Kultur. So ist es mit den Fragen nach Nachhaltigkeit oder in der Inklusion. So ist es mit der Digitalisierung.
Weniger „Mega“ als vielmehr „Meta“, müssen wir Digitalisierung endlich als kulturellen Wandel der Art und Weise unseres kommunikativen Handelns, eines gänzlich veränderten Mindsets des Umgangs miteinander und nebeneinander verstehen. Digitalisierung ist kein Megatrend, der unvermeidlich über uns kommt wie ein heilsbringendes Himmelreich oder die nächste Naturkatastrophe. Es lohnt sich nicht mehr, sich an das Narrativ der fehlenden Ressourcen und Kompetenzen zu klammern, die wie ein Hüter vor der Schwelle eines erst…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 6/2022
Magazin
Ein Drama-Showcase des Centro Dramático Nacional in Madrid
von Thomas Irmer
Spanien ist dieses Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse. Was das Theater und insbesondere die zeitgenössische spanische Dramatik angeht, ist die Kenntnis hier relativ gering. Aber das könnte sich nun ändern. Der Heidelberger Stückemarkt (siehe S. 80) hat gleichfalls Spanien zu Gast, und das Centro Dramático Nacional (CDN), eine Art reformiertes Nationaltheater mit zwei Bühnen im Zentrum der Hauptstadt, bemüht sich um eine systematische Förderung von jungen Autoren. Dazu gehören seit 2020 Residenzen mit Workshop-Entwicklungen und in der jüngsten Ausgabe der eigenen Zeitschrift Dramática eine Bestandsaufnahme zur neuen Dramatik mit einer katalogartigen Darstellung von beachtlichen „75 Dramatiker:innen für das 21. Jahrhundert“. Ihr Herausgeber, der CDN-Produzent Fernando Sánchez-Cabenado, schätzt den Moment als äußerst günstig für neue Autoren im Theater ein, wie auch die stellvertretende Direktorin Fefa Noia, die sich für die Fortführung der Autorenresidenzen stark macht. Es gibt Themen, die brennen, wie die langen Schatten der Franco-Diktatur, die nun fast fünfzig Jahre nach deren Ende vor allem in Familiengeschichten aufgearbeitet werden. Auch die kulturellen Autonomiebestrebungen der einzelnen Regionen des Landes sind ein Thema und selbstverständlich der Blick auf neue soziale Phänomene.
Dass Behinderte ihre Sexualität leben wollen und ihnen dabei vielleicht geholfen werden müsste, ist auch in Spanien fast ein Tabu. Esther F. Carrodeguas (geb. 1979) war eine der ersten…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 5/2022
Magazin
Das Heiner-Müller-Programm der slowenischen Band Laibach
von Tom Mustroph
Die in der beginnenden Pandemie halb vergessene Produktion „Wir sind das Volk“ von der Band Laibach mit Texten von Heiner Müller wird urplötzlich zum aktuellen Stück zur Lage. Gesagtes, Geschriebenes und auch Gesungenes ändern sich, wenn die Kontexte sich ändern. Diese Erfahrung durfte man beim musikalisch-theatralen Industrial-Event „Wir sind das Volk“ machen, den die slowenische Konzept-Band Laibach mit sehr deutschen Texten von den Gebrüdern Grimm über Adolf Hitler bis Heiner Müller im Berliner HAU veranstaltete. Das war nicht ganz unerwartet, weil mit Laibach und Müller nicht nur De- und Rekontextualisierungsstrategen aufeinandertrafen. Auch die per Tondokument eingespielte nationalsozialistische Rhetorik ist mit seinen antikapitalistischen Momenten sehr schillernd. Und Grimm’sche Märchen sind per se deutungsoffen in ganz viele Richtungen.
Aber als Glanzstück der Rekontextualisierung erwies sich dann doch das Müller-Zitat „Ich will ein Deutscher sein“. Es wurde von Cveto Kobal, unterstützt von einem Streicherquartett und den Perkussionsperformern von The Stroj, in der Manier eines Schlagerbarden vorgetragen. Bei der ersten Aufführungsserie im fernen Jahr 2020 löste der in Dauerschleife gesungene Satz beim Ironie-seligen und postdramatisch konditionierten HAU-Publikum noch hübsches Gelächter aus; in Unkenntnis des Müller’schen Kontextes mochte man sich da noch Zwerchfell bebend von jedem Deutschsein-Wollen distanzieren. Müller entnahm den Satz ursprünglich dem…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 5/2022
Theaterkünstler*innen
André Kaczmarczyk rockt als Schauspieler und Regisseur das Düsseldorfer Schauspielhaus. Seit Neuestem ist er auch Fernsehkommissar im „Polizeiruf 110“ in Frankfurt (Oder)
von Stefan Keim
Lady Macbeth ist tot. Einfach umgekippt, nicht von den Mauern des Schlosses Dunsinane gesprungen. Sie ist deutlich älter als Macbeth, mehr Mutter als Ehefrau. Er steht direkt daneben, ein schmaler junger Mann, der die einzige Person verloren hat, die ihm noch geblieben ist. Der Schauspieler André Kaczmarczyk hebt langsam die Arme. Es wirkt, als wolle er ein unsichtbares Instrument spielen, einen Kontrabass. Dann scheint er zu tanzen, erst mit dem Geist der Lady, dann mit sich allein. Es gibt keine Musik zu dieser Szene, und das ist großartig. So liegt alle Aufmerksamkeit auf diesem Mann, der alles verloren hat. Und man sieht, wie er reagiert, rein körperlich, ohne dass sich der Tanz klar deuten ließe. Ein großer Theatermoment.
„Das ist wie ein Übertritt in den Wahnsinn, den man gar nicht anders zeigen könnte“, sagt André Kaczmarczyk im Gespräch. „Der Tanz entsteht an jedem Abend neu.“ Eine Choreografin war hier nicht im Spiel. Die Bewegungen kommen aus dem Inneren, sind Ausdruck purer Emotion und deshalb auch unvorhersehbar. André Kaczmarczyk lässt sich auf so etwas ein, völlig natürlich, ohne einen Anflug von Scheu. Das macht sein Spiel bei aller Virtuosität so offen und faszinierend. Er ist einer dieser wenigen Spieler, die in jeder Rolle zum Protagonisten werden. Weil auch in kleinen und stillen Momenten zu spüren ist, dass ihnen eine unerschöpfliche Vielzahl an Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung steht. Gert Voss war auch so einer.
Seit sechs Jahren arbeitet André…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 5/2022
Magazin
Eine Bilanz von Manuel Bürgin am Theater Winkelwiese in Zürich
von Dominik Busch
Manuel Bürgin ist ein Kommunikator. Er sagt, was er denkt, und wenn er erzählt, dann plastisch und konkret. Den Satz, der seine siebenjährige Intendanz (2015–22) am besten zusammenfasst, sagt er gleich zu Beginn unseres Gesprächs: „Es hat sich gelohnt, sich nicht einzuschränken.“ Es stimmt: Bürgin hat im Kellergewölbe der altehrwürdigen Villa Tobler auf Vielfalt gesetzt. Und es gab Leute, die ihn dafür kritisierten. Sein Vorgänger Stephan Roppel hatte das Profil des Hauses zweifellos geschärft und mit einem beinahe protestantischen Sola-scriptura-Purismus fast ausschließlich auf Gegenwartsdramatik gesetzt. Bürgin und sein Team fanden: Es führen viele Wege zu einem gelungenen Theaterabend. Man kann sich den scheidenden künstlerischen Leiter der Winkelwiese darum als Botaniker vorstellen, der vor Monokulturen warnt – und mir scheint: zu Recht.
Man glaubt Bürgin, wenn er sagt, dass er sein Theater als Ort mag: „Alles ist kompakt, alles ist nah. Ein Handgriff, und man hat eine Leiter. Gleich daneben steht das Lichtpult. Und in zehn Schritten ist man drüben im Büro.“ Es ist diese Nähe, die seiner Art des Arbeitens entspricht. Bürgin ist ein Teamplayer, er denkt in der Gruppe, und die kurzen Wege, die Unmittelbarkeit, das liegt ihm. Aber er mochte und mag auch den Bühnenraum: „Der Bogen, unter dem das Publikum sitzt, ist derselbe Bogen, unter dem auch die Schauspieler:innen spielen. Diese Nähe gibt der Raum vor.“ Gleich in der Eröffnungsproduktion hat er auf diese…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 5/2022
Magazin
Volker Brauns Langgedicht „Luf-Passion“ in der Berliner Akademie der Künste
von Thomas Irmer
Das Luf-Boot aus Papua-Neuguinea, ein Ende des 19. Jahrhunderts aus einem einzigen Stamm gefertigtes Langboot mit zwei Segeln und einem Ausleger, ist zum Symbol der Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte und ihrer unklaren Darstellung in ethnologischen Sammlungen geworden. Als Prachtstück im neu eröffneten Berliner Humboldt Forum, in das es aus den bis in die Kaiserzeit zurückreichenden Sammlungen in Berlin-Dahlem gebracht wurde, sollte es auch die hochstehende Pflege und Bewahrung des Weltkulturerbes repräsentieren. Vor der Umsetzung wurde das 15 Meter lange Holzboot „entwest“, das heißt von Ungeziefer und anderem Befall gereinigt, und anschließend durch eine eigens dafür verbliebene Öffnung in den jetzigen Ausstellungsraum geschoben. Mit der Eröffnung des Humboldt Forums war es somit eingemauert – und die Diskussion begann.
Der Historiker Götz Aly bestritt in seinem kurz vor der offiziellen Eröffnung erschienenen Buch „Das Prachtboot“ (Mai 2021) einen irgendwie rechtmäßigen Erwerb des Boots von seinen Erbauern, deren kleines Volk der Lufiten im kaiserlich kolonisierten Bismarck-Archipel nach Angriffen, Verschleppung zur Zwangsarbeit und Krankheiten zum Untergang verurteilt war. Entscheidend ist die Formulierung des Geschäftsführers der Handelsgesellschaft Hernsheim & Co., Max Thiel, dass das Boot „in meine Hände übergegangen“ sei. Kaufbelege und dergleichen gibt es nicht, aber wie Thiel die Verschiffung des Boots nach Deutschland organisierte und an die Berliner…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2022
Protagonisten
Die Schauspielerin Maike Knirsch vom Thalia Theater Hamburg im Porträt
von Hans-Dieter Schütt
Spiel darf so ziemlich alles. Spiel ist eine Erlaubnis, von der Romantik ausgestellt: Mag das Leben entgeistert oder gebieterisch glotzen – wir schauen trotzdem so in die Runde, als gäbe es noch eine Welt woanders. Es gibt sie ja tatsächlich. Überall dort, wo der Mensch erfährt, was mit ihm – und unverwechselbar nur mit ihm! – gemeint sei. Dort, wo er erfährt, auf welche Weise er zu sich selbst kommen kann.
Maike Knirsch sitzt mir in einer der Proberäume des Thalia Theaters Hamburg gegenüber, in der Altonaer Gaußstraße, und worüber wir auch sprechen – ihre Erzählung ist: Frage, Prüfung. Ist Suche nach jener Welt woanders; tastend wirkt sie, drängend, bei gleichzeitiger Vorsicht, sie könne bei ihren Selbst- und Berufserklärungen nur immer bei den falschen Worten landen, bei Worten, die zu forsch, zu eindeutig sind. Zugriffe mit Zögern. Besitznahme mit Bedacht.
Im Dezember 2021 erhielt die gebürtige Stendalerin den Boy-Gobert-Preis der Hamburger Körber-Stiftung. Juryvorsitzender Burghart Klaußner: „Maike Knirsch bringt das Kunststück fertig, ganz im Moment zu spielen und ihrer Figur zugleich mit einem wohlwollenden Lächeln beim Spielen zuzusehen.“ Und dann stand die 26-Jährige auf der Bühne, in einer Gemütsmischung aus erkennbarer Aufregung und ebenso sichtbarer Souveränität, sie blickte lange in den Saal, und man begriff in diesem Moment Ewigkeit, in dieser Ewigkeit von Moment, was Kafka als einen Kern von Schauspiel bezeichnete: „diese Frechheit, sich anschauen zu lassen“.…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2022
Magazin
Hansueli Trübs Schattentheater in Aarau
von Elisabeth Feller
Was ist ein Mensch ohne Schatten? Nichts, wie Adelbert von Chamissos „Peter Schlemihl“ schmerzlich erfährt. Man kann die Frage auch umgekehrt stellen: Was ist ein Mensch mit Schatten? Viel, wie Hansueli Trüb – eine prägende Persönlichkeit des Schweizer Figurentheaters – in „Shadows“, einer Koproduktion von Das Theater-Pack und Bühne Aarau, zeigt. Trüb ist vom Schattentheater seit Jahrzehnten fasziniert. Präsentiert er nun, in der Regie von Astride Schläfli, seine „Shadows“, zieht er Bilanz über seine Versuche und Ergebnisse im Umgang mit dieser besonderen Theaterform.
Die klassische, rechteckige Leinwand gilt Trüb dabei nicht mehr als das A und O; stattdessen projiziert er auf bewegliche Elemente. Der Raum spielt dabei eine entscheidende Rolle. Steht Trüb die im Herbst 2021 eröffnete Alte Reithalle in Aarau zur Verfügung, ist das ein Geschenk. Sie nimmt einerseits durch das ungeschönte Gemäuer und das Gebälk sowie andererseits durch ihre riesige Dimension für sich ein. Kein Wunder, dass der Schattenmagier darin zu verschwinden scheint. Deshalb kann man ihn zu Beginn kaum orten, wenn er die spärlich beleuchtete Halle betritt und sich an schwer identifizierbaren Gegenständen zu schaffen macht. Schon bald wird jedoch klar, dass diese Bestandteil eines Labors sind, in das Hansueli Trüb einlädt: Das Publikum soll aus nächster Nähe sehen können, wie Schatten geformt und „gemalt“ werden.
Hansueli Trüb ist kein hochtourig agierender Theatermann; bedächtigen Schrittes durchquert…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2022
Magazin
Die Münchner Biennale für neues Musiktheater
von Thomas Irmer
Einige der Uraufführungen im Münchner Programm vor zwei Jahren wurden nach dem ersten Lockdown noch im gleichen Jahr unter dem treffenden Titel „Point of NEW Return“ an verschiedenen Orten nachgeholt. Die künstlerische Leitung, Daniel Ott und Manos Tsangaris, wollte so die aufwendig vorbereiteten Produktionen retten und ahnungsvoll einen Stau in die folgende Ausgabe des Festivals für neues Musiktheater verhindern.
Die diesjährige Ausgabe ist als „Dynamisches Festival“ deklariert, mit mehreren Vorab-Aufführungen außerhalb Münchens und in online-Präsentationen, bevor dann im Mai das Hauptprogramm in München unter dem Motto „Good Friends“ stattfindet. Den Auftakt machte die schon für 2020 angesetzte Produktion „Once to be realised“, eine Begegnung mit dem griechischen Komponisten Jani Christou, in der für Neues mittlerweile legendären Tischlerei der Deutschen Oper Berlin.
Christou, Komponist und Avantgardist der szenisch erneuerten Musik-Performance in den 1960er Jahren, hinterließ bei seinem frühen Unfalltod 1970 in Athen ein umfangreiches Konvolut an Projektskizzen, insgesamt 130 sogenannte project files. Einige der durchnummerierten Entwürfe wurden nun von sechs Komponist:innen der Gegenwart adaptiert und in einem Parcours von dem griechischen Regisseur Michail Marmarinos inszeniert. Als roter Faden für die meist kurzen Hommage-Stücke von Olga Neuwirth, Samir Odeh-Tamimi, Christian Wolff, Barblina Meierhans, Beat Furrer und Younghi Pagh-Paan ist die einfallsreiche…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2022
Look Out
Die Schauspielerin und Theatermacherin Mariana Senne sucht den kollektiven Orgasmus
von Friederike Felbeck
Theatermachen kann ein ganz schön langweiliges und einsames Geschäft sein. Das hat Mariana Senne, die 2014 der Liebe wegen ihre brasilianische Heimat São Paulo verlässt und nach Europa aufbricht, schon gelernt. So lädt sie denn auch in ihrer aktuellen Performance „I love you but I need to kill you now “ ihr Publikum ein, sich gemeinsam an eine lange Tafel zu setzen. Die Arbeit, die im vergangenen Jahr in Amsterdam uraufgeführt wurde, ist eine musikalische, bildgewaltige und höchst persönliche Tour de Force der Performerin über den Kampf zweier Kontinente. Der Tisch, unter den sie gleich zu Beginn kriecht, wird zum Mutterleib. Ihre offensive Nacktheit, die eine Kamera nach draußen trägt, ist gleichzeitig ganz nah und doch so behutsam auf Distanz inszeniert, wie sie selbstverständlich für ihr ganzes Spiel ist. Wenn es nicht so lange her wäre, würde ich sagen: sie erinnert an Susanne Lothar, wie sie in Peter Zadeks „Lulu“ die Treppe rauf und runter prescht, lustvoll, ackernd, immer auf der Suche. Mariana Senne tanzt und singt durch ihre Performance. Ihre Worte leiht sie sich aus von der Philosophin und Aktivistin Silvia Federici, von Frantz Fanon, einem Wegbereiter der französischen Entkolonialisierung, und von Valerie Solanas, der Attentäterin Andy Warhols.
Als Jugendliche in einem Austauschprogramm in den USA bewirbt sie sich für die Gesangsklasse ihrer High School mit dem Lied „The Girl from Ipanema“ – und wird abgelehnt. Ein Glücksfall, denn ihr Vorsprechen als „Agnes of…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2022
lausitz
Lucie Luise Thiede und Susann Thiede im Porträt
von Hans-Dieter Schütt
Sie hätten derzeit gemeinsam auf der Bühne stehen sollen: Mutter und Tochter – als Mutter und Tochter. Susann Thiede in der Rolle der Waschfrau Wolff und Lucie Luise in der Rolle der schwangeren Leontine. In Gerhart Hauptmanns „Biberpelz“, Regie: Armin Petras. Aber Lucie Luise spielt nicht – sie ist schwanger. So lehrt das Leben die Kunst: Umbesetzung.
Wir sitzen im Probenhaus des Staatstheaters Cottbus, im „Biberpelz“ sieht man im Video den Madlower See, den Spreewald, die ruppigen Ufer. Licht und Grauwerte der Lausitz. Wo der Dichter Gottfried Unterdörfer hoffnungsvoll schrieb: „Ich will den Bogen setzen“. Wo Volker Brauns aufsteigendes und heruntergekommenes Hoywoy nicht weit ist. Zwei Spielerinnen, sofort spürbar: Expertinnen darin, (noch immer) aufeinander neugierig zu sein.
Irgendwann war das unpassendste Wort gefallen: Provinz. Wo es doch in beider Arbeit absolut nichts zu suchen hat. „Wo ich bin, ist keine Provinz!“ Ein Satz von Christoph Schroth. Vier Jahre spielte Susann Thiede am Staatstheater Schwerin, dort hatte Intendant und Regisseur Schroth auf eine Weise Theater betrieben, die zum Fußball aufschloss: Das Publikum kam in Sonderzügen. Susann Thiede folgte Schroth nach Cottbus. Auch hier, viele Jahre: Volkstheater. Ohne Ruch des Seichten. Volkes Theater, „eine instanz der unberuhigten vernunft“ (noch einmal Volker Braun).
Susann Thiede, Künstlerin mit einer wahrlich langen Rollenliste, spricht von der „Kraft des Ensembles“; eine wehrhafte Setzung in einer…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2022
Protagonisten
von Herbert Fritsch
Bei „Pension Schöller / Die Schlacht“ damals an der Volksbühne, da hat er mich geschockt, der Henry. Da war jede Vorstellung eine Schlacht. Ich versuchte, ihn mit meinen beiden Riesenschlangen, den Tigerpythons, zu traktieren. Er hatte mich immer gebeten, ihm nicht zu nahe zu kommen, aber ich wollte ihn ärgern und bin ihm sehr nahe gekommen. Das war ihm wirklich unangenehm. Was er dann aber daraus gemacht hat, war ein Feuerwerk des Slapsticks. Er machte die wahnwitzigsten Grimassen, rutschte immer wieder aus und fiel hin, spielte eine entsetzliche, saukomische Angst, und ich konnte nur noch dastehen, blöd grinsen, mit meinen beiden Riesenschlangen, die niemanden mehr interessierten, und zu guter Letzt ging er doch noch auf mich los, löste seine Hosenträger und machte die zu Schlangen, um mir zu zeigen, wie das geht. Das war der Gipfel, ein Ereignis, eine Sternstunde der Schauspielkunst, die ich nie vergessen werde, und ich ziehe meinen Hut, verneige mich und gratuliere zum Geburtstag!
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 2/2022
Gespräch
von Lutz Hillmann und Thomas Irmer
Lutz Hillmann, Sachsen hat als einziges Bundesland in der publikumsträchtigen Vorweihnachtszeit und dann bis Mitte Januar alle Theater geschlossen und ist damit im Bundesvergleich einen Sonderweg gegangen. War der sinnvoll?
Ab 22. November gab es den sogenannten Wellenbrecher mit einem Kulturlockdown, der die Theater und Orchester betraf. Die Krankenhäuser waren voll, die Zahlen hoch, die Impfquote niedrig, und deshalb gab es ein großes Verständnis dafür, dass etwas getan werden musste im Land.
Nun ist es doch so, dass die Theater alles getan haben für einen sicheren Vorstellungsbetrieb und das Kulturpublikum gehört wahrscheinlich in der Mehrheit auch nicht zu den aktiven Gegnern der Corona-Maßnahmen. Werden mit solchen harten Einschränkungen nicht die Falschen getroffen?
Das stimmt, es gibt kein nachweisliches Infektionsgeschehen bei Kulturveranstaltungen, insbesondere nicht im Theater. Gutachten und empirische Studien haben das belegt. Solche Räume sind fast so sicher wie im Freiluftbereich. Deshalb war das schon schwer zu verkraften. Und es war ja auch nicht zu erwarten, dass sich das Infektionsgeschehen dadurch verändert. Das wurde durchaus als Symbolpolitik der Landesregierung am Modell der Kultur gewertet. Die Regierung befand sich in der Zwickmühle, wenn die Theater weiterspielen, dass dann andere sagen könnten, warum dürfen wir nicht offenbleiben. Das ist ja eines der grundsätzlichen Probleme, dass man in dieser Situation so aufeinander guckt. Wenn man es…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 2/2022
Ausland
Ein Porträt der südafrikanischen Choreografin Dada Masilo
von Renate Klett
Nomen est omen: Sie heißt nicht nur Dada, sie ist es. Dada Masilo, Tänzerin und Choreografin aus Südafrika, hat eine Art burlesken Investigations-Dadaismus erfunden, der das klassische Ballett veralbert, verschmachtet, verklärt und verrückt. Sie nimmt sich auch Opern vor, und immer sind es kluge, auch liebevolle Fragen, die sie an die Objekte ihrer Begierde stellt. Die ätherischen Traumwelten der westlichen Klassik unterwandert sie gern mit den lebensprallen Tänzen der afrikanischen Tradition. Das erzeugt eine Intensität, die radikal und komisch zugleich ist und alles andere als oberflächlich.
Masilo, 1985 in Soweto geboren, tanzt schon als Kind in der Jugendgruppe Soweto Peacemakers. Mit 12 Jahren beginnt sie ihre Ausbildung an der Dance Factory in Johannesburg, später studiert sie an der National School of the Arts ebendort und am Jazz Art Dance Theatre in Kapstadt. Sie lernt klassisches Ballett und zeitgenössischen westlichen sowie traditionellen afrikanischen Tanz, Flamenco und Jazz Dance und bekommt eines der begehrten Zwei-Jahres-Stipendien für P.A.R.T.S, Anne Teresa de Keersmaekers berühmter Tanzschule in Brüssel. „Ich war 19, als ich da hin ging, und Brüssel hat mir gar nicht gefallen, weil es so dunkel und kalt war. Aber die Schule war großartig. Ich habe so viel gelernt, so viele Anregungen bekommen. Es war eine ganz wichtige Erfahrung für mich.“
Zurück in Johannesburg, wurde sie Artist in Residence an der Dance Factory. 2008 erhält sie den renommierten…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 2/2022
Gespräch
Carsten Brosda, Vorsitzender des Deutschen Bühnenvereins und Hamburger Kultursenator, im Gespräch mit Thomas Irmer über die ökonomischen Folgen der Corona-Maßnahmen für die Theater
von Carsten Brosda und Thomas Irmer
Herr Brosda, es gibt in Heidelberg, aber vielleicht nicht nur dort, eine Diskussion um das im vorletzten Jahr gezahlte Kurzarbeitergeld für Angestellte des Theaters. Unterm Strich wurde am Theater Heidelberg 2020 ein Plus erwirtschaftet, und ein Antrag der Grünen fordert nun die Rückzahlung dieser Gelder.
Das Kurzarbeitergeld war ein Segen für die Theater in der Zeit, in der nicht gespielt werden konnte. Es hat geholfen, mit dieser Situation betriebswirtschaftlich klarzukommen. Das war die wirksamste Hilfe für die Kulturbetriebe mit Festangestellten, die wir während der Pandemie gehabt haben. Wir hoffen sehr, dass es diese Hilfe weiter geben wird, denn sie wird wahrscheinlich auch künftig gebraucht. Es mag vereinzelt so sein, dass unterm Strich sogar Rücklagen aufgebaut werden konnten wie offenbar in Heidelberg. Das ist aber keineswegs an allen Häusern so der Fall, sondern von Theater zu Theater sehr unterschiedlich. Es gab Theater, die besonders im zweiten Lockdown intensiv weitergearbeitet haben und deshalb gar nicht so viel von der Kurzarbeit Gebrauch machen konnten. Aber ich würde allen Trägern, deren Theater Rücklagen aufbauen konnten, dazu raten, die erst mal in den Häusern zu belassen. Das wird in der zu erwartenden angespannten Haushaltslage nach der Pandemie helfen, wenn der Staat möglicherweise nicht mehr ausreichend Mittel bereitstellen kann. Diese Phase wird voraussichtlich betriebswirtschaftlich für die Theater anstrengend, auch weil ungewiss ist, ob das…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 1/2022
Magazin
von Tom Mustroph
Eigentlich sollten Tobias Morgenstern und Thomas Rühmann, Gründer und Organisatoren des Theaters am Rand in Zollbrücke, in diesem Herbst mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt werden. Kurz vor der Zeremonie wurde die Ehrung aber zurückgezogen. Offizielle Begründung: Die Ordenswürdigkeit von Morgenstern sei nicht mehr gewährleistet. Das wirft Fragen auf: Danach, wie ordenswürdig künstlerisches Tun überhaupt zu sein hat und wie viele Kontroversen eine Gesellschaft aushalten kann und sollte.
Dem Theater selbst sieht man die Affäre nicht an. Der alte Oderkahn, der manchmal als Theaterkulisse dient, rostet gelassen weiter vor sich hin. Das Publikum strömte wie gewohnt zur Aufführung der allerersten Operette des Theaters in den unter Nachhaltigkeitsaspekten konstruierten Theaterbau. In „Das heißbegehrte Haus“, Libretto vom Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel, Komposition von Morgenstern, stand Morgenstern auch auf der Bühne. Die Finger glitten wie gewohnt über die Tasten des Klaviers und die Tasten und Knöpfe des Akkordeons. Rühmann saß im Zuschauerraum.
Dennoch ist nicht alles wie immer. Die Bundesverdienstkreuzdebatte hat zu einem Riss zwischen den Partnern geführt. „Wir haben uns entschieden, nicht mehr gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Das bedeutet auch, wir spielen vorerst unser Repertoire nicht mehr“, erzählt Morgenstern Theater der Zeit.
Die Ursache der Entfremdung kann man auf Ende September datieren. „Ein paar Tage vor der Preisverleihung bekam ich einen Anruf vom…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 1/2022